Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Wolfgang Kallab
DOI Artikel:
Eugène Carrière †
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
327

Eugene Carriere

f — Nekrologe

328

Anzeigen herausgab, offenbarte er einen kühlen, durch-
dringenden Verstand und ein überlegenes Wissen; aber
ich bekenne, daß ich oft in diesen nicht immer reifen und
geklärten Urteilen die Spur seiner sympathischen Persön-
lichkeit vergebens gesucht habe. Ich habe es ihm selber
ausgesprochen, daß ich lieber positive Leistungen seiner
Feder gesehen hätte und brauche es darum hier nicht zu
verschweigen.

So kurz ist der Tag gewesen, der ihm beschieden war,
so gering die Summe seiner Leistungen im Vergleich zu
dem, was wir mit Recht erhofften! Ich bin ihm die Ant-
wort schuldig geblieben auf seinen letzten Brief. So möchte
ich ihm dies Blatt der Erinnerung weihen. e. St.

EUGENE CARRIERE f
Eine schmerzliche Nachricht ist aus Paris gekommen,
die den Tod des vortrefflichen Malers Eugene Carriere,
der nur 57 Jahre alt geworden ist, meldet. Leider haben
wir diese Kunde ohne Überraschung vernehmen müssen,
denn daß Carriere ein verlorener Mann war, wußten Näher-
stehende schon seit Jahren. Es schien sich um ein bös-
artiges Kehlkopfleiden zu handeln, worauf die tonlose
Sprache seiner letzten Jahre hindeutete. — Wir würden nun
versuchen, hier zu schildern, was Carriere vor allen Malern
Frankreichs so eigentümlich machte, daß keines andern
Malweise der seinen »zum Verwechseln ähnlich« sah; was
seine Bilder auf allen Ausstellungen auf den ersten Blick
herauserkennen ließen; was an feinsten Qualitäten diesen
Meister gerade uns Deutschen so sympathisch machte —
all das müßten wir ihm hier als Nachruf widmen, wenn wir
nicht erst vor kurzem, nämlich im vierzehnten Band der
neuen Folge der »Zeitschrift für bildende Kunst« (Mai 1903)
ein so ausführliches, liebevoll empfundenes und durch gute
Abbildungen unterstütztes Lebensbild Carrieres, von einem
seiner Landsleute verfaßt, veröffentlicht hätten. Wir ver-
weisen also unsere Leser auf diesen Aufsatz, über den hinaus
wir Neues über den Meister kaum mehr zu sagen wüßten.
Wer das Glück hatte, im Jahre 1903 die große zusammen-
fassende Ausstellung der Werke Carrieres in der Galerie
Bernheim in Paris zu sehen, hat erst einen wirklichen Ein-
druck seiner Kunst empfangen. Denn es zeigte sich damals,
daß Carriere durchaus nicht immer die eigentümlich nebel-
haften, sich aus aller Körperlichkeit zurückziehenden Seelen-
porträts mit den halb erloschenen Augen gemalt hat, die
in der letzten Zeit ihn hauptsächlich auf Ausstellungen
vertreten haben; im Gegenteil: seine früheren Kinderbild-
nisse sind von einer so prachtvollen Fleischlichkeit, von
einer so wundervollen kecken Kraft des Weiß und Schwarz,
daß man vor manchen unmittelbar an Velazquez denken
mußte. Ein ganz reizendes kleines Stück aus etwas älterer
Periode sah man übrigens von ihm auf der Dresdener Aus-
stellung 1904 (zwei Kinder, die sich umarmen), wo sich außer-
dem noch eins seiner umfangreichsten oder vielleicht das um-
fangreichste Werk befand, nämlich die mehrere Meter lange
Leinwand, die Zuschauer auf dem höchsten Range eines
Vorstadttheaters darstellend. Carriere war reiner Por-
trätist. Landschaften von ihm sind uns nicht bekannt.
Er hatte die in gewisser Beziehung ausgezeichnete Eigen-
tümlichkeit, die man speziell bei großen modernen fran-
zösischen Künstlern öfters vertreten findet, nämlich: dieselbe
Szene, denselben Gegenstand unendlich oft zu malen, ohne
sich jemals direkt zu wiederholen, immer in dem Streben,
bis in die letzten Tiefen und Geheimnisse vorzudringen.
Für ihn lag das Gute wirklich »so nah«; er holte es ein-
fach (wie der Schwede Larsson auf seine Art) aus seiner
nächsten Umgebung. Seine Frau und seine reiche Kinder-
schar in ihren wechselseitigen Zärtlichkeiten und in all
den Innigkeiten des Familienlebens waren durch alle Zeit

hindurch seine Modelle, deren er nie überdrüssig wurde.
Er hat auch viele berühmte Menschen porträtiert. Allbe-
kannt und unvergeßlich sind sein Daudet, sein Verlaine
und sein Rochefort. Carriere hatte für Deutschland viele
Sympathien, und Dora Hitz darf sich direkt seine Schülerin
nennen. Auch Köpping war ihm befreundet. Carrieres Wiege
stand in Gournay, in der Nähe von Paris, wo er 1840 ge-
boren ward. Sein Vater war Flame, seine Mutter Elsässerin.
Als Kriegsgefangener ist er im Jahre 1871 nach Dresden
gebracht worden, wo ihn der Zufall in die Kgl. Gemälde-
galerie führte, die ihm vor allem für Rubens die Augen
öffnete. Nach dem Kriege ging Carriere nach Paris zurück
und wurde ein Schüler Cabanels. Schwere Tage der Not
hatte er zu überstehen, bis er langsam ein berühmter
Mann geworden war. Da er kein Geld hatte, um Modelle
zu bezahlen und ein regelrechtes Atelier zu mieten, so
malte er Frau und Kind in schlecht beleuchteter Stube.
Das mag vielleicht zuerst der äußere Anlaß für seine
eigenartige Technik geworden sein. a. K.

NEKROLOGE
Friedrich Gönne f. In Dresden ist fast 93 Jahre
alt der Maler Christian Friedrich Gönne gestorben. Nicht
um eine, sondern um zwei Generationen liegt die Kunst-
anschauung zurück, in der das künstlerische Schaffen
dieses Kunstveteranen wurzelte. 1813 zu Dresden geboren,
erhielt er seine Ausbildung in Dresden und Antwerpen,
weiter in Berlin, München und Rom, dann bereiste er
Frankreich, England und Schweden. Im Jahre 1843 errang
er mit seinem Genrebilde »Des Räubers Reue« in Dresden
einen großen Erfolg. Eine ganze Reihe ähnlicher roman-
tischer und novellistischer Genrebilder folgten: die Kon-
venienzehe, der Bajazzo im' Zwischenakt (Kunsthütte zu
Chemnitz), Blondel findet den gefangenen König Löwen-
herz, Brennende Erinnerungen (ein junger Kavalier ver-
brennt allerlei Andenken am Kaminfeuer, dessen Rauch
die Seelen der von ihm getäuschten Frauen entsteigen,
1869) in der Kunsthalle zu Hamburg, der Steckbrief usw.
Auch mehrere Altarbilder für sächsische Kirchen und Bild-
nisse (König Johann von Sachsen im Rathaus zu Leipzig)
hat er gemalt und zwei anregende Schriften veröffentlicht:
Flüchtige Blicke in Kunst und Natur und Das Gleichgewicht
in der Bewegung. Gönne war Ehrenmitglied der Aka-
demie zu Dresden und Amsterdam, von 1857 bis in die
achtziger Jahre Lehrer an der Dresdener Kunstakademie.
Noch als Greis von 75 Jahren malte er sein Selbstbildnis.
Seitdem ist er nicht mehr an die Öffentlichkeit getreten.

am

In Düsseldorf ist der Landschafter Albert Flamm,
einer der letzten aus der einst so stattlichen Schar der
Alt-Düsseldorfer Meister, 83 Jahre alt, gestorben. Flamm
war ein geborener Kölner und der älteste Schüler von
Andreas Achenbach. 13 Jahre alt war er mit der Absicht,
Architekt zu werden, auf die Düsseldorfer Akademie ge-
kommen. Zwei Jahre später ging er, dasselbe Ziel er-
strebend, nach Belgien, wo ihn der Eindruck der Malerei
so überwältigte, daß er sich entschloß, selbst Maler zu
werden. Im Jahre 1846 kehrte er nach Düsseldorf zurück
und trat in das Atelier von Andreas Achenbach ein. Mit
seinem Lehrer zusammen machte er nach vielen anderen
Studienwanderungen im Jahre 1850 seine erste italienische
Reise. Drei Jahre verweilte er speziell in Rom, wohin er
alljährlich wieder zurückgekehrt ist. Zeit seines Lebens
hat Flamm der Schilderung des italienischen Volkslebens
und italienischer Natur seine Kunst gewidmet. So hat er
am liebsten die Umgebungen Roms und Neapels im hellen
warmen Sonnenlicht geschildert, und eine ähnlich heitere
Stimmung lagert über der Bevölkerung selbst, die auf
 
Annotationen