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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 4
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Glaser, Curt: Otto Dix
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0155

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Man wird ihre Arbeit nicht verleugnen, und man
wird doch nicht an ihre alleinige Berufung zu
glauben brauchen. Denn auch die Technik ist dem
Stilwillen ihrer Zeit unterworfen, soweit sie form-
schaffend sich betätigt. Auch der Photograph ar-
beitete „malerisch", solange der Geschmack der
Zeitgenossen es so wollte, und er folgt einem
neuen Sehbedürfnis, wenn er heute beginnt, seine
Linse scharf einzustellen, sein Objekt in hellem
Licht haargenau zu fixieren.

anders ein, genau wie die Linse des photographi-
schen Apparates es tut. Das Auge sieht nicht mehr
zuerst Tonwerte und farbige Zusammenhänge, son-
dern alle Einzelheiten der plastischen Form, es ver-
schleiert nicht mehr, sondern es enthüllt.

Man darf sich nicht wundern, daß es Augen,
die jahrzehntelang eingestellt waren, impressio-
nistisch zu sehen, schwer fällt, der Wert einer
plastisch-zeichnerischen Gestaltung zu erkennen.
Wie die Kunst Manets einmal revolutionierend

OTTO DIX, SÄUGLING. AQUARELL. 1924

BESITZ DER NATIONALGALERIE. MIT ERLAUBNIS DER GALERIE NEUMANN-NIERENDORF, BERLIN

Es ist darum nichts anderes als eine neue Auf-
lage des alten Irrtums Semperscher Theorien, wenn
der formschöpferische Wille verkannt wird, der in
der Konstruktion eines guten Automobiles sich
äußert, wenn man meint, das Prinzip vollendeter
Leistungserfüllung allein erzeuge einen das ästhe-
tische Gefühl befriedigenden Gebrauchsgegenstand.
Die Kunst aber ist nicht am Ende in einer Epoche,
in der auch der Ingenieur sich der Pflicht zur
Form bewußt wird, die Malerei nicht, wenn auch
der Begriff des Malerischen wieder einmal sich
wandelt. Nur das Auge des Malers stellt sich

wirkte, aufreizend bis zur tätlichen Gewalttat eines
in seinem heiligsten Glauben beleidigten Publikums,
so wehrt man sich heute gegen Dix, weil seine
Malerei alle Errungenschaften der in jahrzehnte-
langer Gewöhnung dem gleichen Publikum ver-
traut gewordenen Bildform in Frage stellt. Es soll
mit diesem Vergleiche nicht Dix mit Manet in
eine Reihe gesetzt werden, es soll nur betont
werden, daß der Widerstand, der sich gegen seine
Malerei erhebt, nicht so sehr durch ihren gewiß
oft aufreizenden stofflichen Inhalt als vielmehr
durch ihre Form in erster Reihe bedingt wird.

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