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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 8
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Kuhn, Alfred: Hermann Haller der Bildhauer und der Kunstfreund: ein Dialog
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0322

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Zigarrettenreste. In der Ecke ein Grammophon. Viel
Sraub.

Die Tür ist offen. Sie führt auf einen wilden Garten.
Romulus und Remus, zwei langhaarige Hunde, toben darin.

jer Kunstfreund (Es ist nicht der übliche Kunstfreund,
der nur kommt, um vielleicht ein nacktes Modell zu
sehen. Es ist auch nicht der gottgewollte Kunstfreund, der drei
große Plastiken in Bronze bestellt und die Hälfte gleich bezahlt,
sondern es ist der wißbegierige Kunstfreund. Er war schon
in vielen Ateliers, ist gut gelitten, kennt das Metier und
schreibt in den Gazetten.):

„Arbeiten Sie eigentlich nach der Natur, lieber
Haller, oder aus der Vorstellung?"

Der Bildhauer: „Ja, das ist nicht so einfach zu
beantworten. Der Anfang ist immer ein Natur-
eindruck. Ich sehe irgendwo eine Bewegung —
es braucht gar nicht immer beim Akt zu sein —,
die muß ich dann gestalten. Im Atelier forme
ich sie mir nach. Das vertritt etwa jene Bleistift-
skizze, von der Sie in Ihrem Maillol-Buch geschrie-
ben haben. Das Zeichnen liegt mir nicht. Ich
notiere alles sofort in den Ton. Eine Unmenge
Studien entstehen, bis ich an die Ausführung einer
Figur selbst gehe."

Der Kunstfreund: „Und arbeiten Sie dann
nach der Natur?"

Der Bildhauer: „Nach dem Gedächtnis unbe-
dingt, es ist bei mir sehr gut geraten. Seltener
direkt vor der Natur. Dabei ist es manchmal
gar zu komisch. Man meint, etwas sklavisch nach
der Natur gemacht zu haben und besieht man es
nach einiger Zeit und spricht mit jemand darüber,
der etwas versteht, so merkt man, daß man doch
wieder stilisiert hat."

Der Kunstfreund: „Man kann eben nicht be-
wußt einen Stil machen."

Der Bildhauer: „Bestimmt nicht. Formen zwei
rechte Kerls denselben Gegenstand, so kommen
zwei ganz verschiedene Dinge heraus."

Der Kunstfreund: „Beschäftigen Sie auch be-
stimmte ,Probleme'?"

Der Bildhauer: „Eigentlich nicht. Mindestens
nicht rein theoretisch. Letzten Endes habe ich
alles noch vom Modell selbst bekommen. Da sehen
Sie einmal diese Figur an. Das Original, ein schö-
nes Mädchen, kannte ich in Paris. Es hat mir auf
einmal das Bewußtsein des Dreidimensionalen ge-
geben. Ich merkte bei ihm, wie kubisch so ein
Körper ist, wie rund der Rumpf. Man hat diese
Art oft bei den Romanen. Der Typus hat mich

lange verfolgt. Eine ganze Reihe ähnlicher Ar-
beiten ist damals entstanden."

Der Kunstfreund: „Also hat Ihnen die Natur
die Idee vermittelt, die Sie dann wiederum durch
die Natur realisierten?"

Der Bildhauer: „Das ist sehr gebildet ausge-
drückt, aber es stimmt wohl. Es ist genau die-
selbe Sache mit dem ,gestreckten Typus' gewesen.
Einmal in Paris habe ich vor einem Modell das
Gefühl gehabt, als ob es gewichtlos sei. Sehen
Sie, es ist dieses schmale, schlanke Geschöpf. Es
schien sich aus sich selbst herauszustrecken, empor-
zuwachsen. Das hat mich außerordentlich gereizt.
Immer wieder habe ich Ahnliches gemacht."

Der Kunstfreund: „Sie haben bei allen die
Arme fest an den Körper gelegt, damit der verti-
kale Duktus in keiner Weise gestört werde. Bei
einer haben Sie die Arme sogar ganz weggelassen.
Fast alle stehen auf den Fußspitzen, eine noch auf
einer Kugel, damit ja nicht das Gefühl des Lasten-
den aufkommen könne."

Der Bildhauer: „Ja, man treibt eine Idee, die
einen interessiert, oft durch ein Dutzend Beispiele
hindurch, bis man glaubt, das erreicht zu haben,
was einem vorschwebt. Augenblicklich interessiert
mich ,der lange Atem der Form'. Ich will es
Ihnen erklären. Sehen Sie einmal, wie an diesem
Kopf die Schläfenlinie nach hinten weiterläuft,
um den ganzen Kopf herum. Gewiß, Sie haben
recht, das ist eine selbstverständliche Sache bei
einer guten Plastik: die Einzelform darf nicht als
solche bestehen, sie muß aufgehen in der Gesamt-
form. Lange habe ich das alles ganz unbewußt
gemacht."

Der Kunstfreund: „Mit etwas an Ihren Wer-
ken bin ich nicht einverstanden. Es ist die rauhe
Oberfläche der Figuren. Früher war das noch nicht
so deutlich wie gerade in der letzten Zeit. Neh-
men Sie etwa die beiden Frauen im Muraltengut
in Zürich. Ich meine, man muß die Oberfläche
glätten. Man darf diese Risse in der Epidermis
nicht stehen lassen. Das Licht spielt darin und
bringt malerische Wirkungen hervor. Das Tastbare
der Einzelform geht verloren, was nicht minder
wichtig ist, wie der Duktus der Gesamtform."

Der Bildhauer: „Ich kann eine Figur nicht wei-
ter führen, als bis alles das da ist, was ich mit
ihr wollte. Das Fertigmachen ist doch eine öde,
unfruchtbare Arbeit."

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