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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Gensichen, Otto Franz: Adolf Rosenberg: ein Gedenkblatt
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Florentiner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0146

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Florentiner" Brief

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Ende 1899 erloschen seine Beziehungen zur »Kunst-
chronik«. Zahlreich sind auch in den sechsund-
zwanzig Jahren seiner Mitarbeit die größeren Auf-
sätze, welche er in der »Zeitschrift für bildende
Kunst« veröffentlicht hat; sie umfassen gleichermaßen
die alte wie die moderne Kunst; seine größere Artikel-
folge über Rubens aus den neunziger Jahren wird
den Lesern noch in bester Erinnerung sein.

»Seines Fleißes darf sich jedermann rühmen«,
sagt Lessing, und Adolf Rosenberg hätte das wahrlich
gedurft, wenn es seinem bescheidenen Naturell nicht
zuwider gewesen wäre. Denn wie energisch er seine
künstlerische Überzeugung auch vertrat, so blieb er
persönlich doch von rührender Bescheidenheit. So
hat er sich auch niemals entschließen können, seine
Theaterkritiken, unter denen manch kleines Meister-
werk war, in Buchform zu sammeln, wie dies heute
vielfach geschieht.

Er führte ein stilles Gelehrtenleben, in das nur
während der Ferien durch weite Reisen eine er-
frischende Abwechselung kam. Früh vermählt, in
seiner zwar kinderlosen, aber überaus glücklichen
Ehe, in der er noch die Silberhochzeit feiern durfte,
sich außerordentlich behaglich fühlend, der verständnis-
vollen Teilnahme seiner Gattin und seiner einzigen,
unverheiratet gebliebenen Schwester sich erfreuend,
fand er die höchste Befriedigung in seiner Häuslich-
keit und seiner Arbeit. Er legte seine rastlos fleißige
Feder wirklich erst nieder, als die akut einsetzende
Krankheit sie ihm am Freitag, den 23. Februar,
plötzlich am Schreibtisch aus der Hand riß. Grund-
gutmütig, immer zum Helfen bereit, hat er nicht nur
durch seine Schriften, sondern auch durch werktätigen
Beistand gar viele junge Künstler gefördert, hat mit
dem ihm verliehenen geistigen Pfunde redlich ge-
wuchert und den Goethespruch bewahrheitet:

»Ein geistreich aufgeschlossnes Wort
Wirkt auf die Ewigkeit«.

FLORENTINER BRIEF

In den letzten Monaten konnte man in den an-
gesehensten Zeitungen Italiens eine höchst unerfreuliche
Polemik lesen, gerichtet gegen die Beraubung des
Landes durch die Fremden — gleich als handle es
sich um eine allerneueste Goteninvasion. Dem Ge-
schrei aber diente als Ausgangspunkt die Tatsache der
Erwerbung einiger bedeutender italienischer Bilder
durch das Berliner Museum. Man ging nicht auf
die letzten Ursachen zurück, kümmerte sich nicht
darum, was eigentlich die Allgemeinheit daran verliert,
wenn ein im Privatbesitz verstecktes, fast unzugäng-
liches Kunstwerk hinauswandert, um in Zukunft würdig
aufgestellt, jedermann sichtbar zu sein.

An dieser Polemik haben sich ernsthafte Leute
— mit einer Ausnahme — nicht beteiligt. Vor allem
halten die beiden namhaften Männer, die die Floren-
tiner Sammlungen leiten, sich von diesem häßlichen
Treiben fern. Besser noch: Sie greifen in anderer
Weise aktiv ein und suchen, trotz der engbegrenzten
Mittel, über die sie gebieten, ihre Sammlungen zu
vermehren und um bedeutende Stücke zu bereichern.

Und so darf der Chronist heute den Kunstfreunden
die willkommene Nachricht zugehen lassen, daß dank
Riccis Energie und Umsicht zwei äußerst interessante
Stücke in den Besitz der Uffizien gelangt sind.

Das erste ist der linke Flügel einer Orgeldekoration,
die, wenn geöffnet, die Verkündigung, wenn geschlossen,
zwei ruhig stehende Heilige zeigt. Ich darf gleich
voraus bemerken, daß hoffentlich auch das korre-
spondierende Stück wird erworben werden können.

Leider wurde bei nicht bekannter Gelegenheit die
hochbedeutende Tafel verstümmelt. Es muß über
den Köpfen der Verkündigungsfiguren entweder ein
größerer Luftraum gewesen sein oder etwa in be-
sonderen Abteilungen noch andere Figuren (Propheten
oder Sibyllen?): dieses obere Stück wurde unglaub-
licherweise abgeschnitten und damit die Heiligen
der anderen Seite ihrer Köpfe beraubt.

Aber selbst in der Verstümmelung blieb eine selten
eindrucksvolle, mächtige Figur zurück. In ruhiger
Haltung, den einen Fuß etwas vorgestellt, von unten
gezeigt (mit Rücksicht auf die Höhe, in der das Bild
sichtbar gewesen sein muß), stellt sich ein Bischof dar.
Seine rechte Hand hält eine messingne Kanne, die
linke den Stab. Der weinrote Mantel öffnet sich
über der Brust und in großartigem Wurf sich ent-
faltend, zeigt er dem Auge das weiße Gewand. Man
denkt an Plastik, mehr noch an griechische Gewand-
figuren, so grandios-ruhig geht der Zug der Falten
nach unten.

Im Gegensatz dazu eine übertriebene Bewegung
beim Engel der Rückseite. Er stürmt heran, der
Wind setzt sich in sein weißes Gewand und legt
dieses in zahllose Knitterfalten. Hier haben wir nun
ein unvollendetes Stück Arbeit vor uns; mit sauberen
Federstrichen hat der Maler all die Knitter und Bäusche
umrissen; er hatte angefangen, mit Weiß darüber zu
gehen; dann ward aus irgend einem Grunde die Ar-
beit unterbrochen.

Der Engel ist ein herb-anmutiger Knabe. Seine
Figur zeichnet sich dunkel in riesenhaftem Umriß
gegen die Landschaft: links eine dunkelbraune Felsen-
kulisse, dann in der Ferne blauendes Gebirge, ein
fast weißlicher Himmel: nur ein großer Meister der
Licht- und Luftprobleme hat das machen können.

Ricci hat zuerst den Namen Melozzo da Forli ge-
nannt. Andere namhafte Kenner haben zugestimmt.
Ich bekenne, er überzeugt nicht im ersten Augenblick,
aber durch Ausscheidung gelangt man doch zu diesem
Meister zurück. Denn daß es sich um ein mittel-
italienisches Stück aus der Gegend der Marken und
Umbriens handelt, ist klar. Die Verwendung gewisser
Brokate (an denen man nur ganz wenig zu sehen
bekommt), die Kombination der Farben führt dicht
an den Meister heran, der die Bibliothek von Urbino
geschmückt hat. Namen wie Justus von Gent, wie
Giovanni Santi möchte man ausschließen: diese haben
nichts so Großartiges machen können, wie den Falten-
wurf des Bischofs. Palmezzano kann es gewiß nicht
sein. So bleibt denn der eine große Melozzo übrig,
den wir uns als Schöpfer dieser Figur gern denken
mögen. Dem Bild seiner künstlerischen Persönlich-
 
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