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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 9
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Fischel, Oskar: Ein Theater-Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0383

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zulegen verstanden, aber uns fehlt die Fähigkeit, das Bild
vom zuckenden Leben des Darstellers zu bannen. Seit Gene-
rationen ist es den Künstlern kaum noch gegeben, jenen Reiz
von Glanz und huschendem Spiel da oben so aufzufangen,
wie er herabvvirkt; und doch waren sie gerade in alten Zeiten
unter vielen Empfänglichen die erregtesten, weil in ihnen jenes
physische Schwung- und Tanzgefühl, der Sinn für die von Musik
und Wort unzertrennliche Bewegung mitschwang, als kultisches
Erleben, als Element einer Geist und Körper im Gleichgewicht
umfassenden Bildung. Warum müssen wir heute in der Irre
suchen nach dem Bild von Erscheinungen, wie Mitterwurzer,
Kainz, Krauss, der Bergner, Massary, Pawlowa, und all der
wenigen beglückenden und hinreißenden Erscheinungen?
Warum weht uns aus Menzels „Gvmnase", aus Slevogts
d'Andrade dieser so geheimnisvoll zwingende Zauber einer
Äußerung an, die uns fast sagenhaft vom antiken Drama,
von der Wirkung der Mysterien, von Oper und Tanz des
achtzehnten Jahrhunderts herüberklingt?

Die Bekenntnisse ergriffener Künstler, denen das Nach-
bilden des Seelischen im Bühnenvorgang gelang, gelingen
mußte, weil es von ihnen, die sich mitten in der Gemeinde
fühlten, ein Teil war, sie sind die wahren Zeugnisse der
Theatergeschichte, nicht die paar Abbildungen auf graphi-
schen Blättern, unter denen der Titel des Stückes, der Name
des Spielers steht. Nicht aus Akten gewinnen Leben und
Geist vergangener Zeiten für uns den Pulsschlag, den wir
zur Beseelung brauchen, uns müssen poetische Quellen
springen; und diese Sprache der Dichter hören wir aus
den Werken der bildenden Künstler, wenn sie das bewegte
bildende Kunstwerk der Bühne in sich noch einmal nach-
gestalten.

In solchem Geist entstand das Scala-Museum: es wußte in
dem von lebender Kunst durchwehten Bau das Wesen der
Alten wahrhaft fruchtbringend wachzuhalten. An den Wänden
wechseln rhythmisch Bilder dramatischer Szenen mit höchst
künstlerischen Porträts von Schauspielern und Sängern in
ihren Rollen. Um die großen Epochen in Drama, Oper und
Ballett zu beschwören, hat man die Sammlung des französi-
schen Liebhabers Sambon erworben und im Augenblick be-
saß man das Theater-Museum.

Aus antiken Terrakotten, Figuren und Masken, von
unteritalienischen Vasen sprüht uns jenes zwingende Leben
an, das kultisch und immer voll Dämonie für Jahrhunderte
das festlich Überirdische im Rund des Theaters mit und
neu erleben ließ. Die italienische Commedia dell'Arte gau-
kelt und tollt in Porzellanen von Meißen und Capodimonte
vorbei; ein besonderer Schatz für dieses Museum, wie für
die Kenntnis alter Spielmöglichkeiten diese Reihe halb-

lebensgroßer farbiger Terrakotten: die Masken des Dottore
Arlecchino, Florindo, Rosaura, Pantalone. Über den unge-
hemmten Ausbruch von Laune, den wahrhaften Entladungen
wird noch derselbe Rhythmus Meister, der in allem Zu-
sammenklang von Mensch und Raum die Barockoper be-
herrschte.

Zwischen so viel buntes, glitzerndes, zuckendes Leben
darf sich auch das Bibelot wagen, die Reliquie, die nur
geistig mit den großen Lebenserzeugern des Theaters ver-
bunden ist. In Vitrinen finden sie sich zur köstlichsten Ab-
wechslung: die Büsten der großen Dichter in Versen und
Tönen, ihre Totenmasken blicken auf ihre Entwürfe und
Briefe, die sie geschrieben — von Verdi eine Originalpartitur,
Romeos Schwert, der Catalani mit einem schmeichelhaf-
ten Brief Bonapartes verehrt. Autographen von Volfango
Mozart und Volfango Goethe, Bildnisse, Miniaturen, Me-
daillons in Wachs, Biskuir, selbst Perlmutter, Fächer, Musik-
instrumente, Theaterzettel, nichts tut hier weh, denn im
Augenblick, da es als Wissensstoff oder als nur dem Intel-
lekt verbundene Scharteke tot erscheinen will, sprüht etwas
vom Leben jener Quellen daraufhin, das alles in Bewegung
setzen kann, wie die Liebe, die diese Dinge hervor- und
zusammenbrachte.

Selten sind Museen, in denen man diese festlichen
Stunden erneuerten Lebens gewinnen kann: unser Monbijou-
Museum, die Meisterleistung Paul Seidels, die eben wieder
neu für sich wirbt, ist eines, das andere das Musee Carna-
valet im Palais der Mme de Sevigne. Das Theater-Museum
der Scala gehört zu ihnen und es hat noch die Macht der Anre-
gung in sich. In dem scheinbar Spielerischen solcher Sammlun-
gen liegt ein tiefer Ernst, der unserer Kunstpolitik oft fehlt.

Wir leisten uns in Deutschland fortwährend die Kraft-
entfaltung und Kraftvergeudung, entlegenste Dinge für
örtlich und geistig entlegene Ausstellungen zusammenzu-
bringen. Ein Glück noch, wenn sie uns und nicht dem
Ausland, wie seinerzeit in Amsterdam, London, Helsingfors
und Wien zugute kommen. Ihre Wirkung aber geht auch
im Land unwiderbringlich dahin, wenn sie nicht den An-
reiz üben, für uns zu sammeln und zu vereinigen, was wir
an vielen Stellen ungenutzt besitzen. Daß es gerade beim
Theater keine alte und keine neue Kunst, nur das ewig
Theatralische gibt, ließe sich hier erkennen; der fingierte
Wall zwischen Vergangenheit und Gegenwart sinkt ohne-
hin vor dem Lebensgefühl der jüngeren Generation zusam-
men. Hier könnte die Wirkung eines Museums, das lebendig
aufgebaut wäre, einmal in die wahre Welt der Musen hin-
überreichen. Von wievielen unserer Bemühungen um Kunst
läßtTsich das ehrlich sagen?

nZeitö»
Je»*

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