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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Uhde-Bernays, Hermann: Der zweite Band der "Sixtinischen Kapelle", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0129

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 16. 23. Februar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DER ZWEITE BAND DER »SIXTINISCHEN
KAPELLE«

Von Dr. Uhde-Bernays

I.

Um einer, schon rein äußerlich betrachtet, ge-
wichtigen Arbeit in jeder Beziehung gerecht zu werden,
bedarf es eines systematisch gründlichen und genauen
Studiums, welches die einzelnen Ausführungen zer-
legt nach Selbständigkeit oder Übernahme aus zweiter
Hand, welches auf Grund der Quellen mit langsamer
Sorgfalt prüft und richtet, anerkennt oder abweist.
Ernst Steinmann hat an seine »Sixtinische Kapelle«*)
wohl ein Jahrzehnt gewandt, die Vorarbeiten einge-
rechnet. Er hat zu dem ungeheuren schon vorhandenen
Material manches Neue und bisher Abgelegene oder
Unbekannte herbeigezogen, er strebte ein Werk zu
schaffen, welches zusammenfassend und einend in
bezug auf die kunstwissenschaftliche Kenntnis der in
der Sixtinischen Kapelle befindlichen Gemälde den
Ruhmestitel der völligen Erschöpfung des zu be-
handelnden Gegenstandes wohl beanspruchen dürfe.
Aus diesem Grunde, der stolzen Höhe des vom Ver-
fasser selbstgewählten Zieles entsprechend, müßte eine
auf wissenschaftlicher Basis ruhende und wissenschaft-
lich ernst gedachte Besprechung unbedingt erst als
Resultat einer förmlichen Nacharbeit geboten werden.
Wenn trotzdem, schon so bald nach der Veröffent-
lichung Steinmanns, die nachfolgenden Ausführungen
zu dem zweiten Bande des großen Werkes Stellung
zu nehmen wagen, so ist es notwendig, von vorn-
herein die Absicht klarzulegen, die ihre rasche Nieder-
schrift veranlaßte. Sie entspringt der genauen Durch-
nahme des Quartbandes mit Herbeiziehung der Quellen
nur an solchen, seltenen Stellen, wo Zweifel sie nötig
machte, unter besonderer Berücksichtigung der von
Steinmann neu gewonnenen Resultate. Sie bezweckt
lediglich, durch berichtendes, nicht durch rechtendes
Vorgehen auf die Bedeutung einer monumentalen
Arbeit aufmerksam zu machen.

Als vor etwa sechs Jahren Justi zu seinem un-
übertrefflichen Bucheüber Michelangelo ausholte, glaubte

*) Die Sixtinische Kapelle. Herausgegeben von Ernst
Steinmann. Zweiter Band, Michelangelo. München, Ver-
lagsanstalt F. Bruckmann, 1905. 40. Mit Mappe in 20.

er der entschuldigenden Worte »Es scheint Mut dazu
zu gehören, noch über diese Gemälde sich hören
zu lassen« sich bedienen zu müssen. Und gerade
er hat den glänzenden Beweis geliefert dafür — er
wie auch Heinrich Wölfflin in dem Abschnitt der
»Klassischen Kunst«, der Michelangelo behandelt, —
daß das universelle Werk, wie er selbst sagt, »unter
verschiedenen Sehwinkeln und unter anderen als den
jetzt üblichen« betrachtet werden kann. Justi tritt
Michelangelo gegenüber wie der verstehende nehmende
Mensch dem anderen höchstes menschliches Verständnis
voraussetzenden, schaffenden gebenden Menschen.
Neben der phrasentriefenden Verhimmelung, die gleich-
zeitig in einem mehrbändigen Werke fassungslos über
der Göttlichkeit des weihevoll gepriesenen Genius
sich nicht auf den realen Gehalt seines Werkes zu
besinnen vermochte, wirken seine klar und sicher
formulierten Schlüsse in ihrem logisch einfachen Zu-
sammenhang doppelt überzeugend und belehrend.
Die Kenntnis des Justischen Buches ist für eine rasche
Annäherung an Michelangelo die unbedingte Voraus-
setzung. Steinmann hat klug gehandelt, indem er
vor allen anderen Justi eine ehrende Ausnahmestellung
einräumte, und ihm auch da, wo sich oft nur infolge
rein äußerer Umstände, wie etwa der Möglichkeit einer
genaueren Betrachtung, gegenteilige Ansichten ergaben,
in einer sein großes Verdienst stets rückhaltlos an-
erkennenden Weise erwidert.

In der Einleitung bekennt sich Steinmann als An-
hänger der kunstwissenschaftlichen Richtung, welche
erst im Anschluß an eine genaue Kenntnis der
historischen und kulturhistorischen Verhältnisse das
Wirken des Künstlers betrachtet, das Werk also mehr
nach seiner Umgebung und den äußeren Einflüssen
als nach seinem inneren selbständigen Wert beurteilen
will: »Stets sollte das Erkennen der Einzelerscheinungen
im Lichte der historischen Zusammenhänge geschehen,
immer wurde die Überzeugung vertreten, daß die
Kunst der Renaissance in Rom nur im engsten Zu-
sammenhange mit der Zeitgeschichte verstanden werden
kann«. Gegen diese Betrachtungsweise im allgemeinen
hat sich mit Recht im Lauf der letzten Jahre eine
starke Gegenströmung geltend gemacht, welche für
die notwendige Selbständigkeit der Kunstgeschichte,
für die Trennung von der Kulturgeschichte eintritt.
Diese Gegenströmung hat trotz des angeführten Satzes
auch auf diejenigen Abschnitte des Steinmannschen
 
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