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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [5]
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Singer, Hans Wolfgang: Rembrandts Radierungen: eine Selbstanzeige
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0275

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Rembrandts Radierungen

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vertreten, woran vielleicht die Bestimmung schuld war,
nach der kein Bild mehr als l m breit sein durfte. Von
Leuten wie Besnard, Puvis de Chavannes usw. wurden
dadurch die bezeichnendsten Sachen ausgeschlossen. Aber
auch sonst ist die Auswahl mit einer geradezu unglaub-
lichen Nachlässigkeit getroffen worden. Nicht nur flüchtige
Skizzen und Atelierhüter, sondern auch wirklich schlechte
Sachen sind von bekannten Meistern da, und alles in allem
ist der Eindruck höchst peinlich und armselig. Degas, den
ich gerne zitiere, meinte in einem Vergleiche der beiden
Salons: »Der Salon der Champs Elysees ist schlechter,
denn da werden mehr Bilder ausgestellt, als im anderen«.
Dadurch allein unterscheidet sich diese retrospektive Aus-
stellung vorteilhaft von dem alljährlichen Salon des Champ
de Mars: Sie ist kleiner und deshalb besser. In jeder
anderen Hinsicht aber ist sie genau ebenso schlecht oder,
wenn Sie das Heber hören, genau ebenso gut wie der
Jahressalon. Von einer retrospektiven Ausstellung verlangt
man aber doch etwas mehr, und dieses mehr empfängt
man nicht im geringsten.

REMBRANDTS RADIERUNGEN1)

Eine Selbstanzeige von Hans W. Singer

Infolge des plötzlichen Todes des Herrn Dr. A. Rosen-
berg fiel mir, der ich zuerst nur eine kurze allgemeine
Einleitung abfassen sollte, die ganze Herausgabe des
Bandes zu. Die Verlagsanstalt bat angesichts der bevor-
stehenden Centenarfeier um größte Beschleunigung. Sämt-
liche Klischees waren aber gemacht, in der Hauptsache
nach Stuttgarter Originalen, die sich leider zumeist als
wenig wünschenswerte Vorlagen entpuppten, da sie fast
ausnahmslos letzte Zustände darstellen. So wurde ich
z. B. mit einer Reproduktion des Hundertguldenblattes
nach dem Baillieschen Aufstich überrascht! Es war kaum
Zeit, ein halb Dutzend Veränderungen durchzuführen
und so ward ich gezwungen, in die zweite Abteilung eine
Anzahl Blätter zu setzen, die ich für die ursprüngliche
Arbeit Rembrandts halte, die aber in den vorliegenden
Reproduktionen nach völlig überarbeiteten Exemplaren
nicht unter seine eigenhändigen Radierungen eingeordnet
werden durften, da sie dem Laien einen ganz falschen
Begriff von seiner Kunst gegeben hätten.

Nur eine zweite Auflage mit teilweise neuem Klischee-
material könnte hier die Sachlage klären.

Man nennt gern die Franzosen und die Engländer
stockkonservativ, aber nirgends wird der blind angenom-
menen Tradition so anstandslos Glauben geschenkt, wie
bei uns. Wer einmal erfährt, durch welch lächerlich plan-
loses Flickwerk das »Oeuvre«: zusammengesetzt worden
ist, das nun endlich Bartsch als den ganzen Rembrandt
hinstellt, wird es einfach unbegreiflich finden, wie dieser
Katalog als eine Art Heiligtum so lange unzerpflückt gelassen
worden ist. Ich habe bei einer systematischen Durch-
arbeitung der Frage wie mancher andere den ursprüng-
lichen Standpunkt aufgeben müssen, und glaube, daß die-
jenigen, die eine weitgehende Beschränkung der Eigen-
händigkeit vertreten, recht haben.

Die wenigsten der Leute, die im ganzen Großen auf
Bartsch schwören, haben sich je einmal damit befaßt, die
Rembrandtblätter chronologisch zu ordnen; sonst wüßten
sie, daß ein solches Neben- und besonders ein solches
Nacheinander einfach unmöglich ist. Gewiß ist ein Künstler
nicht immer auf gleicher Höhe und ein Wurf gelingt ihm
besser als der andere. Aber mag die Linie seiner Ent-

1) Rembrandt. Des Meisters Radierungen. (Klassiker
der Kunst Bd. 8.) kl. 40. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt.

Wickelung zittern, ist sie doch nie ein krauses, grobes
Zickzack. In der Radierung gibt es technische Sachen,
die zu erlernen sind, und was man einmal erlernt hat, das
vergißt man nicht wieder. Das Kind, das sprechen kann,
fängt nicht einmal plötzlich wieder zu stammeln an: wenn
es »April« sagen kann, verfällt es nicht wieder in »Apjil«.
Ahnlich ist die Konvention der Radierung eine Kunst, in
der Sachen, z. B. das Vermögen, den Stoff anzudeuten,
gelernt werden können, und wenn einmal gelernt, nicht
wieder vergessen werden.

Ein zweiter Gesichtspunkt, der mich bestimmte, ist
die Erwägung, daß der große Künstler sich nicht wieder-
holt. Wenn wir bei einem Gemälde von Dürer eine Figur
eines graphischen Werkes kopiert finden, so gilt das doch
ohne weiteres als Beweis, daß das Bild nicht von ihm
herrühren kann. Denn Dürer und auch Rembrandt hat
es wohl gereizt, einem Gedanken immer wieder neue
Formen zu geben, aber die einmalige Form nun mehrmals
auszuschlachten, widerspricht dem Wesen des Schöpferischen
überhaupt. Wenn das so unbestreitbar ist, wie es mir er-
scheint, so fallen damit alle die ausführlichen Wiedergaben
seiner Ölgemälde, die Bartsch in Rembrandts Oeuvre auf-
zählt. Er mag einmal, wie in der Kreuzabnahme (erste
Platte), ausprobiert haben, wie die gemalte Form sich
graphisch ausnehmen würde (im übrigen wissen wir nicht,
inwieweit sich beide genau decken), aber dieses pein-
liche Kopieren eigener Gemälde ist bei ihm ein Ding der
Unmöglichkeit. Man denke sich den psychologischen Vor-
gang: ein Meister, der uns doch wahrlich Beweis genug
von seiner unerschöpflichen Gestaltungskraft gegeben hat,
soll vielemal mit dem geduldigen Fleiß des mittelmäßigen
Reproduzenten die langweilige Kopistenarbeit durchgeführt
haben! Im übrigen bin ich der Überzeugung, daß jene
Autoritäten, die behaupten, Rembrandt hätte neben dem
unglaublich vielen, was er sonst noch leistete, gar nicht
die Zeit zu diesen Platten gehabt, die Frage viel gewissen-
hafter geprüft haben als ihre Gegner.

Endlich schließt Genie wohl Vielseitigkeit ein, aber
Gegensätzlichkeit aus. Gelegentlich, und das auch nur
bei den Künstlern zweiten Ranges, wie Maes, gibt es einen
Bruch in der Entwickelung, aber ein unstetes Hin und Her
findet man nie. Ein Künstler geht nicht heute von der
Farbe, morgen von der Linie, dann wieder im bunten
Durcheinander vom Gedanken aus: er ist nicht abwechselnd
einmal Delacroix, dann Ingres, dann Guerin Solche un-
lösbare stilistische und Auffassungswidersprüche finden sich
aber im »Oeuvre« Rembrandts, wie es Bartsch feststellte, vor,
und die können nicht ignoriert werden. Wenn dabei das eine
oder andere schöne Blatt weichen muß, möge man doch
nicht vergessen, daß Rembrandt nicht der einzige große
Holländer des 17. Jahrhunderts war.

Mit alledem bleibt als beinahe wichtigster Prüfstein
der Eigenhändigkeit das genaue Studium der rein tech-
nischen Fragen.

Auf diesen Grundlagen geschah die Ausscheidung der
nicht unbeträchtlichen Zahl von Blättern, die bei uns wohl
meistens noch, in Frankreich und besonders in England
meistens nicht mehr als eigenhändig gelten.

An ein paar Beispielen sei mir noch erlaubt, das Obige
zu belegen, wie ich das in dem populären Buch nicht tun
konnte. In der Landschaft mit den drei Hütten (B. 217)
bricht — nur auf dem ersten Zustand ist es wirklich er-
kennbar — die Kaltnadelarbeit an den Bäumen unvermittelt
und unharmonisch aus der radierten Arbeit heraus. Das
widerspricht der Rembrandtschen Empfindung und ist auch
bei einem anderen anerkannten Blatt in dieser Weise nicht zu
sehen. Wer sich natürlich mit dem Ausruf: »Nun, da hat er
es eben dieses eine Mal so gemacht!« zufrieden gibt, der steht
 
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