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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Behrendt, Walter Curt: Holländische Grachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0046

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häuser, die an ihren Ufern errichtet wurden. Es
galt als standesgemäß für die reichen Kaufleute
und Handelsherren, in diesem bevorzugten Viertel
zu wohnen. Philipp von Zesen erzählt in seiner
Beschreibung der Stadt Amsterdam (1664) zum
Beweise für die Anziehungskraft, die diese neuen
Viertel ausübten, man habe ganze Häuser, die schon
vor dieser Anlage gebaut worden waren und an
einem ungelegenen Orte standen, auf Walzen ge-
setzt und an den auserwählten Bauplatz gerollt. Ja
man habe solche Häuser bisweilen sogar auf Schiffe
gebracht, dahin geführt, wohin man sie wollte,
dann wieder ausgeladen und an ihre bestimmte
Stelle gerollt.

Die Mehrzahl der schmalen, dreiachsigen Giebel-
fronten, aus deren glatten, altersgedunkelten Back-
steinwänden gelegentlich ein derbes Barockorna-
ment in kraftvoller Modellierung herausquillt, steht
heute noch unverändert. Es ist nicht viel archi-
tektonische Erfindung daran, und selbst die reichen
Fronten halten sich in der Gliederung an die her-
gebrachten Regeln des klassizistischen Schemas.
Aber auch in dieser Beschränkung wissen diese
Bürgerhäuser ihre vornehme Haltung zu wahren.
Die hohen schlanken Fenster steigern die Noblesse
ihrer Erscheinung und die schmale Freitreppe, die
zu der Eingangstür des erhöhten Erdgeschosses
führt, gibt den einfachen Fronten einen Schmuck
von hohem malerischen Reiz. Der feine Propor-
tionssinn, mit dem diese Fronten durchgebildet
sind, zeigt sich auch in dem sicheren Augenmaß,
mit dem die Haushöhen zur Breite der Kanäle in
ein wohlabgewogenes Verhältnis gesetzt sind. Jeder
Knick des Kanallaufs rückt die Flucht der Fronten
mit dem bewegten Umriß ihrer Giebellinien in
voller Breite ins Gesichtsfeld, und so, auf allen
Seiten von hohen wohlproportionierten Wänden
eingeschlossen, hat man den Eindruck, sich in
einem festlichen Saale zu befinden, über dem die
alten Bäume mit ihren zum Wasser geneigten Häup-
tern ein grünes Laubdach wölben. Von den nied-
rigen Brücken, die sich in kraftvollem Bogen von
Ufer zu Ufer schwingen, genießt man nach allen
Seiten den Einblick in diese hallenartigen Räume,
in denen sich zu Wasser und zu Lande in buntem
Getriebe das vielgestaltige Leben der Handelsstadt
abwickelt.

Das Wasser ist das Lebenselement der hollän-
dischen Städte. Auf dem Wasser ruht ihre wirt-

schaftliche Existenz, ihm danken sie die Größe
ihres Handels und die Blüte ihres Gewerbes, ihm
danken sie nicht zuletzt auch den Zauber ihrer
malerischen Schönheit. Man spürt es in den Hafen-
vierteln, wo die hohen, vielgeschossigen Speicher-
gebäude ihre geschwärzten Backsteinfronten in zahl-
reichen Ladeluken nach den Quaistraßen öffnen,
auf denen die Warenproduktion der ganzen Welt
in unzähligen Kisten und Kollis ausgebreitet liegt
und an deren Ufern eine unabsehbare Flotte von
großen und kleinen Schiffen, von Booten und Fahr-
zeugen aller Form und Art in dichtem Gewimmel
vorbeizieht. Man spürt es ebenso in jenen toten
Städten Zeelands und in den ehemals blühenden mäch-
tigen Vororten der Heringsfischerei, in Enkhuizen
und Hoorn, die allesamt von dem Augenblick, als
ihnen durch die Ungunst der Natur, durch Ver-
schlammung der Ufer und Versandung der Häfen,
dieses wichtige Lebenselement entzogen war, einem
raschen, unaufhaltsamen Niedergang verfielen.

Ein romantischer Zauber liegt über diesen toten
Städten. In ihrem Umfang sind sie viel zu groß
angelegt für die geringe Bedeutung, die ihnen heute
noch verblieben ist. Die jetzige Einwohnerschaft
füllt bei weitem den großen Rahmen nicht mehr
aus, der ihnen in der Zeit ihrer Blüte gesteckt war.
Aber selbst diese Städte wirken nicht „tot", trotz
ihrer Leere. Das Stadtbild trägt keine ruinenhaften
Züge, und nirgends spürt man jene abgestorbene
Museumsstimmung, die sich etwa in den stillen
Gassen von Brügge ausbreitet. Denn die Natur,
die ihnen die Grundlage ihrer Existenz verküm-
merte, schuf durch sich selbst Ersatz und sicherte
mit ihrem Wachstum den entvölkerten Städten den
heiteren Glanz des Lebens. Uberall in den toten
Städten sieht man, wie die Natur wieder einge-
drungen ist in das Stadtgebilde. In Enkhuizen sind
große Flächen im Innern der Stadt zu fruchtbaren
Gärten geworden, deren Beete der Gemüse- und
Blumenzucht dienen. Durch die Lücken der Häuser-
reihen sieht man in diese Gärtnereien hinein auf
große Blumenfelder, die in starken Farben leuch-
ten. Die Häfen liegen still und bilden als große
Tümpel einen Schmuck der Parkanlagen. Die
Grachten haben die strenge architektonische Fas-
sung ihrer Uferlinien verloren, ihre gebuchteten
Ränder sind mit Gras bewachsen und sie ziehen
einem Bachwasser gleich in trägem Lauf durch
die Stadt.

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