Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst der Zeit: Zeitschrift der Künstler-Selbsthilfe: periodical — 1.1929/​1930

DOI article:
Kubsch, Hugo: Erziehung zur Form
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55057#0131

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Gynla Geiger

Kind (Ton)

Erziehung zur Form
von HUGO KUBSCH

Was Form ist, weiß jedes Kind; denn es folgt sehr früh dem natürlichen
Trieb, in Formen zu denken, sich in Formen auszudrücken. Es gibt Kinder,
die „malen“, bevor sie ordentlich sprechen können. Die Erkenntnis der Dinge
durch Anschauung geht der durch den Verstand, der begrifflichen, voraus.
Dieses Malen, Kneten und Bauen der Kinder hat natürlich nichts mit Kunst
zu tun. Es ist aber ein Trieb, der zur Erkenntnis der Form führen kann, auch
zur künstlerischen Form, und es kann beglückend sein für das geistig auf-
blühende Kind, wenn dieser Trieb eines Tages wieder geweckt, wenn er ver-
ständnisvoll gefördert wird.
Philipp Franck hat das in den sogenannten internen Übungsklassen der
Staatlichen Kunstschule jahrelang mit einem ganz seltsamen Schülermaterial
vollbracht. Gemeindeschüler, Jungen und Mädel, von 7—14 Jahren, kommen
in diese Übungsklassen. Wesentlich ist: eine Auslese der Begabten findet
nicht statt. Die von den Lehrern als talentvoll angepriesenen Kinder sind, wie
Franck sagt, brav, fleißig, gewissenhaft und artig. Aber die nicht empfohlenen,
die unartigen, haben in der Regel mehr Talent und werden durch die sie
interessierende Tätigkeit sogar in artige Kinder verwandelt. Zunächst können
die Kinder basteln, also eine bescheidene Werktätigkeit setzt ein; dann darf
sich die Phantasie ausleben, austoben: das Kind kann mit Stift und Farben
aus seiner Gedankenwelt heraus gestalten, es übersetzt seine Vorstellungs-
welt in die ihm geläufige Form. In den t bungsklassen, die dem Naturstudium
dienen, wird die Anschauung der Schüler gestützt und gestärkt, die Er-
ziehung zur Form wird bewußt betrieben. Die Kinder zeichnen Tiere nach der
Natur, dann nach dem Gedächtnis, es werden ihnen die Augen geöffnet,
Organismen in ihrer Struktur zu erfassen. So „erfühlen“ sie den anatomischen

127
 
Annotationen