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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Die Auswanderung der Werke alter Kunst aus Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0249

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 31. 27. Juli

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein 8: Vogler, Rud. Mosse usw. an.

Die nächste Nummer der Kunstchronik erscheint am 24. August.

DIE AUSWANDERUNO DER WERKE ALTER
KUNST AUS DEUTSCHLAND

Durch die Zeitungen aller Länder geht die sehr
bestimmte und detaillierte Meldung, daß die Samm-
lung Hainauer in Berlin verkauft worden sei und
über London mutmaßlich nach Amerika wandern
würde. Wir können diese Meldung leider nur vollauf
bestätigen. Die Sammlung ist von einem Tage zum
andern verkauft worden, ist sofort verpackt und bereits
seit einer Woche in den Verkaufsräumen der Firma
Duveen in London zur Schau gestellt. Das ist nun
glücklich die dritte große Sammlung alter Kunstwerke,
die im Laufe von wenigen Monaten von Deutschland
an das Ausland verschachert worden ist: zuerst die
Sammlung des Barons Albert von Oppenheim, die
durch Herrn Seligmann in Paris an Pierpont Morgan
um 2500000 Mark verkauft ist, dann die Sammlung
Wenke in Hamburg, die um eine Million Mark den-
selben Weg gegangen ist, und j'etzt die Sammlung
Hainauer, die von dem Kunsthändler Duveen in Lon-
don um 5 Millionen (wie es heißt) erworben ist.
Vielleicht tröstet man sich mit dem Oedanken, das
seien ja eben nur drei Sammlungen wie es wahr-
scheinlich Dutzende gäbe, und eben so viele würden in
den nächsten Jahren hier oder dort in Deutschland
wieder neu entstehen. Leider trifft das nicht zu.
Sammlungen von der Bedeutung wie die des verstor-
benen O. Hainauer und die von Baron A. Oppen-
heim gibt es nicht mehr in Deutschland; sie waren
weitaus die hervorragendsten Sammlungen in ihrer
Art, und ähnliche Sammlungen lassen sich bei uns
überhaupt nicht mehr zusammenbringen. Dazu sind
die käuflichen Kunstwerke zu selten und für euro-
päische Börsen zu teuer geworden!

Das sind also unwiderbringliche Verluste. Und
sie sind nicht etwa die ersten! Vor kaum drei Jahren
hat Herr Gutmann in Berlin seine hervorragende
Sammlung von deutschem Silber verkauft, gleichfalls
an Herrn P. Morgan, um 1 Million Mark; und vor
ihr ist die in ihrer Art weitaus großartigste Sammlung
deutschen Silbers, die von Baron K. M. Rothschild
in Frankfurt, an seine Erben nach Frankreich ge-
wandert. Daß auch auf den Versteigerungen der
letzten Jahre, von Pannwitz, Dahl, Schubert und so

fort das Beste nach dem Auslande gegangen ist, ist
allbekannt. Summieren wir alles das, so ist es nicht
zu viel gesagt, wenn wir behaupten, daß in den
letzten Jahren reichlich die Hälfte des Besitzes an
wertvollen alten Kunstwerken in deutschem Privat-
besitz in das Ausland gewandert ist. Wenn es so
weiter geht — und dazu hat es allen Anschein, da
Unterhändler mit amerikanischen Angeboten von Ort zu
Ort gehen und selbst die patriotisch denkenden Besitzer
wankend machen! — so wird Deutschland schon in
wenigen Jahren kaum noch eine Sammlung von guten
Werken alter Kunst in Privatbesitz aufzuweisen haben !
Damit verlieren wir aber zugleich das nächste und
beste Hinterland für Erwerbungen für unsere Museen,
denn auf dem internationalen Markt, den Amerika be-
herrscht, können wir uns mit unsern Preisen schon
nicht mehr sehen lassen, und die alten Quellen in
Italien, Griechenland und selbst im weiteren Osten
sind durch strenge Ausfuhrgesetze so gut wie ganz
verstopft.

Bei dieser beinahe verzweifelten Lage, die sich
das Publikum und, wir fürchten, selbst unsere Mu-
seumsvorstände noch keineswegs recht klar gemacht
zu haben scheinen, drängt sich zuerst die Frage auf:
geschieht denn nichts, um dieser rapiden Ebbe einen
Einhalt zu tun, um wenigstens zu retten, was an ganz
guter, vor allem an alter deutscher Kunst noch in
Privathänden bei uns ist? Tun die Besitzer, tun die
Museen ihre Schuldigkeit? Hat Baron Albert Oppen-
heim, der sich seinen Katalog von dem Pariser Mu-
seumsdirektor und Kunsthändler Molinier machen ließ,
seine Sammlung seiner Vaterstadt Köln oder sonst
einem deutschen Museum zum Kauf angeboten, ehe
er sie an einen Amerikaner verkaufte? Hat Herr
Wenke das Hamburger Museum oder hat Frau Hai-
nauer das Berliner Museum wissen lassen, daß sie
verkaufen wollten, und haben sie erträgliche Be-
dingungen für den Ankauf gemacht? Die Zeitungen
berichten nichts darüber, das Publikum aber regt sich
höchstens an dem kolossalen Preise auf und freut
sich, daß dem Nabob Morgan das Geld aus der
Tasche gezogen wird. Ein trauriges Zeichen, wie es
bei uns in Deutschland um das Interesse für die
alte Kunst bestellt ist! Aber selbst vorausgesetzt,
daß Besitzer wie Museumsvorstände den besten Willen
 
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