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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0185

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von h. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 23. 27. April

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in c'en Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF
Von Karl Euqen Schmidt

Mit den Kunstausstellungen befindet man sich
augenblicklich in Paris im größten Embarras de richesse:
bei allen Händlern drängen sich die Ausstellungen
und auch in den öffentlichen Sälen löst eine Kunst-
schau die andere ab. Man weiß da gar nicht mehr,
wovon man berichten soll, weil man doch nicht über
alles berichten kann, und so läßt man es lieber ganz
bleiben. Aber ich würde mir nicht verzeihen, wenn
ich nicht wenigstens von der Sonderausstellung
J. J. Gabriels in der Galerie des Artistes modernes
spräche. Gabriel gehört zu den nicht gerade häufigen
Künstlern, die jeder lauten Reklame ängstlich aus
dem Wege gehen, die großen Bildermärkte des Salons
vermeiden und in der künstlerischen Tätigkeit selbst
Genüge finden, ohne sich um die Meinung der Kritik
und des Publikums, um den Geschmack der Händler
und Käufer zu kümmern. Solche Leute hat es in
der französischen Kunst immer gegeben, und mit
Corot ist nicht der letzte von ihnen geschieden.
Aber freilich haben es die Künstler, die mit der
künstlerischen Begabung das Talent für Marktschreierei
verbinden, leichter, vor die Öffentlichkeit zu kommen.
Ja, die marktschreierische Mittelmäßigkeit wird eher
berühmt und geschätzt als das still in der Werkstatt
schaffende Genie. Wer also bei Lebzeiten berühmt
werden will, darf nicht nur Talent haben, er muß
es auch verstehen, die Trommel zu rühren und dem
Publikum die Ohren vollzuposaunen.

Gabriel kümmert sich nicht um das Publikum,
und so nähert sich dieser überaus aparte, feine und
delikate Künstler bereits den Sechzigern, ohne daß
das weitere Publikum auch nur von seiner Existenz
etwas wüßte, und selbst den Leuten, die sich mit
Kunst beschäftigen, ist er nur wenig bekannt. Die
gegenwärtige Ausstellung in der Galerie des Artistes
modernes, zu deren Veranstaltung der Künstler von
seinen Freunden beinahe gezwungen werden mußte,
wird hoffentlich dazu beitragen, daß der Name Gabriel
den ihm gebührenden Platz einnehme. Gabriel ist
ein überaus feinfühliger Landschafter. Bei ebenso
zartem Verständnis für die Valeurs der Farben ist er
ein lebhafterer Kolorist als Corot, gesellt dem Silber-
dufte des Morgens leuchtend frohe goldene und
scharlachne Töne, läßt den winterlichen Reif des

Waldes in farbiger Beleuchtung schillern, vereinigt
auf allen seinen Bildern lebhaft prangende Farben
mit dem delikatesten koloristischen Verständnis.

Das Thema ist ihm ziemlich einerlei. Bald ist es
ein einsamer Waldweg, dann ein Weizenfeld mit
blühendem Mohn, dann eine enge Gasse in Algier,
ein verlassenes romanisches Kloster in der Provence,
ein Schlößchen an der Donau, ein Bild vom Meeres-
strande aus Nordfrankreich, eine Wiese mit weiden-
den Kühen aus der Nachbarschaft von Paris. Überall
kommt es ihm darauf an, die von der Landschaft
ausgehende Poesie, verschönert durch den feinsten
koloristischen Geschmack, festzuhalten und j'edem
Beschauer verständlich auf die Leinwand zu schreiben.
Wie alle großen Landschafter, wie Corot, Rousseau,
Dupre ist Gabriel nicht nur ein großer Maler, sondern
auch ein großer Dichter. Seine Bilder sind nicht
nur koloristische Meisterwerke, sondern sie sind zu-
gleich Dichtungen von zartester und apartester Poesie.
Auch einige Radierungen hat er ausgestellt, kleine
Leckerbissen, in denen das feine Verständnis des
Künstlers für die Valeurs, für die delikate Abstufung
der Tonwerte fast noch schöner zur Aussprache
gelangt wie in den Bildern. Gabriel erscheint wie
der letzte Herold jener schönen poetischen Kunst
des Waldes von Fontainebleau, die jetzt von einer
lauten und brutalen Kunst niedergeschrien wird, die
aber darum noch nicht aufhört, uns mit ihrer stillen
Schönheit zu bezaubern.

Neben den neulich erwähnten vierundzwanzig
Bildern von Manet hat der Sammler Faure jetzt auch
siebzehn Gemälde von Claude Monet bei Durand-Ruel
ausgestellt. Diese Ausstellung ist bei weitem nicht
so interessant wie die Manets, einmal weil Claude Monet
kein Führer von der Kraft und Eigenart Manets ist,
und dann, weil an Gelegenheiten, Bilder von Monet
zu sehen, in Paris gerade kein Mangel ist. Diese
Ausstellung bringt uns also nichts Neues, obgleich
sie wie die Fauresche Sammlung von Bildern Manets
Arbeiten aus allen Epochen der Monetschen Schaffens-
zeit enthält. Man sieht also, was man aber gerade
bei Durand-Ruel, der Hunderte von Bildern Monets
besitzt, zu jeder Zeit sehen kann, wie Monet im
Anfang ganz in der Art Manets arbeitet, wie er dann
nur noch den Erscheinungen des Lichtes nachgeht
und wie er endlich darüber die Körperlichkeit der
Dinge und die Räumlichkeit der Luft vergißt, so daß
 
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