fungen dieser Epoche würdig an. Es folgen Aktzeichnungen
und Kompositionsstudien aus den verschiedensten Phasen
der Entwicklung des Meisters, darunter eine prachtvolle
Kreidezeichnung des in starker Verkürzung gesehenen, am
Boden liegenden Leichnams Christi aus dem Jahre 1505,
zwei Madonnendarstellungen von 1512, eine Grablegung
Christi, die in die Reihe der im dritten Jahrzehnt entstan-
denen Vorarbeiten für eine letzte Passion gehört.
Es ist merkwürdig genug, daß dieser Schatz in einer
öffentlichen Sammlung so lange verborgen bleiben konnte.
Aber es ist höchst erfreulich, daß auch in unserer Zeit noch
so erstaunliche Entdeckungen möglich sind. Denn dieser
Dürer-Fund ist an Bedeutung wohl vergleichbar der Serie
von Grünewald-Zeichnungen, die Friedländer vor ein paar
Jahren aus einem Klebeband der Sammlung Savigny ans
Licht ziehen konnte.
HERMANN OBRISTt
Im Februar starb in München Hermann Obrist, dessen
Name dauernd mit der merkwürdigen Kunstbewegung, die
Jugendstil genannt wird, verknüpft sein wird. Eine eigen-
artige, lebendige Persönlichkeit, die eine Fülle von Ideen
auszustreuen wußte, die freilich alles auf sich selbst bezog,
in sich aber Schwung und Fülle hatte; ein Künstler, der mit
seltsamen Stickereien begann und als Bildhauer von Brunnen
und Grabmonumenten endete. Er wollte die abstrakte Form
und den reinen Ausdruck. Im letzten Jahrzehnt hat er nichts
mehr gezeigt. Doch erzählte er etwas geheimnisvoll von neuen
Arbeiten, die im Atelier fast vollendet sein sollen. Vielleicht
erfährt die Öffentlichkeit nun etwas von diesen sicher inter-
essanten Formexperimenten aus einem Laboratorium für die
Erforschung der Form an sich. In der Geschichte der ar-
chitektonischen Künste wird der Name Obrist neben den
Namen Pankok, Endell, van der Velde u. a. noch oft genannt
werden. Mit Obrist ist einer der begeisterungsfähigsten Men-
schen seiner Epoche dahingegangen. Seine Anregungen wer-
den fortwirken.
CAFE SCHOTTENHAML
Zu unseren Ausführungen über das neue Berliner Cafe
Schottenhaml im Märzheft schreibt uns Herr Dr. Alfred Kuhn
das Folgende:
„Soeben kommt Ihre Zeitschrift, die ich wie immer mit
ganz besonderem Vergnügen gelesen habe. Sie haben dies-
mal darin auch über das neue Cafe Schottenhaml geschrieben,
aber sind Sie nicht etwas zu streng dabei gewesen? Der
Vergleich mit den Cafes der romanischen Länder stimmt
nicht ganz, wie mir scheint, auch nicht jener mit den Alt-
berliner Konditoreien. In die letzteren ging man doch, um
literarisch oder politisch zu diskutieren, oder um seine Zei-
tungen zu lesen. Damen waren kaum da. Von Musik war
nicht die Rede, vom Tanzen erst recht nicht. In den Cafes
von Paris, Rom oder Madrid ist es nicht anders, im Gegen-
teil. Sie werden einzig und allein von Männern besucht,
die dort politisieren oder Geschäfte machen.
Das neue Berliner Cafe ist eigentlich weniger Cafe als
Tanzdiele, die Musik beherrscht es, die kleinen Mädchen
geben ihm das Gepräge. Zweck und Sinn ist der große
Klimbim und Trara. Ich finde, Oskar Kauffmann hat dies
ganz vorzüglich begriffen: Wie bei der Jazzmusik ein In-
strument das andere überschreit, so überschreit in diesem
Cafe ein Raum den anderen und bringt mit blitzenden Wän-
den, bunten Vögeln, grotesken Ornamenten und schillernder
Beleuchtung eben jene Karnevalsstimmung hervor, die von
einem Charleston oder Black Bottom nicht Zu trennen ist.
Man kann sagen, daß dies einem kultivierten, aus der
Sphäre Goethes herausgewachsenen Geschmack unsympathisch
ist und kann damit die ganze geistige Einstellung negieren.
Aber über das Cafe Schottenhaml als solches den Stab
brechen, das ist doch zu streng. Daß im einzelnen Entglei-
sungen dabei vorgekommen sind, wie das Berliner Porzellan-
kabinett, das aus dem Stil des Ganzen herausfällt, gebe ich
gern zu. Epater le bourgeois! Der Fremde staunt, der Pro-
vinzler ist geschmissen, den kleinen Mädchen geht es won-
niglich den Rücken herunter. Was will man eigentlich mehr
von einem Tanzcafe am Tiergarten?"
Antwort: Handelt es sich nicht doch mehr um ein sehr
bürgerliches, sogar provinziell bürgerliches Cafe, in dem
hinten auch etwas getanzt wird? Mag aber die Aufgabe ge-
wesen sein, wie sie will, jedenfalls mußte sie mit Geschmack,
mit Haltung erledigt werden. Eine Kokotte sogar kann ihrem
Beruf entsprechend auffallend gekleidet und doch gut ge-
kleidet sein. Ist sie dieses aber, so unterscheidet sie sich
nicht einmal sehr von der Dame. Berliner, die nicht gar zu
jung sind, erinnern sich vielleicht noch des „Alten Ballhauses".
Karl Walser hat es reizend gemalt. Dort wurde nur getanzt
und alles andere war sehr unzweideutig. Wie gut sahen aber
die Menschen, sahen die Frauen in diesen alten klassizistischen
Räumen aus! Das eben ist es ja: das Tanzcafe Schotten-
haml erfüllt seinen Zweck nicht, weil die Wirkungen so
roh sind, weil der Rahmen zum Selbstzweck geworden ist.
In Kauffmanns Theatern ist es nicht viel anders; es liegt in
diesem Talent eine Wirkungssucht, die alle seine Arbeiten
um die Wirkung bringt. Daß er Wünsche breiter Bevölke-
rungsschichten zu befriedigen weiß, ist richtig. Wenn wir
diese Tatsache aber als Beweis für sein gutes Recht, zu ar-
beiten, wie er es tut, gelten lassen — ja, warum bemühen
wir uns dann eigentlich um das, was wir Qualität, was wir
die öffentliche Moral der Qualität nennen? Wenn das „kleine
Mädchen" den Ausschlag gibt, hat die Kunstkritik ein Ende.
Vielleicht meint Herr Kuhn, das sei gar nicht so übel.
Na ja — aber wer soll mit dem Verzicht beginnen?
THEODORE DURETt
Theodore Duret ist wenige Tage nur nach dem Tode
Claude Monets gestorben. Mit dem letzten Maler der großen
Generation der Impressionisten ist auch der letzte Über-
lebende unter ihren literarischen Vorkämpfern und Für-
sprechern dahingegangen. Duret hatte im Jahre 1862 Courbet
kennen gelernt, war im Jahre 1863 mit Manet in Madrid
zusammengetroffen, war der Freund Whistlers gewesen, war
mit Cernuschi zusammen nach Japan gereist, zu einer Zeit
als es noch ein Wagnis war, das unerschlossene Land zu
betreten, als man in Paris noch kaum etwas von den Holz-
schnitten wußte.
Duret war von Beruf Politiker und Historiker gewesen, ehe
278
und Kompositionsstudien aus den verschiedensten Phasen
der Entwicklung des Meisters, darunter eine prachtvolle
Kreidezeichnung des in starker Verkürzung gesehenen, am
Boden liegenden Leichnams Christi aus dem Jahre 1505,
zwei Madonnendarstellungen von 1512, eine Grablegung
Christi, die in die Reihe der im dritten Jahrzehnt entstan-
denen Vorarbeiten für eine letzte Passion gehört.
Es ist merkwürdig genug, daß dieser Schatz in einer
öffentlichen Sammlung so lange verborgen bleiben konnte.
Aber es ist höchst erfreulich, daß auch in unserer Zeit noch
so erstaunliche Entdeckungen möglich sind. Denn dieser
Dürer-Fund ist an Bedeutung wohl vergleichbar der Serie
von Grünewald-Zeichnungen, die Friedländer vor ein paar
Jahren aus einem Klebeband der Sammlung Savigny ans
Licht ziehen konnte.
HERMANN OBRISTt
Im Februar starb in München Hermann Obrist, dessen
Name dauernd mit der merkwürdigen Kunstbewegung, die
Jugendstil genannt wird, verknüpft sein wird. Eine eigen-
artige, lebendige Persönlichkeit, die eine Fülle von Ideen
auszustreuen wußte, die freilich alles auf sich selbst bezog,
in sich aber Schwung und Fülle hatte; ein Künstler, der mit
seltsamen Stickereien begann und als Bildhauer von Brunnen
und Grabmonumenten endete. Er wollte die abstrakte Form
und den reinen Ausdruck. Im letzten Jahrzehnt hat er nichts
mehr gezeigt. Doch erzählte er etwas geheimnisvoll von neuen
Arbeiten, die im Atelier fast vollendet sein sollen. Vielleicht
erfährt die Öffentlichkeit nun etwas von diesen sicher inter-
essanten Formexperimenten aus einem Laboratorium für die
Erforschung der Form an sich. In der Geschichte der ar-
chitektonischen Künste wird der Name Obrist neben den
Namen Pankok, Endell, van der Velde u. a. noch oft genannt
werden. Mit Obrist ist einer der begeisterungsfähigsten Men-
schen seiner Epoche dahingegangen. Seine Anregungen wer-
den fortwirken.
CAFE SCHOTTENHAML
Zu unseren Ausführungen über das neue Berliner Cafe
Schottenhaml im Märzheft schreibt uns Herr Dr. Alfred Kuhn
das Folgende:
„Soeben kommt Ihre Zeitschrift, die ich wie immer mit
ganz besonderem Vergnügen gelesen habe. Sie haben dies-
mal darin auch über das neue Cafe Schottenhaml geschrieben,
aber sind Sie nicht etwas zu streng dabei gewesen? Der
Vergleich mit den Cafes der romanischen Länder stimmt
nicht ganz, wie mir scheint, auch nicht jener mit den Alt-
berliner Konditoreien. In die letzteren ging man doch, um
literarisch oder politisch zu diskutieren, oder um seine Zei-
tungen zu lesen. Damen waren kaum da. Von Musik war
nicht die Rede, vom Tanzen erst recht nicht. In den Cafes
von Paris, Rom oder Madrid ist es nicht anders, im Gegen-
teil. Sie werden einzig und allein von Männern besucht,
die dort politisieren oder Geschäfte machen.
Das neue Berliner Cafe ist eigentlich weniger Cafe als
Tanzdiele, die Musik beherrscht es, die kleinen Mädchen
geben ihm das Gepräge. Zweck und Sinn ist der große
Klimbim und Trara. Ich finde, Oskar Kauffmann hat dies
ganz vorzüglich begriffen: Wie bei der Jazzmusik ein In-
strument das andere überschreit, so überschreit in diesem
Cafe ein Raum den anderen und bringt mit blitzenden Wän-
den, bunten Vögeln, grotesken Ornamenten und schillernder
Beleuchtung eben jene Karnevalsstimmung hervor, die von
einem Charleston oder Black Bottom nicht Zu trennen ist.
Man kann sagen, daß dies einem kultivierten, aus der
Sphäre Goethes herausgewachsenen Geschmack unsympathisch
ist und kann damit die ganze geistige Einstellung negieren.
Aber über das Cafe Schottenhaml als solches den Stab
brechen, das ist doch zu streng. Daß im einzelnen Entglei-
sungen dabei vorgekommen sind, wie das Berliner Porzellan-
kabinett, das aus dem Stil des Ganzen herausfällt, gebe ich
gern zu. Epater le bourgeois! Der Fremde staunt, der Pro-
vinzler ist geschmissen, den kleinen Mädchen geht es won-
niglich den Rücken herunter. Was will man eigentlich mehr
von einem Tanzcafe am Tiergarten?"
Antwort: Handelt es sich nicht doch mehr um ein sehr
bürgerliches, sogar provinziell bürgerliches Cafe, in dem
hinten auch etwas getanzt wird? Mag aber die Aufgabe ge-
wesen sein, wie sie will, jedenfalls mußte sie mit Geschmack,
mit Haltung erledigt werden. Eine Kokotte sogar kann ihrem
Beruf entsprechend auffallend gekleidet und doch gut ge-
kleidet sein. Ist sie dieses aber, so unterscheidet sie sich
nicht einmal sehr von der Dame. Berliner, die nicht gar zu
jung sind, erinnern sich vielleicht noch des „Alten Ballhauses".
Karl Walser hat es reizend gemalt. Dort wurde nur getanzt
und alles andere war sehr unzweideutig. Wie gut sahen aber
die Menschen, sahen die Frauen in diesen alten klassizistischen
Räumen aus! Das eben ist es ja: das Tanzcafe Schotten-
haml erfüllt seinen Zweck nicht, weil die Wirkungen so
roh sind, weil der Rahmen zum Selbstzweck geworden ist.
In Kauffmanns Theatern ist es nicht viel anders; es liegt in
diesem Talent eine Wirkungssucht, die alle seine Arbeiten
um die Wirkung bringt. Daß er Wünsche breiter Bevölke-
rungsschichten zu befriedigen weiß, ist richtig. Wenn wir
diese Tatsache aber als Beweis für sein gutes Recht, zu ar-
beiten, wie er es tut, gelten lassen — ja, warum bemühen
wir uns dann eigentlich um das, was wir Qualität, was wir
die öffentliche Moral der Qualität nennen? Wenn das „kleine
Mädchen" den Ausschlag gibt, hat die Kunstkritik ein Ende.
Vielleicht meint Herr Kuhn, das sei gar nicht so übel.
Na ja — aber wer soll mit dem Verzicht beginnen?
THEODORE DURETt
Theodore Duret ist wenige Tage nur nach dem Tode
Claude Monets gestorben. Mit dem letzten Maler der großen
Generation der Impressionisten ist auch der letzte Über-
lebende unter ihren literarischen Vorkämpfern und Für-
sprechern dahingegangen. Duret hatte im Jahre 1862 Courbet
kennen gelernt, war im Jahre 1863 mit Manet in Madrid
zusammengetroffen, war der Freund Whistlers gewesen, war
mit Cernuschi zusammen nach Japan gereist, zu einer Zeit
als es noch ein Wagnis war, das unerschlossene Land zu
betreten, als man in Paris noch kaum etwas von den Holz-
schnitten wußte.
Duret war von Beruf Politiker und Historiker gewesen, ehe
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