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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 10
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Max Liebermann: Im Urteil Europas. Zum achtzigsten Geburtstag des Künstlers
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jedoch notwendigen Abschweifung zu unserem
Gegenstande zurückzukommen: es gab im Laufe
dieser Entwicklung, die eine synthetische, ganz
autonome Kunst gebar und deren Geistigkeit fort-
während steigerte, einen Augenblick, wo der Name
Max Liebermann für tschechische junge Maler ein
Programm bedeutete. Es war gleich im Anfange
jener Entwicklung, im bedeutungsvollen Momente
der erwachten Reaktion gegen den Impressionis-
mus (etwa 1905/06). Das festzustellen ist sicher
merkwürdig, wenn man bedenkt, daß doch Lieber-
mann seit je als wichtigster deutscher impressio-
nistischer Maler angesehen wird. Tatsächlich fallen
die Qualitäten, die die jungen Maler in Lieber-
manns Kunst bewunderten, durchaus nicht mit der
üblichen Vorstellung impressionistischer Bilder zu-
sammen. Sie schätzten an ihr vor allem den rein
bildnerischen und dabei durch und durch sach-
lichen Charakter, dem ebenso literarische Neigungen
als Dekorationsgelüste vollständig fremd waren.
(Die Jungen sehnten sich wohl nach Synthese,
aber nicht nach einer Synthese im Sinne Gauguins.)
Es ist interessant zu beobachten, wie die jungen
Maler von damals richtig herausfühlten, daß diese
impressionistisch aussehenden Bilder etwas grund-
sätzlich anderes sind als Fixierungen von subjek-
tiven Stimmungen vermittelst flächenhafter Dar-
stellung der Welt, die den impressionistischen
Malern als ein farbenlichtes rätselhaftes Phantom
vorkam — ein Phantom, das sie nicht zu durch-
dringen wagten und auch nicht wünschten. Die
Jungen erkannten klar, daß die momentane Er-
fassung der Wirklichkeit Liebermann vor allem
zu gesteigerter Erkenntnis der Form und des
Raumes und infolge überraschender Neuheit von
Aspekten zu ihrer eindrucksvollen Darstellung
diente. (Darin hat er so viel mit dem malenden
Plastiker Degas gemeinsam.) Und nicht nur das
Plastische und Räumliche war diesen wie gekneteten
und vorsichtig aufgebauten Bildern eigen. Man
sah, daß auch das Stoffliche der Dinge im Meer
von Licht und Luft, in das sie getaucht waren,
nicht ganz verloren ging.

Die Begeisterung für diese so stark objektive,
durch ihre absolute Sachlichkeit manchmal beinahe
nüchtern wirkende Kunst gibt von der Richtung,
welche die neue tschechische Kunst etwa 1906 ein-
schlug, ein klareres Zeugnis als alles andere und
war auch ein gutes Vorzeichen für die weitere

Entwicklung. Es blieb jedoch nicht bei bloßer
theoretischer Begeisterung. Liebermanns große
Kunst übte auf das damalige tschechische Kunst-
schaffen wirklichen Einfluß. Einzelne Künstler
malten Bilder, die denen des deutschen Meisters
in vieler Hinsicht sehr treu folgten. Einen
weiteren Schritt bedeuteten dann die überwälti-
gend wirkenden Synthesen eines Münch, dessen
Prager Ausstellung von 1905 den nachhaltigsten
Einfluß ausgeübt hat, und in weiterer Entwicklung
geriet die tschechische Kunst immer mehr in Bahnen,
die der Liebermannschen Kunst sichtlich ganz fremd
waren. Man empfand sie nunmehr als unmodern,
und doch kann man nicht behaupten, daß alle Bande
zerrissen wären. Es wäre wenig mit der Feststellung
gesagt, daß Liebermann auch weiterhin für den
größten lebenden deutschen Maler gehalten wurde,
und eine solche Wertung würde an sich wenig
bedeuten. Das einzig Wichtige ist, daß man nicht
aufhörte, Liebermanns Kunst als lebendig zu emp-
finden. Diese merkwürdige Erscheinung steht zwei-
fellos im Widerspruch mit der üblichen Theorie
von den aufeinander feindlich reagierenden Ge-
nerationen; sie wirkt jedoch weniger überraschend,
wenn man inne wird, daß die rein bildnerische
und gänzlich sachliche Kunst Liebermanns der neuen,
durch den Kubismus hindurchgegangenen tschechi-
schen Kunst immer recht verständlich und nahe
bleiben mußte, und zwar viel näher als der so
ganz anderen Idealen huldigenden deutschen Kunst
selbst.

Wir sehen nun auch, daß man der Lieber-
mannschen Kunst nie ganz gerecht werden konnte,
solange man sie nur an den dem Impressionismus
entnommenen Kriterien maß, und daß es ein un-
fruchtbares Unterfangen war, mit diesen Mitteln
ergründen zu wollen, ob Liebermann ein Genie
oder nur ein Talent sei. Mit einer Zeitformel kann
man diese Kunst nicht voll umschreiben. Es ist
eben eine auf breiten Komplexen aufgebaute Kunst,
die Generationen verbindet, und ihre tatsächliche
Größe und Bedeutung für die Entwicklung bleibt
unberührt, ob man in ihr die voll gewollte Schöp-
fung einer außergewöhnlichen Persönlichkeit oder
einfach eine zum Teil konservative Kunst sieht,
die manche Elemente älterer Entwicklung in neu-
zeitlicher Umgestaltung in spätere Zeiten hinüber-
rettete. Wahrscheinlich spielten beide Momente eine
Rolle bei ihrer Entstehung.

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