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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 4
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Cohn, William: Aus meinem ostasiatischen Reisetagebuch, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0164

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Ideen abhold, stachen in jedem Wort und in jeder
Geste vorteilhaft von dem Amerikaner ab. Jeder
Steg und Weg von Vijayanagar war ihnen be-
kannt, und sie erzählten von seiner Größe, als
handelte es sich um ihre eigene Vergangenheit.
Unser Standquartier Hospet liegt an zehn Kilo-
meter von der Ruinenstätte entfernt. Man muß
in einem feder- und sitzlosen zweirädrigen Wagen
dorthin fahren. Ein Versuch, auf dem Fahrrad
den Weg zu machen, bewies, daß das Klima auch
des Dekhan dem Europäer solche Experimente
nicht gestattet. Vijayanagar besitzt ebenfalls ein
Rasthaus, ein geräumiges sogar, das in einen halb-
zerstörten Shiva-Tempel eingebaut ist. Wir zogen
es aber vor, im Bungalow von Hospet zu logieren,
um so Gelegenheit zu haben, das Leben in einer
bescheidenen indischen Landstadt näher kennen zu
lernen. Nichts Trostloseres als solch ein Ortchen.
Wohl gibt es eine Hauptstraße, aber die meisten
Häuser sind wirr durcheinandergebaut. Man er-
stickt im Staub. Da Hospet an der Eisenbahn liegt
und aufblühend ist, gibt es viele neue Gebäude.
Trockenste physiognomielose Backsteinbauten, wie
sie nicht kläglicher in einer märkischen Landstadt
zu treffen sind. Speicher mit Wellblechdächern,
diesem geschmacklich vielleicht verheerendsten
europäischen Importartikel, fehlen nicht. Der Stolz
von Hospet ist ein Klubhaus, neben dem sich ein
Tennisplatz befindet. Man versäumte nicht, mir
diese Sehenswürdigkeit zu zeigen. Trostlos ist
auch ein Rundgang durch die Geschäftsläden der
Stadt. Uberall drängt europäische Maschinenware

die indische Handarbeit zurück. Unendlich depri-
mierend zu sehen, wie das prachtvolle indische
Messinggerät immer mehr von dem billigeren euro-
päischen Email- und Aluminiumgeschirr verdrängt
wird oder indische Stoffe von europäischen be-
druckten Baumwollwaren. Meine liebenswürdigen,
immer hilfsbereiten Freunde gehören zu den ange-
sehensten Familien der Stadt. Ich besuchte sie
öfters gegen Abend in ihrer Behausung. Die ver-
heirateten Söhne wohnen mit ihren Familien bei
den Eltern in drei Häuschen, die um einen klei-
nen Garten an der Hauptstraße liegen. In dem
linken Gebäude wohnen die Männer, das mittlere
enthält den Empfangsraum, im rechten hausen die
Frauen, die ich nie zu sehen bekam. In den klei-
neren Orten wird das Purdah-System noch streng
aufrecht gehalten. Auf den Straßen trifft man
nur die schwer arbeitenden Frauen der ärmeren
Schichten, aber auch sie ziehen beim Herannahen
eines Europäers sofort mit unnachahmlicher Geste
sich das Kopftuch über das Gesicht. Bei den Abend-
zusammenkünften fanden sich die Honoratioren
ein, der Bürgermeister, der Rechtsanwalt und der
Arzt. Kleinstaddeben ähnelt sich überall in der Welt.
Einmal gesellte sich auch ein Onkel zu uns, der den
Ort im Provinziallandtag in Madras vertritt, der
mit Ehrfurcht behandelte Stolz der Familie. Das
Gespräch drehte sich immer um dasselbe Thema:
Erziehung der Jugend und die Zukunft Indiens.
Ich hatte Gelegenheit, tieferen Einblick zu tun in
die Seelen dieser im Zwiespalt zwischen Ost und
West schwer ringenden Menschen.

(Fortsetzung folgt.)

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3 »ate]

STELE ZUR ERINNERUNG AN EINE WITWENVERBRENNUNG (SATI)

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