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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 7
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Scheffler, Karl: Edvard Munch in der Berliner Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0290

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Ausdruck gegeben haben. Verewigt wird Münchs Malerei
durch Eigenschaften anderer Art. Wie er Männer in ganzer
Gestalt porträtiert, wie er sie als Gesamtpersünlichkeiten
faßt und sie wesenhaft hinstellt: darin ist er heute einzig.
Nicht daß die Dargestellten besonders fest auf dem Boden
ständen; im Gegenteil, sie schweben mehr als gut ist in
der Luft und im Raum. Menschlich sind sie aber im Kern
erfaßt, sind sie völlig realisiert und darum von einer Ähn-
lichkeit, die nicht den ersten Blick besticht, sondern bestän-
dig wächst. Die Frau malt Münch nicht in derselben Weise;
sie sieht er mehr gattungshaft, mehr tierchenhaft — alle seine
Frauen haben etwas von Eva. Curt Glaser hat hier im vorigen
Heft erzählt, daß Münch seine Bilder ungern weggibt, weil
er immer noch etwas daran zu vollenden, zu bessern findet.
In der Tat ist auch an fast allen noch etwas zu tun; Münch
ist ein Meister innerhalb des Fragmentarischen. Um so er-
greifender ist es dann aber, wenn von wenigen Tönen und
Tonverbindungen eine Stimmung ausgeht, daß man die Natur
selbst zu schmecken glaubt. Keiner malt wie Münch den
Schnee, wenn er im Frühling schmelzen will, wenn Sonne
und Kälte, Frühling und Winter miteinander streiten, keiner
malt so die Luft und das Licht des nordischen Frühlings,
den feuchten Wind und das Knospen der Bäume. Weiter-
leben wird der meisterhafte Darsteller des Diesseitigen, der

Darsteller der Erscheinung, der zugleich den Sinn der Er-
scheinung gibt, der Gestalter jener in aller Einsamkeit nicht
menschenfremd gewordenen Gefühle, die sich durchaus des
Auges und des Augen-Blicks bedienen. Den Nachgeborenen
wird endlich auch der große Dekorateur noch etwas bedeuten,
der mit schönem menschlichen Schwung Melodien gewinnt
aus Lust und Leid, aus Trauer und Jubel, der das Ergründende
so gibt, daß es schmückend wird, und der der Nacht nordischer
Winter sowohl wie dem Licht nordischer Sommer seine dun-
kelhelle Kunst mit ergreifender Inbrunst abgewonnen hat.

Aufgestellt sind die Bilder in den ungünstigen Räumen
verhältnismäßig gut. Auch der Gruppierung kann man im
wesentlichen zustimmen. Vor den zum Teil recht guten
Munchausstellungen früherer Jahre (Sezession, Gurlitt, Paul
Cassirer)_hat diese Veranstaltung voraus, daß sie sehr umfang-
reich ist und daß sie Bilder aus norwegischen Museen und Pri-
vatsammlungen zeigen kann, die man noch nie gesehen hat
und die zum Teil das Beste mit sind, was Münch gemacht
hat. Hoffentlich wird nun lange Versäumtes nachgeholt und
etwas für die Nationalgalerie erworben. Und hoffentlich wird
das beste Erreichbare gewählt.

Das Kupferstichkabinett zeigt zu gleicher Zeit seinen
reichen und schönen Besitz an graphischen Arbeiten Münchs
in den Ausstellungsräumen für moderne Kunst.

EDVARD MÜNCH, WEINENDES MÄDCHEN. 1913

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