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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0472

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bei der gewählten Form des Werkes die große geschicht-
liche Linie nicht mit der Festigkeit gezeichnet werden, die
von einer Einheitsdarstellung zu erwarten ist, so ist doch
anzuerkennen, daß die Mitarbeiter am vorliegenden ersten
Bande ihre Heiträge wohl aufeinader abgepaßt haben und
daß stoffliche Überschneidungen auf ein Mindestmaß be-
schränkt bleiben. Der Aufgabe, dem norwegischen Volke
seine erste Kunstgeschichte zu schenken — die sicherlich
auf absehbare Zeit das Standardwerk auf diesem Gebiete
bleiben wird —, haben sich die besten Kräfte des Landes
zur Verfügung gestellt. Die Kunst der ältesten, der Völker-
wanderungs- und der Wikingerzeit haben Iiaakon Shetelig
und A. W. Brögger behandelt. Vom Mittelalter hat Johan
Meyer die profane und kirchliche Baukunst, Harry Fett
Bildnerei und Malerei, Thor Kielland das Kunsthandwerk
übernommen. In die Darstellung der Kunst des sechzehnten
und siebzehnten Jahrhunderts teilen sich Anders Bugge
(Baukunst), Carl W. Schnitler (Bildnerei und Malerei) und
Henrik Grevenor (Kunsthandwerk). Die eigentümlich ge-
brochene Kurve der Entwicklung der norwegischen Kunst
ist deutlich zu erkennen. Zuerst die Kunst des bis ins
elfte Jahrhundert zurechnenden norwegischen Altertums: in
ihrer Begrenztheit originell und reich, und trotz Aufnahme
ausländischer Einflüsse durchaus national; in die Spätzeit
dieser Periode hat der hochbedeutende Osebergfund (1904)
ganz neue Züge eingezeichner. Dann mit dem Mittelalter
das Einlenken in den großen europäischen Kunststrom.
Gegenüber der streng norwegisch-nationalen Auffassung
Hans E. Kincks, der in dieser Wendung ein Unheil und in
der gotisch-ritterlichen Glanzzeit llaakon Haakonssöns eine
Verfallserscheinung erblickt, macht Harry Fett mit Recht die
universalgeschichtlichen Bedingtheiten und Bedürfnisse gel-
tend ; gewiß ist, daß Norwegens mittelalterliche Kunst nicht
nur in der Architektur, sondern auch in Bildnerei und Malerei
Bedeutendes hervorgebracht hat; Schöpfungen wie die Dront-
heimer Kathedralskulpturen und die Antemensalen der
Schulen von Oslo und Bergen behaupten europäischen Rang.
Dann aber setzt mit dem fünfzehnten Jahrhundert die lange
Zeit des nationalen Ruhestandes ein, und die norwegische

Kunst wird zu einer Provinzialkunst, die allerdings manches
Interessante und Eigenartige bietet. Übrigens bleibt hier
für die Geschichte der auswärtigen Beziehungen der nor-
wegischen Kunst noch so mancherlei zu klären; es sind
allerhand Stilwellen nach dem Norden gedrungen, und merk-
würdig ist zum Beispiel der Stavanger-Maler Gottfried
Hentzschel aus Breslau, dessen Werke auf Beziehungen zu
Tintorctto zu deuten scheinen.

In erster Linie für das norwegische Volk bestimmt, ist
das Werk doch auch als eine wertvolle Bereicherung der
europäischen Kunstliteratur willkommen zu heißen. Für
viele Kunsthistoriker — man darf wohl sagen: für die
meisten — bildet die norwegische Kunst und ihre Geschichte
einen weißen Fleck auf der Weltkarte der Kunst. Wenn
sie das Buch durchsehen, so werden sie sich davon über-
zeugen, daß die künstlerische Gesamtleistung in diesem
Lande des Nordens nach Quantität und Qualität nicht ver-
ächtlich ist, und daß sie auf gewissen Gebieten und in ge-
wissen Zeiträumen eigenes Gepräge trägt. Für uns ist nor-
wegische Kunst schon wegen ihrer vielfältigen engen Be-
ziehungen zur deutschen von Interesse. Über allen Einzel-
problemen aber steht die bedeutende Frage, ob und inwieweit
sich innerhalb des europäischen Kunstkreises eine selbständig
charakterisierte nordgermanische Kunstform erkennen läßt.
Die von Harry Fett gegebene Formel, daß norwegische Kunst
unter dem Gesichtspunkte einer Zusammenarbeit germani-
schen Geistes und klassischen Formgefühls zu sehen ist,
beantwortet meines Bedünkens diese Frage nicht, weil sie
zu allgemein gehalten ist. Die Beschäftigung mit dem
Werke ist übrigens auch ästhetisch insofern ein Vergnügen,
als es buchtechnisch eine vorzügliche Leistung ist. Papier,
Satz, Spiegel, Anordnung und Druck des Bildstofl'es sind
mit Umsicht und bestem Geschmacke behandelt.

Der erste Band endet an der Schwelle des Zeitalters,
in dem die nationale und kulturelle Auferstehung Norwegens
sich vorbereitet. Ein zweiter Band, der bereits im Er-
scheinen ist und auch Literaturangaben und Register bringen
wird, wird die schöne Veröffentlichung abschließen.

Albert Dresdner.

FÜNFUNDZWANZIGSTF.R JAHRGANG, ELFTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 18. JULI, AUSGABE AM 1. AUGUST NEUN-
ZKUNHUNDERTSIEBENUNDZWANZIG. REDAKTION KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER, BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER G.M.B.H., LEIPZIG
 
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