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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 2
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Glaser, Curt: München - Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0101

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sichtspunkt in weitem Maße Rechnung getragen habe. Im
Gegenteil, man rechnete es ihm zum Verdienst, daß er dem
Zuge der Zeit gefolgt sei und der Künstlerschaft wie dem
künstlerisch interessierten Publikum ein neues, anregendes
Material zuganglich gemacht und der Kunststadt München
einen neuen Anziehungspunkt gegeben habe.

Erinnert man sich noch der schlecht gespielten Ent-
rüstung, mit der im Gegensatz der überwiegende Teil der
Berliner Presse die Eröffnung des Berliner Völkerkunde-
Museums begrüßte? Auch in Berlin läßt sich wohl im
einzelnen manche Einwendung erheben, manches wird in
Zukunft noch geändert werden können und müssen, im
ganzen aber ist ein Werk geschaffen, das hoher Aner-
kennung wert ist, und viele Teile sind geradezu als muster-
gültig zu bezeichnen. Die sogenannte öffentliche Meinung
aber wütete blindlings, weil die Parole ausgegeben war,
der leitende Ministerialbeamte und der Architekt, Gall und
Wille, hätten gemeinsam das herrliche alte Völkerkunde-
Museum, das in Wahrheit ein Augiasstall gewesen ist, in
Grund und Boden ruiniert. Leute, die sich nie in ihrem
Leben für Ethnologie interessiert hatten, entdeckten ihr
Herz für die gekränkte Völkerkunde, die angeblich bei der
Neuaufstellung zu kurz gekommen sei, behaupteten, zur
Feier von Adolf Bastians hundertstem Geburtstage sei dessen
W erk endgültig zerstört worden, während es in der Tat nun
erst im rechten Sinne fruchtbar gemacht worden ist.

So wurde, während in München schönste Einmütigkeit der
beteiligten Kreise wie der außenstehenden Beurteiler herrschte,
in Berlin die Eröffnung des Völkerkunde-Museums zu einem
neuen Großkampftag des leidigen Museumskrieges, der auf sei-
nem Hauptschauplatz nun glücklich beigelegt zu sein scheint,
nachdem Bode und Hoffmann sich nach langjähriger Fehde
über den Weiterbau des Deutschen Museums geeinigt haben.

Kampf aller gegen alle ist das Motto des Berliner Kunst-
lebens. Die Juryfreien streiten mit den sehr ungleichen Brü-
dern, die sich zur großen Berliner Kunstausstellung zusam-
mengetan haben, um den Besitz des scheußlichen Glaspalastes
am Lehrter Bahnhof, während die Sezession vergebliche An-
strengungen macht, ein neues Ausstellungshaus für Berlin
zu schaffen. In München ist inzwischen eine Vereinigung der
vielen Künstlerverbände der Stadt zu einer gemeinsamen Aus-
stellung gelungen, die zugleich durch Einladungen zu einer
internationalen Veranstaltung erweitert wurde. Gewiß hat die
Dresdener Internationale den großen Vorzug der strafferen
Organisation, aber auch München hat doch eine große und
sehenswerte Ausstellung zustande gebracht, während in Berlin
die Kräfte verzettelt werden, über vielen, im einzelnen zu-
weilen durchaus anerkennenswerten Leistungen die große,
repräsentative Veranstaltung vergessen wird, die allein den
Anspruch Berlins auf den Rang als erste Kunststadt Deutsch-
lands legitimieren könnte.

Vor fünfundzwanzig Jahren, als Bode und Tschudi und
Liebermann die anerkannten Führer des Berliner Kunst-
lebens waren, begann die Reichshauptstadt München seinen
alten traditionellen Ruhm rasch streitig zu machen. Aber
den alten Führern sind keine würdigen Nachfolger er-
wachsen, und München macht allerlei wohl beachtenswerte
Anstrengungen, seinen einstigen Rang wiederzugewinnen.
Der Universität, die schon vor Jahren WTölfflin zu gewinnen
verstanden hatte, ist es jetzt gelungen, auf den durch Hautt-
manns frühen Tod verwaisten Lehrstuhl für neuere Kunst-
geschichte Wilhelm Pinder zu berufen, der unter der jünge-
ren Generation der Dozenten die hervorragendste Er-
scheinung ist.

Neben dem Staate ist auch die Stadt bestrebt, kunst-
politisch tätig zu sein. Sie hat einen der fähigsten Be-
amten der Pinakothek, Eberhard Ilanfstängl, vor Jahresfrist
zu ihrem Museumsleiter bestellt, und sie hat damit die Ge-
währ geschaffen für eine sinnreiche Abgrenzung der Sammel-
gebiete von Stadt und Staat, indem sie zugleich die Ver-
waltung ihres gesamten Kunstbesitzes dem neuen Direktor
unterstellte.

Man weiß, wie traurig es im Gegensatz um die städtische
Kunstpolitik Berlins bestellt ist. Anstatt die Gelegenheit
der Neubesetzung des Direktorpostens am Märkischen Mu-
seum für eine Vereinheitlichung der Kunstverwaltung zu
benutzen, ist das Gegenteil geschehen. Das Märkische
Museum ist weiter zu einem Aschenbrödeldasein verurteilt,
und die städtische Kunstdeputation unter dem Vorsitz des
ehrgeizigen Oberbürgermeisters kauft und bestellt Kunst-
werke in Konkurrenz mit der Nationalgalerie, mit denen
sie nichts Rechtes anzufangen weiß. Ein bedeutender früher
Liebermann wandert von einer Ausstellung zur anderen —
jetzt hängt er im Münchener Glaspalast — und eine Figur von
Lederer, der Berlins neuester Hofbildhauer geworden zu
sein scheint, ist Unter den Linden, vor dem Hotel Adlon,
ausgestellt.

Man hat in früheren Jahren so viel Klage geführt über
das persönliche Regiment des Kaisers in Dingen der Kunst.
Gewiß ist damals manches Schlimme geschehen, aber die
Kräfte waren reinlich geschieden, und der Kampf selbst hat
auch manches Gute gefördert, weil er die Gruppen zu
festerem Zusammenschluß zwang, weil es nicht jener heil-
lose Kampf aller gegen alle war, jene Führerlosigkeit, in
der das Berliner Kunstleben heute zersplittert. Was ist
nicht früher über die Marmorgruppen der kaiserlichen Sieges-
allee geschimpft und gespottet worden! Jetzt werden sie
sorgfältig gereinigt und ergänzt. Ist es ein Symptom? Kennt
die Kunstpflege der Republik keine bessere Aufgabe, als
die schlimmsten Zeugen des kaiserlichen Regiments in der
Reichshauptstadt mit aller Liebe zu erhalten?

Curt Glaser,

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