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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 9
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Gehrig, Oscar: Ernst Barlachs Gefallenenmal im Dom zu Güstrow
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0372

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ERNST BARLACH, DAS GEFALLENENMAL IN GÜSTROW. VORDERANSICHT

MIT ERLAUBNIS DES VERLAGES FAUL CASSIRER, BERLIN. PHOTO: WALTER BLOCK, GÜSTROW

fast bis zur Zeitlosigkeit Ausgereiftes aus seiner
Werkstatt gehen ließ, etwa so, wie er es in sei-
nem 1911 für die Kieler Nikolaikirche geschaffenen
Mal getan hat, in jener großen Holztafel mit dem
Relief der von Schwertern umringten, trauernd
ihr Antlitz verhüllenden Mutter, die uns noch ein-
mal in dem ergreifenden Steindruck unter dem
Texte: „Dona nobis pacem" begegnet.

Das Güstrower Monument ist nach Idee und
Lösung ganz einzigartig. Unter dem ersten Gewölbe
der halbdunklen nördlichen Abseite des Domes
hat der Künstler über dem dort stehenden, alten
schmiedeeisernen und kreisrunden Füntengitter, in
das ein Stein mit den Jahreszahlen 1914 — 1918 ein-
gelassen ist, etwa zweieinhalb Meter hoch frei-
hängend in wagrechter Lage eine überlebensgroße
Figur angebracht. Eine gewaltige Gelbbronze, bei
deren Guß Noack auch die feinste Struktur des
Modells herausgeholt hat. Es ist erstaunlich, wie
der „Holzschnitzer", aus dessen Hand vordem jene
faszinierenden Keramiken und Porzellane hervor-
gegangen sind, sich auch auf dieses Material ein-
gestellt hat, wie der Metallcharakter in einzelnen

Partien wie am
Kopfe und dem

Gewandansatze
meisterlich zur
Geltung kommt.

Der Erde ent-
rückt schwebt die
Figur so im freien
Raum, den Blick
nach innen ge-
richtet, und gibt
der seelischen Hal-
tung, die wir zum
Kriege und seinen
Opfern einneh-
men, stummen
Ausdruck. Sie ist
formgewordenes
Ebenbild des Gei-
stes, der sich nach
so vielen leidvol-
len Tagen und
Nächten frei ge-
macht hat von der
Erdenschwere. So
soll diese Gestalt weder einem Engel gleichen, noch
durch den Raum schweben, vielmehr ruht sie bei
ihrer betonten Horizontalen und dem ausgeglichenen
Formverlauf allein schon ganz in sich, von innerem
Erleben und Erschauern überwältigt. Wer dies herb
und groß geformte Antlitz, das allenfalls vergleich-
bar ist jenen in ihrer Grundform bezwingenden
Köpfen ägyptischer Plastik, gesehen hat, wird es
nie mehr vergessen können. Ebensowenig wird
man den Eindruck los werden, den das über die
großen, weichen Flächen des Leibes gleitende Halb-
licht hinterläßt. Das Ganze strömt feierliche Ruhe
aus, Ernst und Würde umschleichen diesen Ort, an
dem die Beschauer, fern jeder Hurrastimmung, höch-
stens zu flüstern wagen. Kaum jemals mag der Re-
quiemgedanke, hier der einzig berechtigte,sinnfälliger
ausgedrücktworden sein. Man steht in dieser Halle mit
Empfindungen ähnlich denen unter dem Are de tri-
omphe oder am Grabe inWestminster Abbey, nur mit
dem Unterschiede, daß in unserem Falle das große
Mahnwort durch den Mund eines Künstlers ausge-
sprochen wird, der dem säkularen Ereignis innerlich
wie äußerlich gerecht zu werden imstande war.

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