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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon des Champ de Mars
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0201

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von h. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 25. 18. Mai

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DER SALON DES CHAMP DE MARS

Der Name ist an ihm hängen geblieben, obgleich
er schon lange nicht mehr am Marsfelde, sondern
wie sein älterer Kollege im nämlichen Kunstpalast
an den elysäischen Feldern haust. Außer dem Namen
hat er freilich nicht viel, das ihn von dem Nachbar
unterscheiden könnte, wenigstens was die Qualität
der ausgestellten Kunstwerke anlangt. Zuerst eine
fast revolutionäre Vereinigung, ist die Societe nationale
jetzt längst ebenso zahm und hoffähig geworden wie
die Societe des artistes fran^ais, und ihre Spitzen sind
offiziell nicht weniger anerkannt wie die Herren neben-
an. Herr Carolus-Duran ist ja sogar zum offiziellen
Vertreter der französischen Kunst im Auslande ernannt
worden, als man ihn zum Direktor der französischen
Kunstakademie in der römischen Villa Medici machte.
Man betrete also den Salon des Marsfeldes nicht mit
der Erwartung, hier neue und revolutionäre Er-
scheinungen zu finden. Solche Erscheinungen sind
ja bekanntlich sehr, sehr selten, und wenn alle zehn
Jahre ein großer und feiner Künstler auftaucht, muß
man recht zufrieden sein. Und dann hat man mehr
Aussicht, den kommenden Mann bei den Unabhängigen
zu finden als bei den Leuten vom Marsfelde.

Eine ordentliche Ausstellung muß einen Clou
haben, der diesjährige Salon du Champ de Mars tut
ein übriges und bringt uns gleich drei oder vier
»Nägel«, an denen sich das Interesse des Publikums
aufhängt. Erstens ist da ein Saal mit Arbeiten des
vor wenigen Wochen gestorbenen Malers Eugen
Carriere. Einige vierzig Arbeiten werden da gezeigt,
und wie fast immer in solchem Fall sagt man sich,
weniger wäre mehr gewesen. Nur die allerwenigsten
Künstler können es auf eine solche Kraftprobe an-
kommen lassen. Die übergroße Mehrzahl selbst der
bekanntesten und gefeiertsten Künstler verliert be-
denklich, wenn man eine größere Anzahl ihrer Werke
in einen Raum zusammenbringt. Man kann wohl
alle vierundsechzig Velazquez im Prado anschauen,
und wenn es hundertundsechzig wären, würde beim
hundertundsechzigsten die Bewunderung nur frischer
und größer werden, aber ein Velazquez oder ein
Künstler von seiner Kraft und Bedeutung kommt auch
nur alle hundert Jahre auf die Welt. Carriere ver-
liert also in diesem Räume, wo alle Wände mit
seinen grauen, verblaßten Photographien gleichenden

Bildern bedeckt sind. Er verliert, wie Ziem im
Kleinen Palais verliert, wo seine hundert Bilder ver-
gebens ihr Farbengefunkel ausstrahlen, wo alles das
in dieser Menge bedenklich der Wirkung oberfläch-
lichen Kitsches nahekommt. Er verliert wie Henner
im nämlichen Kleinen Palais, obschon da wenigstens
drei oder vier Arbeiten Meisterwerke sind. Außer
den von früheren Ausstellungen nicht nur in Paris
bekannten zahlreichen Familienbildern werden hier
von Carriere auch einige kleine Landschaften gezeigt,
höchst merkwürdige Sachen, von genau den nämlichen
graubraunen Schleiern eingehüllt, die seine Bildnisse
bekannt gemacht haben. Während der Künstler aber
in seinen Bildnissen eine erstaunliche Feinfühligkeit
im Erschauen und Erfassen der tiefinneren Seelen-
tätigkeit seiner Modelle zeigt, lassen diese Landschaften
kein solches Eingehen auf die Naturstimmung er-
kennen, und es ist wohl kein Unglück, daß Carriere
nur selten das Porträt verließ. Im ganzen aber zeigt
uns diese posthume Ausstellung, daß auch Carriere
nicht zu den ganz Großen gehört, von denen man
vierzig Arbeiten ungestraft nebeneinander hängen darf.
Er wirkt hier sehr eintönig, um nicht das böse Wort
manieriert auszusprechen, das sich uns in dem Saale
Ziems im Kleinen Palais aufdrängt, und das wir
auch im Hennersaale kaum unterdrücken können.

Ein anderer Clou ist der von Dubufe hergerichtete
Doppelraum. Dubufe ist ein sehr mittelmäßiger
Maler, der Geschmack für die künstlerische Ausge-
staltung eines Raumes hat. Wäre aus der modernen
kunstgewerblichen Bewegung in Frankreich etwas
geworden, und hätte Dubufe sich diesem Gebiete zu-
gewandt, so würden aus seiner Werkstätte wohl
treffliche Sachen hervorgegangen sein. Leider versteift
er sich darauf, dekorative und andere Bilder zu malen,
deren keines mehr ist als recht mittelmäßige Dilettanten-
arbeit. Zugleich aber ist er seit der Gründung des
Champ de Mars der Ausstellungsleiter, und als solcher
hat er es mehrere Male verstanden, den Parisern, die
von der würdigen Ausstattung von Ausstellungsräumen
keine Ahnung haben und sich nicht träumen lassen,
welche raffinierte Wirkungen gerade durch das
Arrangement in Deutschland erzielt werden, wenigstens
einen Schimmer davon zu geben, daß eigentlich auch
der Tapezierer ein Künstler sein müßte. So hat er
auch in diesem Jahre einen Doppelraum hergerichtet,
der sich von der Banalität der anderen Säle vorteil-
 
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