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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [3]
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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der Artistes français
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0218

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419

Der Salon der Artistes francais

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Vorteile für ein solches Verfahren sind allerdings
so groß, daß man den betreffenden Künstlern ihre
Handlungsweise kaum verdenken kann. Viele Damen
namentlich machen die Abnahme des Porträts ab-
hängig von der Ausstellung in der Akademie. Bei
den Mitgliedern der letzteren besteht bekanntlich
hierfür keine Schwierigkeit, während für die so-
genannten »Outsiders« die »Hängekommission« ent-
scheidet.

Alma Tadema gibt uns sein gewohntes »Marmor-
bild« im Sinne des rekonstruierten antik-griechischen
Lebens. Abbeys »Kolumbus«, obwohl einen Ehren-
platz einnehmend, wirkt nicht einmal dekorativ, da
keine Spur von Realität in diesem Bilde lebt, der
Hintergrund viel zu unruhig und das Ganze zu
bunt gehalten ist. Trotz dieser unwahren Atmo-
sphäre, in der Abbey sich bewegt, übt er einen
großen Einfluß auf jüngere Maler aus, unter denen
sich namentlich Frank Craig auszeichnet. Sein Bild
»Die Ketzerin«, ein zum Tode geführtes junges
Mädchen, wurde aus den Mitteln der »Chantrey-
Stiftung« für die Täte Oallery angekauft. Sir
Charles Holroyd, der bisherige Direktor der eben
genannten Sammlung, ist, wie schon mitgeteilt, zum
Direktor der National Gallery ernannt worden. Vier
Jahre lang war er früher Assistent von Professor
Legros, dessen Biographie er auch verfaßt hat. Ob-
wohl ursprünglich Maler, so hat sich Sir Charles
Holroyd in letzter Zeit vorwiegend der Graphik
zugewandt. Sein liebenswürdiges Entgegenkommen,
sowohl im amtlichen, wie im privaten Verkehr, ver-
bunden mit seinen bedeutenden Fachkenntnissen, hat
ihm nach allen Seiten hin Freunde erworben. Sir
Edward Poynter war ziemlich unnahbar!

Unter den zahlreichen übrigen Ausstellungen er-
wähne ich die von der Firma P. und D. Colnaghi
veranstaltete Ausstellung von 88 Zeichnungen von
Gainsborough, die in ihrer Art besonders interessant
ist. Wohl niemals ist eine so große und bedeutende
Anzahl von Zeichnungen des Meisters in einer Hand
vereinigt worden. Es sind nicht etwa flüchtig hin-
geworfene Studien, sondern vollständig durchgeführte
Arbeiten, meistens Landschaften aus der Umgebung
Londons und von Bath darstellend. Unter den
Porträts sind besonders anziehend die als Vorlagen
geltenden Zeichnungen zu den Bildnissen der Schau-
spielerinnen Sarah Siddons und der Herzogin Geor-
gina von Devonshire.

Eine der sehenswertesten Ausstellungen, die seit
Jahren hier veranstaltet wurde und wirklich Erst-
klassiges bietet, ist die in der Guildhall. Mr. A. G.
Temple, der Direktor der städtischen Gemäldegalerie,
hat sich durch seine Ausstellung flämischer Künstler,
die die gesamte flämische Kunst seit der Zeit van
Eycks bis auf die modernen belgischen Maler zu
studieren Gelegenheit gibt, ein unstreitiges Verdienst
erworben. Der Mr. Temple zu Gebote stehende
Raum ist ein verhältnismäßig so beschränkter, daß
man zwar bedauern muß, eine erhebliche Anzahl
von modernen belgischen Künstlern nicht vertreten
zu sehen, aber die Verhältnisse sind eben stärker wie

der Wille des Direktors. Um nur einige hervor-
ragende Spezialleistungen zu erwähnen, mache ich
besonders aufmerksam auf das vom Herzog von
Devonshire geliehene Triptychon Memlings, eines
der vorzüglichsten und besterhaltensten Werke des
Meisters, das besonders geeignet erscheint, als Maß-
stab für Memlings Bilder zu dienen. Dann sehen
wir zwei echte Hubert van Eycks aus der Sammlung
von Sir Fr. Cook: »Die drei Marien an dem Grabe
Christi«, während Jan van Eyck nicht so gut wie
jener repräsentiert ist. Die van der Weiden zuge-
schriebenen Gemälde sind zwar ersten Ranges, aber
man kann ihn nicht mit Bestimmtheit als Autor
nennen. Aus der Zeit Memlings rührt jedenfalls die
schöne, aus dem Besitz des Herzogs von Westminster
stammende Madonna her. Ein wirkliches und blei-
bendes Verdienst hat sich Mr. Temple aber dadurch
erworben, daß er bei einer Menge von Werken über-
zeugend nachgewiesen hat, wie wenig Berechtigung
vorhanden war, diese bisher mit den Namen von
Memling, Mabuse und anderen großen Meistern zu
belegen.

Wenn ich zuletzt noch der von Herrn Heine-
mann in der Grafton Gallery veranstalteten Aus-
stellung Münchener Künstler Erwähnung tue, so ge-
schieht dies weniger, um die wohl meistens in
Deutschland bekannten Bilder zu beschreiben oder
zu kritisieren, als vielmehr einen mutigen Versuch
anzuerkennen, der deutschen Kunst in London mehr
Eingang wie bisher zu verschaffen. Alles in allem
hat Herr Heinemann eine sehr achtunggebietende
Sammlung zusammengestellt und trotz mancher mir
zu leicht verständlicher englischer Gegenströmung
doch das Ansehen deutscher Kunst gefördert.

In »Etruria« in der Grafschaft Stafford haben
die Nachfolger von Josiah Wedgwood ein keramisches
Museum angelegt, das über 6000 Muster aller der-
jenigen Töpfereien enthält, die durch Wedgwood
und zum Teil unter Mitwirkung von Flaxman ent-
standen sind. Beide waren bestrebt, in der Form-
gebung die Schönheit der antiken, besonders der
etrurischen Gefäße zu erreichen. Daher auch der
Name »Etruria« für die großartigen Fabrikanlagen.
Bei dem hohen Wert, der alten Wedgwood-Erzeug-
nissen beigemessen wird, möchte es vielleicht für Lieb-
haber und Kenner nicht uninteressant sein, jene in
ihrer Art einzige Sammlung kennen zu lernen.

O. v. SCHLEINITZ.

DER SALON DER ARTISTES FRANCAIS

Die Plastik hat im alten Salon rund 850 Nummern
und dabei ist die unter der Rubrik »Objets d'arts« aus-
gestellte Kleinplastik nicht mitgezählt. Unwillkürlich wünscht
man in der weiten, mit weißen Gips- und Marmorfiguren
angefüllten Halle: Wenn doch endlich alle Kriegshelden
von Siebzig ihr Denkmal hätten, wenn doch endlich jedes
Dorf mit seinem Kriegerdenkmal versehen wäre, wenn
doch endlich Wahrheit würde, was Schiller seine Jungfrau
von Orleans sagen läßt: »Johanna geht und nimmer kehrt
sie wieder!« Ach, leider kehrt sie alle Jahre wieder. Sie
kommt wie das Mädchen aus der Fremde mit jedem
jungen Jahr, sie kommt zu Fuß und zu Roß, gewappnet
 
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