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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Wulff, Oskar: Der Erhaltungszustand des ravennatischen Mosaiks im Kaiser Friedrich-Museum
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Der Kunstkongress in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0013

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Der Kunstkongreß in Venedig

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kgl. Preußischen Kunstsammlungen, wie nach meinem eige-
nen wissenschaftlichen Gewissen, nicht bemäntelt werden,
daß das Mosaik während seiner lange verschleppten ersten
Restauration in Venedig und infolge jahrelanger Aufbe-
wahrung unter ungünstigen Bedingungen in Berlin an ein-
zelnen Teilen manchen neuen Schaden erlitten hat. Die
Verantwortung für den letzteren muß der Bauleitung des
unter Friedrich Wilhelm IV. geplanten Camposanto, der
es anvertraut war, beigemessen werden. Die damalige
Museumsverwaltung (v. Olfers) hat es in der Zwischenzeit
an einer Mahnung nicht fehlen lassen (1860), und auf
Initiative eines Museumdirektors erfolgte 1875 die sorgfäl-
tige Auspackung und die Übertragung der einzelnen Teile
auf neue Unterlagen durch Salviati. In diesem Zustande
haben es damals mehrere noch lebende Augenzeugen
gesehen. Eine Ergänzung fand nicht statt. Seitdem war
durch die Art der Aufbewahrung gegen jede weitere Be-
schädigung Vorkehrung getroffen. Noch kurz vor der
Wiederzusammensetzung im Jahre igo3 wurde dieser Bestand
von der damit beauftragten Firma Puhl & Wagner graphisch
aufgenommen, und ich habe denselben durch Publikation
der Pausen objektiv zur Anschauung gebracht. Meine Ab-
bildungen (4 und 5) zeigen, daß die Hauptfiguren der
Apsis, mit Ausnahme des Stabkreuzes Christi, der Flügel
der Engel, fast aller Füße, einzelner Hände und kleiner
Gewandpartien, sowie einiger Buchstaben der Inschrift, im
Jahre 1875 vorhanden waren, — ebenso, daß am Friese des
Triumphbogens von sämtlichen Gestalten nur kleinere
Stücke, allerdings in beträchtlicher Menge, fehlten. Er-
scheint darnach eine Erneuerung wichtiger Partien in
jüngster Zeit von vornherein ausgeschlossen, so habe ich
andererseits durch Vergleichung der Nachrichten Ober die
vorhergehenden Beschädigungen in Ravenna und Venedig
und durch technisch-stilkritische Analyse dargetan, daß
zwar der Engelfries mit dem (schon damals fast völlig
restaurirten) Weltenrichter in seinem Detail durch den dor-
tigen Restaurator Moro stark renoviert zu sein scheint, —
ohne übrigens deswegen von seiner kompositioneilen und
koloristischen Wirkung viel eingebüßt zu haben, — daß
hingegen die großen Figuren der Apsis und besonders
ihre Köpfe uns noch in offenbar sehr guter Erhaltung
vorliegen. Man wird sogar in der wohl nicht allzu exakten
Aquarellkopie der Akademie in Venedig, die vor der Ab-
nahme angefertigt ist, namentlich die Züge Michaels
durchaus entsprechend finden. Die Köpfe Gabriels und
Christi aber gehen in ihrer technischen Zusammensetzung
mit ihm vollkommen zusammen, und sie alle zeigen die
Technik der gleichzeitigen ravennatischen Mosaiken, die ja
Ricci selbst am besten kennt. Bedenken in dieser Hinsicht
sind von ihm auch nicht geltend gemacht worden. Sollte
ihn davon nur die mangelnde Autopsie abgehalten haben,
so würde das abfällige Gesamturteil neben solcher Zurück-
haltung noch weniger begründet erscheinen. Unter diesen
Umständen darf man auch die Schäden, welche das Bild-
werk in Venedig erlitten hat, nicht überschätzen, um so
mehr, als ein ganz genauer Bericht Moros darüber in den
Akten erhalten ist, dessen wichtigste Stellen ich sogar im
Wortlaut mitgeteilt habe. Moro aber sowohl, wie sein
Vorgänger Salandri gehörten zu den mit der alten Mosaik-
technik vertrautesten Kräften, die Italien damals an Mosai-
zisten aufzuweisen hatte. Unser Mosaik hat also keine
schlechtere Behandlung erfahren, als sie umfänglichen
Teilen der in Ravenna erhaltenen Mosaiken, zum Beispiel
den Märtyrerfriesen von S. Apollinare Nuovo durch den-

in Affricisco berichtigen, die nicht rund 4, sondern 5 Meter
beträgt; vergl. Jahrb. der kgl. Preuß. Kunstsamml. 1904,
s- 392 A. 1.

selben Salandri, zuteil geworden ist. Sind nicht etwa
auch diese Stücke oder die Opferszene in S. Vitale und
das Kuppelmosaik von S. Giovanni in Fönte und anderes
mehr sehr stark restauriert und weit verschieden von der
herrlichen Erhaltung der Bilder im Mausoleum der Galla
Placidia? Und doch sehen wir in ihnen noch hochwichtige
Zeugnisse für die Kunstentwickelung des 5. und 6. Jahr-
hunderts.

Jeder unparteiisch Denkende wird das Bedauern des
Patrioten verstehen, der seiner Heimat ihren alten Kunst-
besitz verloren sieht, und wird dem damaligen Verhalten
des Grafen Cappi, der mit der Fortführung des Mosaiks
nichts zu tun haben wollte, seine Anerkennung zollen.
Aber die Billigkeit fordert, auch in dieser Beziehung an
zwei Tatsachen zu erinnern, die die Erwerbung des Mosaiks
nichts weniger als im Lichte eines Kunstraubes erscheinen
lassen. Einmal befand es sich damals unbestrittenermaßen
nicht nur in einem völlig vernachlässigten, sondern sogar
in einem sehr gefährdeten Zustande, da der Raum zur
Aufbewahrung von Brennmaterialien diente. Es hatte
durch die von ihnen angezogene Feuchtigkeit und durch
mechanische Einwirkungen in ganz kurzer Zeit neuen
Schaden genommen. Trotzdem waren weder von der
Stadt noch von der Academia delle belle arti mit ihrem
Sekretär Cappi an der Spitze irgendwelche ausreichenden,
vielmehr nur papierne Schutzmaßnahmen für ein Denkmal
getroffen worden, das ein von Ricci herangezogener Zeuge
aus dem Jahre 1816 wohl das schönste Mosaik Ravennas
nennt. Wer will da behaupten, daß wir es heute noch
in besserem Zustande, wenn überhaupt noch, besäßen, falls
es an Ort und Stelle verblieben wäre? Denn dazu kommt
noch ein zweites, — daß nämlich erst die durch den An-
kauf des Mosaiks hervorgerufene Bewegung in Ravenna
den Anstoß gab, der Erhaltung und Wiederherstellung der
Denkmäler mehr Sorgfalt zuzuwenden. Sie führte zunächst
zur Freilegung der erwähnten Friese in S. Apollinare Nuovo')
und zur Entwässerung der Rotonda. Der Antiquar Fran-
cesco Pajaro hat dabei seinen Landsleuten keinen gerin-
geren Dienst erwiesen, als dem König Friedrich Wilhelm IV,
für den er das Mosaik von S. Michele abnehmen und auf
ganz legalem Wege fortbringen ließ. Doch es kommt
heute wahrhaftig nicht darauf an, Schuld und Verdienst
der damaligen Generation aufzuwiegen. Und über das
Bedauern, daß Ravenna ein Denkmal altchristlicher Kunst
an den Norden hat abgeben müssen, sollte die Befriedi-
gung überwiegen, es nach allen> Wechselfällen dennoch
der Welt und der Wissenschaft wiedergegeben zu sehen.

Berlin. O. WULFF.

DER KUNSTKONGRESS IN VENEDIG
Der erste venezianische Kunstkongreß hat in der Zeit
vom 21. bis 23. September unter regster Beteiligung der
verschiedensten Nationen getagt. Venedig ist durch seine
natürliche Schönheit, durch die große künstlerische Ver-
gangenheit in erster Linie zu einer glänzenden Kongreß-
stadt berufen. Die Leser der »Kunstchronik« interessiert
mehr die wissenschaftliche Leistung dieses Kongresses als
das übliche reiche und offizielle Festprogramm, dem sich
die Teilnehmer gern unterwarfen. Nachdem unter An-
wesenheit des Königspaares im Dogenpalast die Eröffnung
des Kongresses durch eine Ansprache des Sindaco statt-
gefunden und die üblichen Begrüßungsformalitäten aus-
getauscht waren, wurde am Nachmittag eine denkwürdige

1) Ricci hat mich durchaus mißverstanden, wenn er
glaubt, ich hätte dies auf die gesamten Mosaiken des
Langhauses bezogen. Die Akten sprechen nur von den
unteren Streifen.
 
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