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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Bredius, Abraham: Die Jordaens-Ausstellung in Antwerpen
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Zur Neuordnung des Museo Nazionale in Neapel
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0026

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Zur Neuordnung des Museo Nazionale in Neapel

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die Marter der hl. Apollonia, der die Zähne ausgerissen
werden. Der alte Heilige, der gen Himmel zeigt,
die fröhlichen Engel und andere Figuren zeigen nicht
das geringste Interesse an dem schrecklichen Vorgang,
der an das Atelier eines Zahnarztes erinnert. Wenig
erfreulich sind auch der hl. Carolus Borromeus mit
den Pestkranken, die Krankenschwestern (Nr. 48), eine
Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (Nr. 9, eine höchst
unglückliche Komposition), eine große religiöse Alle-
gorie (Nr. 72), worauf ein hübscher Sebastian mit
Schnurrbart, und der jugendliche Jesus bei den Schrift-
gelehrten (Nr. 12), worauf die pomphaften, sonderbar
etagierten großen Schriftgelehrten den kleinen Jesus
ganz verdrängen und der Mangel an Konzentrierung
der Beleuchtung sich sehr empfindlich macht.

Viel besser ist der Zinsgroschen aus dem Amster-
damer Museum (Nr. 16), wovon Jordaens aber ein
Schaustück virtuos gemalter Aktfiguren gemacht hat,
so daß man erst nach langem Suchen den Gegenstand
entdeckt. Hier ist indessen eine schöne Komposition
erreicht, das Bild ist sehr brillant in der Farbe und
die Beleuchtung malerisch und fein. Die viel größere,
umfangreichere Bearbeitung desselben Gegenstandes
(Nr. 15, aus Norköping) ist weit weniger glücklich
gelungen.

Eine schöne Komposition ist die Anbetung der
Hirten (Nr. 5, Antwerpener Museum), aber die Farbe
ist hier matter und die Malerei zum Teil flüchtig.
Ein gutes Bild ist die Anbetung der Hirten der Samm-
lung Six. In seiner großen Anbetung der Könige
aus der Niklaskirche zu Dicksmuide zeigt er, wie
sehr Rubens bei solchen Werken sein Vorbild war.
Aber wie viel bunter und unruhiger wirkt Jordaens,
wie ist auch hier alles etagenweise aufgebaut, so daß
es aussieht, als sähen das Pferd und die Kamele vom
Himmel nieder auf die Gruppe tief drunten!

Unruhig und theatralisch ist die Kreuzabnahme
(Nr. 22) aus Hamburg. Auch hier sieht man wieder
Rubens' und van Dycks Einfluß. Besser ist derselbe
Gegenstand behandelt auf dem Bilde des Antwerpener
Begynhof (Nr. 21). Es ist eigentümlich, daß Jordaens
sofort, wenn er einen weltlichen Gegenstand malt,
besseres leistet. Ganz ihm eigen sind die Darstellungen
lustiger Mahlzeiten, wo es toll hergeht, es sei denn,
daß er sie betitelt: Der König trinkt! oder: Wie die
Alten sungen, so pfeifen die Jungen! Da gibts manche
ausdrucksvollen Köpfe, Schwung und Heiterkeit, wenn
sie auch in einigen solcher Bilder entartet in der
Sucht des Guten zu viel zu geben, zu viele Figuren,
zu starken Ausdruck. Besonders gut ist Nr. 50 —
»Wie die Alten sungen« aus der Antwerpener Galerie.
Hier ist die Komposition nicht überfüllt es sind
nur sechs Figuren! — und der Ausdruck nicht char-
giert. Die glückliche Mutter mit dem reizenden flöte-
spielenden Bengel in der Mitte, der allerliebste kleine
Junge links, die alte singende Großmutter rechts, das
sind alles originelle und gelungene Typen des Jordaens,
die ihm die erste Stelle verschaffen unter den vlämischen
Genremalern des 17. Jahrhunderts. Auf einem Ge-
mälde desselben Gegenstandes der Sammlung d'Aren-
berg (Nr. 72a) sind die Köpfe wieder verzerrter, der

Ausdruck neigt zur Übertreibung. Ähnlich behandelt
er den »Besuch des Satyrs bei dem Bauer« (der ab-
wechselnd warm und kalt bläst). Ins Unendliche hat
er diesen Gegenstand variiert. Trotz der vielen Exem-
plare der Ausstellung findet man solche noch mehr-
fach anderwärts, wie z. B. im Museum zu Kassel, bei
L. Knaus in Berlin usw. Das eine Mal macht er ein
Interieur davon und malt uns ein echtes Bauernheim,
das andere Mal verlegt er die Mahlzeit nach draußen,
ins Freie. Das Beste auf diesen Bildern ist meist die
Mutter mit den Kindern, während einige Exemplare
ein wirklich glänzendes, leuchtendes Kolorit aufweisen.

Seine mythologischen Bilder folgen den Spuren
des Rubens; aber seine nackten, weiblichen Gestalten
darin haben häufig etwas sehr Plumpes, Schwerfälliges,
wobei die Farbe, die auf vielen Bildern in einen
warmbraunen Gesamtton übergeht, wohl einmal etwas
Branstiges bekommt. Kleinere Werke dieser Art zeichnen
sich durch virtuose Darstellung des Viehes aus; wie
z. B. die Kühe auf dem Merkur und Argus (Nr. 38,
Antwerpen), Circe und Ulysses (Nr. 32) und auch
auf dem »Verlorenen Sohn« mit der malerischen
Abendlandschaft sind die Tiere meisterhaft behandelt.

Eine sehr hohe Stufe des Könnens erreichte Jordaens
in seinen Bildnissen. Das riesige Doppelbildnis des
Herrn van Zurpelen und seiner Frau, sie sitzend, er
in schwarzsamtnem Kostüm mit breitem roten Gürtel
stehend daneben, ganze Figuren, ist ein wahres Pracht-
bild, ein Meisterstück dekorativer Porträtmalerei (Herzog
von Devonshire). Das weibliche Porträt aus dem
Kölner Museum (Nr. 74) kann fast mit ähnlichen
Porträts des Rubens rivalisieren; groß, vornehm auf-
gefaßt, breit und sicher dahingestrichen. Auch das
1641 gemalte männliche Porträt (M. M. Colnaghi,
London) ist bedeutend. Trotz der unschönen Hand
darf man das männliche Porträt aus Budapest als eins
der besten Bilder der Ausstellung nennen.

Geistreich und flott ist auch das Kinderköpfchen
(Nr. 85) des Herrn Mensing hingestrichen.

Ziehen wir das Fazit, dann zeigt Jordaens sich
als ein virtuoser Maler, der sich einer sehr farben-
reichen Palette bediente, mit Leichtigkeit (die aber
zuweilen in Oberflächlichkeit entartete) große Kom-
positionen aller Art dahinwarf, ein Meister im Zeichnen
war, vorzugsweise dekorative Bilder malte, aber, wenn
er wollte, auch treffliche Porträts schuf. Ohne Rubens
und van Dyck wäre Jordaens aber wohl kaum der
berühmte Künstler geworden, den wir, trotz seiner
Schwächen, durch die Ausstellung aufs Neue schätzen
lernten. a. bredius.

ZUR NEUORDNUNG DES MUSEO NAZIONALE

IN NEAPEL

Ettore Pais hat soeben in einer besonderen Broschüre
die Kämpfe geschildert, die er als Direktor des Museo
Nazionale in Neapel zu bestehen hatte und die Gründe
dargelegt, die zu seiner Enthebung aus dem Amte führten1).
Diesen Akt der Selbstverteidigung hatte jedermann erwartet,

1) Ettore Pais, Perche fui esonorato dalla direzione
del Museo Nazionale di Napoli. Napoli 1905.
 
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