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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 2
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Dormoy, Marie: Die Ausstellung Louis-Philippe in der Galerie Jean Charpentier
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0098

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sich dem Reiz nicht entziehen, den das Gesamtbild auf uns
ausübt. Haben wir das nur der Zeit zu verdanken, die jetzt
den genügenden Abstand schafft? Haben sich unsere Augen
so verändert? Oder ist es einfach die Lust an der Ent-
deckung? — Warum aber sollen wir annehmen, daß eine
an genialen Männern so fruchtbare Epoche, die in der Dicht-
kunst einen Victor Hugo und Lamartine, in der Prosa Chateau-
briand, Balzac und George Sand, in der Philosophie Auguste
Comte und Proudhon, in der Malerei Ingres und Delacroix,
in der Bildhauerei Rüde, in der Musik Berlioz hervorgebracht
hat, gerade in der dekorativen Kunst so alles Geschmacks
bar gewesen sei? Nur muß man auf diesem Gebiet mit
besonderer Sorgfalt suchen, wählen und unterscheiden. Das
Museum Victor Hugo ist gerade deshalb so schlecht, weil
Victor Hugo, statt sich mit den gebräuchlichen Möbeln zu
begnügen, in der Gotik, das heißt in der Nachahmung eines
Stils leben wollte. Wenn Balzac uns die Eleganz einer
Saloneinrichtung beschreibt, und, um uns einen recht starken
Eindruck davon zu geben, sagt, daß nur bei den Rothschilds
ihresgleichen zu finden sei, so können wir uns eines
Lächelns nicht erwehren, daß er diesen Machthabern der
Finanz ebenso wie im Reichtum auch in Geschmacksfragen
eine führende Rolle zuerkennt — und daher erfüllt es uns
um so mehr mit Genugtuung, daß er in seiner „Abhandlung
über das elegante Leben" Grundsätze entwickelt, die sich
ganz mit den modernen decken. Statt große Summen in
vergängliches Mobiliar zu stecken, haben wir unsere Interessen
auf leichtere, weniger kostspielige und öfter zu erneuernde
Gegenstände gerichtet, und diese Tendenz einer vorge-
schrittenen Zivilisation verdankt England ihre letzten Ent-
wicklungen. In dieser Heimat des Komforts wird der
materielle Teil des Lebens ganz wie ein Kleidungsstück
behandelt, das durchaus veränderlich und den Launen der
Mode unterworfen ist. Die schweren Holzarbeiten des
Empire sind verbannt. Wir wandern endlich einer leichten
Eleganz und Einfachheit entgegen. Wenn unsere beschei-
denen Finanzen uns noch nicht einen öfteren Wechsel ge-
statten, so beginnen wir wenigstens jenen Ausspruch zu
begreifen, der die jetzt gültigen Tendenzen kennzeichnet:
Der Luxus ist weniger kostspielig als die Eleganz.

Die Möbel im Stil Louis-Philippe haben diskrete Vor-
züge, die uns nicht immer gleich ins Auge fallen, da wir
an den Prunk der monarchischen Stile gewöhnt sind. Hier
ist alles einfach, gut bürgerlich. Ist das nicht logisch, da
unter dieser Regierung das Bürgertum zur Herrschaft kam?
Die Frauen der eleganten Welt bespannen ihr Boudoir mit
Moire und Seide, die Bürgerlichen mit farbigen Tapeten.
Die Möbel sind aus Mahagoni, in einfachen, soliden Formen
gehalten und zeigen als einzigen Schmuck diskrete Schwanen-
hälse oder Delphinköpfe. Die Stühle in englischer Form
haben durchbrochene Lehnen, so daß sie leicht zu trans-
portieren sind. Uber das Bett ist ein indischer Shawl nach-
lässig geworfen, Doppelgardinen aus Gaze oder Mull an den
Fenstern erhöhen den Eindruck der Frische und Heiterkeit.
In den Wohnzimmern herrscht derselbe Charakter der Be-
quemlichkeit und Einfachheit. Die Möbel sind leicht zu
verstellen, mit Seide oder ganz einfach mit einem schwar-
zen, mit Rosen, Mohnblumen oder Hyazinthen dekorierten
Roßhaar überzogen, die nach einem neuen, dauerhaften Ver-

fahren mit Öl auf dem Stoff gemalt sind. Der einzige
Luxus — oder was man doch dafür ansah — waren ver-
goldete Haken, die die einfachen Gardinenhalter ersetzten.

Die Ausstellung, getreu der Epoche, die sie herauf-
beschwört, hält sich durchaus auf der „goldenen Mittel-
straße". Gerade dadurch ist sie so lehrreich. Die großen
Maler sind nur spärlich vertreten; dafür treten aber viele
mittlere Künstler auf den Plan, deren Werke uns die Epoche,
in der sie gelebt haben, wirklich lebendig machen.

Von Ingres haben wir nur eine Zeichnung nach Herrn
Bertin und eine Studie zur Odaliske, von Delacroix die
Skizze zu dem Porträt aus dem Louvre, die Porträts von
Paul Foucher aus dem Museum Victor Hugo und von Berny
d'Ouville aus einer Privatsammlung. Von Daumier ist eine
Zeichnung von Herrn und Frau Prudhomme ausgestellt, die
aber nicht entfernt so interessant ist wie die Masken.
Wenn Daumier an den Sitzungen des Herrenhauses teilnahm,
pflegte er kleine Tonkugeln einzustecken und modellierte
nach der Natur kleine Büsten, die er dann zu Modellen für
seine Lithographien benutzte.

Als Ersatz aber für diese karge Vertretung der großen
Meister wird uns eine interessante Sammlung der kleinen
Meister geboten. Sie sind wenig bekannt und doch wird
es dem aufmerksamen Beschauer hier klar, daß von den
großen Malern der Romantik zu Courbet, Manet, ja selbst
zu den Impressionisten eine lückenlose Linie führt.

Ary Scheffer malt den Bürgerkönig in holländischer
Generalsuniform und weiß seinen Zügen eine Gutmütigkeit
und Klugheit zu verleihen, die wir ihm nach den Karika-
turen nie zutrauen würden. Von J. D. Court, einem Schüler
von Gros, sehen wir das Porträt von Frau Lebaudy, einer
bekannten Persönlichkeit der damaligen Bourgeoisie. Alfred
de Dreux, der wieder in der Schätzung steigt, malt, in der
damals beliebten englischen Manier, Pferde und Reiter und
ist darin als ein Vorläufer von Degas anzusehen.

Nicolas Maurin hat seine Epoche sehr reizvoll in galan-
ten Festen geschildert, die ein Verlaine nicht verachtet hätte,
und in Szenen aus dem täglichen Leben: Das zarte Ge-
ständnis, eine Liebesheirat, der Morgen nach der Hochzeit,
das Brautgemach.

Die Porträts sind nicht weniger interessant: Die Prin-
zessin Belgiojoso, von Winterhalter; von Lehmann ein noch
jugendlicher Liszt mit großen sehnsüchtigen Augen, dessen
hagere Gestalt in ein weites Gewand gehüllt ist, das schon
das Ordenskleid andeutet. Stendhal, von einem unbekannten
Maler, in lebendigster Auffassung, en face dargestellt, mit
seiner schönen freien Stirn, die von schwarzen Haaren —
böse Zungen sprachen von einer Perücke — umrahmt ist,
mit lachendem einschmeichelndem Blick und feinen Lippen,
die an Diderot erinnern.

Dann kommen die Historienbilder, deren Stil nicht jene
Erhabenheit der van der Meulen zeigt, noch auch das Pathos
der Prunkdarstellungen aus dem Ancien Regime oder selbst
dem Kaiserreich, die aber ungezwungen vertraulich, intim
und populär auf uns wirken. Dazu gehören: „Die Ver-
teidigung der Tuilerien im Jahre 1830" von Bezard, „Der
König umgeben von der Nationalgarde am Abend des 5. Juni
1832" von Briard und „Louis-Philippe bei der Eidesleistung
auf die Verfassung vor den Kammern" von Deveria, datiert

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