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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Florentiner Brief, [1]
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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0066

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H5

Londoner Brief

116

weite Ferne gerückt. Der jetzige Zustand dauert seit
vier und einem halben Jahrhundert; er kann gern noch
ein paar Jahre länger währen. Inzwischen mag durch
Aussprache manches ausreifen.

Indirekt interessiert man sich für die Frage des
neuen Postgebäudes, für welches das Ruinenfeld, zwi-
schen Piazza Vittorio Emanuele und der Via Porta
Rossa, endlich von den elenden Bauresten befreit
worden ist. Dem Kunsthistoriker ist es natürlich ganz
gleich, ob man das ganze Areal oder nur einen Teil
für diesen Zweck nehmen wird; was ihn aber nicht
gleichgültig läßt, ist die Frage, ob man einen ein-
fachen und schlichten Bau im traditionellen Stil des
Quattrocento hinsetzen wird oder ein Gebäude im
falschen Hochrenaissance-Geschmack, für den hier
keine Stätte ist. Wir hoffen, man wird darauf Rück-
sicht nehmen, daß der einen Seite gegenüber Palazzo
Davanzati gelegen ist, eines der besten Beispiele des
strengen alten Florentiner Baugeschmacks.

Im stillen wird weiter an manchem Monument
gearbeitet. Im Dom hat man nun auch die zwei
anderen Prophetenstatuen aus den Chorkapellen her-
ausgeholt und im rechten Seitenschiff aufgestellt, so
daß sie jetzt alle vier in guter Beleuchtung zu be-
trachten sind. Man ist ferner dabei, das Innere des
Domes von der abscheulichen, nüchternen Tünche
zu befreien, die aus der Mitte des vergangenen Jahr-
hunderts herrührt; gewiß zum eminenten Vorteil des
Gesamteindrucks.

In Santa Maria Novella werden Ghirlandajos
Fresken in derselben sorgsamen Weise, die man in
der Brancacci-Kapelle der Carmine-Kirche zur An-
wendung gebracht hat, vom Staub befreit; sie werden
sich binnen kurzem so präsentieren, wie sie nie
jemand von uns gesehen hat.

Die Sammlung der Malerbildnisse in den Uffizien
hat sich um einige Stücke vermehrt; darunter eine
Tafel mit den drei Gaddis, die, obschon nicht gut
erhalten, doch wegen der eminenten Seltenheit unser
Interesse verdient, das Bildnis des Bolognesen Galli
(Bibiena) und endlich ein neueres Selbstporträt von
Leon Bonnat.

Im Auftrag der Regierung ist jetzt der Professor
Gentiii, der einst der vatikanischen Teppichfabrik vor-
stand, dabei, die Vorarbeiten für ein Inventar der in
Italien befindlichen Arazzi zu machen. Er hat die
auf eine Reihe von Jahren geplante Arbeit in Flo-
renz begonnen; bereits hier hat sich ergeben, um
welche unübersehbare Masse von Objekten es sich
handelt: soll doch allein der Staatsbesitz über sieben-
hundert Teppiche umfassen. Denn abgesehen von
dem, was im Museum der Arazzi — schlecht genug
-— aufgestellt ist, liegen hunderte in den Depots der
Uffizien aufgerollt, um (hoffentlich bald) in den Korri-
doren der Galerie ihre Auferstehung zu feiern. Jeden-
falls aber wird man durch den geplanten Katalog in
absehbarer Zeit zuverlässige Nachrichten über diesen
wichtigen Kunstzweig erhalten. Auch Diebstähle sind
wieder zu melden. Bei Casciato wurde ein Robbia-
relief, Madonna mit zwei Heiligen, und in Antella ein
Madonnenbild des Quattrocento gestohlen. Q. Or,

LONDONER BRIEF

Die Saison für die Winterausstellungen befindet
sich in vollstem Schwünge, aber trotzdem ihre Zahl
sich von Jahr zu Jahr erheblich vermehrt, so vermag
doch zum Lobe derselben gesagt werden, daß fast jede
irgend etwas Hervorragendes bietet. Tatsächlich erst-
klassige Objekte hat die Firma Thomas Agnew & Sons
in ihrer Galerie in Old Bond Street vereinigt und unter
dieser Elite nimmt wiederum Velasquez' »Venus und
Kupido« den Ehrenplatz ein. Momentan, und mut-
maßlich auch noch für geraume Zeit hinaus, bildet
»Velasquez« das Stichwort für die Kritik des kunst-
liebenden Publikums und namentlich für die großen
Sammler, die einen Trumpf darauf setzen, in ihren
Galerien einen Velasquez zeigen zu können. Die für
das Bild gemachten Angebote sind bereits sehr er-
heblich; da indessen, soviel ich gehört habe,
700000 Mark für dasselbe verlangt werden, so dürfte
sein Endziel doch wohl Amerika sein, trotzdem täg-
lich in den Zeitungen Aufrufe geschehen, um das
Werk für England zu erhalten. Ich will keineswegs
die Echtheit als Arbeit des Velasquez in Zweifel
ziehen, aber gesagt muß es doch werden, daß der
Stammbaum sich nicht mit absoluter Gewißheit nach-
weisen läßt. Ursprünglich — die Identität des Ge-
mäldes vorausgesetzt — war dasselbe für den könig-
lichen Palast in Madrid bestimmt, kam dann an den
Herzog von Alba, an Godoy, an den Bilderhändler
Buchanan und von diesem kaufte es 1813 auf den
Rat des Malers Lawrence Mr. Morritt für 500 £. Das
nach und nach sehr verkommene Bild ist inzwischen
so gut gereinigt worden, daß es in jeder Beziehung
einen sehr harmonischen Eindruck hervorruft. Wer
der eigentliche Besitzer jetzt ist, wird verschwiegen.

Im höchsten Kontrast zu jenem »Velasquez« stehen
die in leuchtenden und flammenden Farben an-
gefertigten Porträts von Largilliere. Im übrigen sind
es altenglische Meister, die die Galerie füllen, so
namentlich: Reynolds, Gainsborough, Romney, Raeburn,
Hoppner, Crome und Morland. Von Reynolds nenne
ich nur »Mary Wrottesley«, um zu zeigen, daß es
selbst bei einem so berühmten Meister noch immer
möglich war, ein bisher von der Forschung unent-
decktes Werk an das Tageslicht zu fördern. »The
Vernon Children« von Romney hatte Mr. Tomlinson
vor etwa fünfzig Jahren für 10 Schilling gekauft. Im
vergangenen Sommer spielte sich bei Christie um dies
Gemälde ein Kampf zwischen Agnew und Colnaghi
ab, in welchem ersterer der Sieger mit dem Gebot
von 130000 Mark blieb. Raeburn malte nur aus-
nahmsweise hübsche Frauen, aber »Lady Maitland«
in dem hier ausgestellten Porträt ist eine solche.
Hoppner ist gleich gut vertreten, und Morlands
»Morgen« gehört zu seinen besten Arbeiten. Endlich
soll noch das ungemein anziehende, von Thomas
Lawrence angefertigte Porträt der »Herzogin von
Gordon«, die nicht nur als Schönheit gefeiert wurde,
sondern auch als Rivalin der Herzogin von Devonshire
bekannt geworden ist, hervorgehoben werden.

In der »New Gallery« hält die Gesellschaft der
Porträtmaler ihre jährliche Ausstellung ab. Wenn-
 
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