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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 5
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NEUE BÜCHER

Karl Scheffler, Die europäische Kunst im 19.
Jahrhundert. Band I. Berlin, Bruno Cassirer.

Großes und Schweres hat Scheffler unternommen mit
der „Geschichte der europäischen Kunst im neunzehnten Jahr-
hundert". Vor mir liegt der erste Band — mit 455 Text-
seiten und 242 Abbildungen —, der die Hälfte von der
Hälfte enthält. Der Weg der Malkunst wird verfolgt bis zu
dem Punkte, wo Manet einsetzt. Nach der Malerei soll
die Plastik betrachtet werden. Die Darstellung ist nicht rein
zeitlich, nicht nach den Generationen geordnet. Von Leibi,
von Klinger, Klinit und Trübner ist schon im ersten Bande
die Rede, von Malern, die Manets Zeitgenossen oder sogar
jünger als Manet gewesen sind. Die Gemeinsamkeit im
Geistigen und in der Gestaltungsabsicht ist zum obersten
Einteilungsprinzip gewählt; nach Entwicklungsphasen wird
der Stoff gegliedert, erst in zweiter Reihe nach den ört-
lichen und zeitlichen Umständen.

Die Ordnung, die Beherrschung bedeutet, die Herrschaft
voraussetzt, wird in einem einleitenden Kapitel theoretisch
begründet. Das folgende Schema läßt den Gedankenweg
ahnen:

I. Die strenge Form

a) Klassizisten

b) . Nazarener

c) Biedermeier

II. Die sich öffnende Form (Romantik)

a) Heldenlied

b) Akademische Romantik

c) Romantische Ironie

d) Intime Landschaft

e) Schönes Handwerk

f) Gedankenromantik.

Daß die Rechnung nicht rein aufgehen könnte, war dem
Verfasser sicherlich nicht verborgen. Die Begriffe sind
teilweise vag und allgemein. Wären sie genauer und inhalts-
reicher, dann ginge in sie, als in die Fächer, vieles nicht
hinein. Immerhin: wer Umstellungen versucht, wird bald
erkennen, daß Scheffler aus tiefer Erfahrung, wenn nicht
das Richtige, so doch das Richtigste getroffen hat. Die
wirre Masse wird jedenfalls übersehbar.

Die dankbar begrüßte, nicht zu entbehrende Auseinander-
legung bringt Gefahren mit sich. Die Grundsätze werden
zu Vorurteilen. Habe ich einen Maler unter die Rubrik „Ge-
dankenromantik" gestellt, so werde ich geneigt, diese Ein-
reihung zu verteidigen und hebe dabei gewisse Eigenschaften
dieses Malers ungebührlich hervor. Von der individuellen
Mannigfaltigkeit wird zugunsten des klaren und festen Gesamt-
bildes geopfert. Der Verfasser war sich dieser Not überall
bewußt und ringt, von Fall zu Fall mit empfänglichem
Kunstsinne beobachtend, erfolgreich nach Ausgleichung.

Für den Kunstfreund ist das neunzehnte Jahrhundert
eine heillose Periode. Betrachten wir die Kunstwerke ab-
gelöst von den literarischen, wirtschaftlichen, politischen,
weltanschaulichen Bewegungen, so bleibt nicht allzuviel
übrig, namentlich was die erste Hälfte des Jahrhunderts be-
trifft. Die Malerei hat damals bedenklich poetisiert. Nun

kann das Genie sich ungestraft sogar mit der Politik ein-
lassen, wie Daumiers Beispiel beweist. Nur daß die Männer,
die zu Ansehen kamen und das Kunstleben beherrschten,
keine Genies waren, ja nicht einmal starke Talente; sie wer-
teten sich und wurden geschätzt nach der Höhe der Ge-
danken und der Tiefe der Gefühle, gleichviel ob, wie weit
und wie sie Gedanken und Gefühle im Malwerke versinn-
licht hatten.

Wir stehen jenem Zeitraum noch recht nah. Unser Ge-
mütsleben, unsere Bildung wurzelt in der Gedankenwelt,
die Millet, Böcklin, Klinger verbildlicht haben. Deshalb ge-
lingt es schwerlich, jenen Meistern gegenüber den Stand-
punkt des Kunstkenners einzunehmen und darauf zu be-
harren. Freilich unterscheidet Scheffler aufs schärfste zwi-
schen dem Bildgedanken an sich und seiner Realisierung,
er mißt den Grad der Versinnlichung. Dennoch respektiert
er die heroische Strebsamkeit, die er auf Irrwegen antrifft.
Er ist milder gegen Bildungsdünkel und philiströse Pedan-
terie als gegen Eitelkeit und Theaterei. Den Standpunkt
des Kunstkenners hält er den Franzosen gegenüber eher
fest als den Deutschen. Millet kommt schlechter weg als
Cornelius. Die englische Produktion wird aus der Ferne
betrachtet, gerade deshalb in gewissem Sinne gerecht und
folgerichtig. Die Bewegung, die von Ruskin ausging, lehnt
Scheffler kühl ab und hält sich damit nicht lang auf. Selbst
Constable, dessen Mission vortrefflich zur Anschauung ge-
langt, wird ohne Liebhaberei betrachtet. Dort fehlen eben
jene Fäden der Gefühlstradition, die den Verfasser mit der
deutschen Vergangenheit verbinden. Hier beschäftigen den
Betrachter die Charaktere, dort fast nichts als die sichtbaren
Produkte, deren Künstlichkeit und Dürftigkeit nicht durch
Sympathie für hohes Streben und redliches WTollen ver-
schleiert werden.

Schefflers charaktervolle Gerechtigkeit, sein unabhängiges
Urteil, seine Fähigkeit zu eindeutiger und anschaulicher For-
mulierung sind den Lesern dieser Zeitschrift wohl vertraut.
Ich kann das Lob, das an dieser Stelle als taktlos empfun-
den werden könnte, auslassen. Sagen will ich nur, daß die
Mühe, die mit der Verpflichtung zur Vollständigkeit ver-
bunden ist, dem zusammenfassenden Texte nichts von der
frischen Lebendigkeit genommen hat, die den Essays des
Verfassers eigen ist. M. J. Friedländer.

Hermann Beenken, Romanische Skulptur in
Deutschland. Klinkhardt & Biermann. 1924.

Die romanische Plastik des Mittelalters ist bisher immer
noch eines der großen Rätsel der Kunstgeschichte. Eine
Reihe volkstümlicher Bilderatlanten hat sich dieses Stoff-
gebietes bemächtigt, weil es dem heutigen Modegeschmack
entspricht. So ist ein Teil dieser unserem Gefühl so ver-
traut gewordenen Kunstwerke heute wenigstens durch Ab-
bildungen veröffentlicht. Zur ernsthaften Eindringung aller-
dings fehlte den Herausgebern der meisten Sammlungen
dieser Art, wie Hausenstein und Lüthgen, das wissenschaft-
liche Rüstzeug. Um so erfreulicher ist es, von einer Arbeit
berichten zu können, die durch die Wildnis Pfade bahnt.

- - nnr in ^

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