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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0186

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Pariser Brief

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seine in den letzten zehn Jahren entstandenen Arbeiten
flach und luftlos wirken. Bei ■ weitem das beste der
hier gezeigten Bilder stammt aus dem Jahre 1874.
Es stellt die Seine bei Chatou dar, wo im flimmernden
Sonnenscheine hell, rot und gelb leuchtende Boote
auf dem glitzernden Flusse schwimmen. Hier ist
alles vereinigt: Luft, Licht, Raum, Farbe, um die
Arbeit zu einem Meisterwerke der Malerei zu machen.
Die älteren Sachen sind dagegen etwas hart, die
neuern flach. Jedenfalls scheint diese Ausstellung
wieder zu erhärten, daß man in Monet wie in seinen
Kameraden Pissarro und Sisley keine bahnbrechenden
Führer sehen darf, wie etwa in Delacroix, Courbet,
Manet. In Manet und in dem Engländer Turner ist
schon der ganze Monet enthalten. Er hat uns einige
Meisterwerke geschenkt, aber in Bausch und Bogen
genommen, kann man ihn kaum zu den Meistern
sans phrase rechnen.

Auch die schreckliche Zeit der »Salons« hat jetzt
wieder begonnen. Als die ersten sind wie alljährlich
die »Unabhängigen« auf dem Plan. Dieser am
wenigsten bedeutende Salon weist in seinem Katalog
die Kleinigkeit von 5552 Nummern auf. Die beiden
anderen Salons bringen es zusammen auch auf
mindestens 10000 Nummern, wahrscheinlich mehr.
Der Menschheit ganzer Jammer packt uns an, wenn
wir solche Zahlen lesen. Was um Himmels willen
soll mit diesen Bildern, mit diesen Skulpturen gemacht
werden? Es gibt ja gar nicht Wände genug, um all
das Zeug aufzuhängen, selbst wenn sich die Übel-
täter fänden, die es kaufen möchten. Ich glaube
wirklich, die berühmten Konsulen müßten sich einmal
an die Sache machen und aufpassen, damit die Mensch-
heit keinen Schaden erleide. Denn alle diese Verfasser
von überflüssigen Bildern und Skulpturen könnten
in anderer Weise nützlich beschäftigt werden und ihr
bißchen Talent wäre einem Buchbinder, einem Schreiner,
einem Spengler oder sonst einem Handwerker sehr
nützlich. Als Bildermaler oder Tonkneter aber sind
sie zum mindesten überflüssig.

Der Salon der »Unabhängigen« führt uns mehr
zu diesen Betrachtungen, weil das hier geltende
Prinzip der Jurylosigkeit eine Menge Schund einläßt.
Auf der anderen Seite aber macht dieses nämliche
Prinzip die Ausstellung interessant. Schließlich kommt
es doch in der Kunst — wie im Leben, wie überall —
vor allem auf die Persönlichkeit an. Wer weiter
nichts als ein gutes Gedächtnis, eine saubere Hand-
schrift, eine gelenkige Gestalt besitzt und so die
Meister möglichst brav und ordentlich nachahmen
kann, der wird uns nie aus dem Häuschen bringen.
Weit wahrscheinlicher ist, daß wir uns bei ihm lang-
weilen. Dies ist ganz besonders im alten Salon, dem
sogenannten Salon der Elysäischen Felder, der Fall,
wo die folgsamsten Schüler und Zöglinge der Akademie
am höchsten geschätzt werden. Aber auch im Champ
de Mars macht sich diese langweilige Mittelmäßigkeit
bedenklich breit und breiter.

Bei den Unabhängigen aber fehlt sie eigentlich
ganz, denn, das können sich die Unabhängigen nur
eingestehen: hier stellen in der Hauptsache nur Leute

aus, die in den beiden andern Salons nicht ankommen
können. Natürlich gibt es einige Ausnahmen, aber
sie bestärken die Regel. Im allgemeinen fällt der
Künstler von den Unabhängigen ab, sobald es ihm
gelungen ist, in einem der beiden anderen Salons
festen Fuß zu fassen. Und da es den unpersönlichen
Nachtretern der akademischen Lehrer am allerleichtesten
fällt, in den beiden großen Salons anzukommen, so
stellen diese Leute gemeiniglich nicht bei den Un-
abhängigen aus. Vielmehr sieht man hier Arbeiten,
deren Urheber aber auch nicht die allergeringste
Ahnung haben, die weder von Haus aus etwas können,
noch auch in der Schule etwas gelernt haben, und
dann Leute, die wohl etwas können, die aber wild
gewachsen sind und den Regeln der Schule eine
Nase drehen. Solche Leute aber, selbst die ganz und
gar naiven und unfähigen Nichtskönner sind immer
noch interessanter als die langweiligen Musterschüler.
Kann man sie nicht bewundern, so darf man doch
über sie lachen, und das ist besser, als wenn man
zum Gähnen gezwungen wird.

Viele Namen zu nennen, hat hier keinen Zweck.
Ich führe nur an den Spanier Castelucho, einen ganz
famosen Künstler, den ich jetzt, wo sein Landsmann
Zuloaga ganz und gar zur übertriebenen und kari-
kierten Manier gesunken ist, weit über diesen bekannten
Maler stelle. Er hat wie im vorigen Jahre einige
seiner brillant gemalten Tänzerinnen ausgestellt, die
an leuchtender Pracht der Farbe und an leidenschaft-
lichem Brio der Bewegung alles hinter sich lassen,
was auf diesem seit einigen Jahren so stark kultivierten
Gebiet geleistet worden ist. Als ein sehr interessanter
und persönlicher Bildhauer ist Bernhard Hötger be-
kannt, der in diesem Jahre außer einigen kleinen
Statuetten eine ausgezeichnete Frauenbüste zeigt. Ich
nenne noch die wirkungsvollen Plakate von Georges
Bruyer, die ebenfalls im Plakatstil gehaltenen Aquarelle
von Karl Josza, die von hoher persönlicher und
eigenartiger Begabung zeugenden Typen und Land-
schaften aus der Bretagne von Cäsar Kunwald, die
an die sprühende Farbenpracht Monticellis erinnernden
südfranzösischen Landschaften von Henri Cat, die
vortrefflichen Radierungen aus Holland von Hedwig
von Lokow, die ebenso wahren wie koloristisch
schönen Meeres- und Strandbilder von Sybil Meugens,
die sehr geschmackvollen und hübschen farbigen
Holzschnitte von Nikolaus Seddeler und von seiner
mutmaßlichen Gattin Anna Somoff-Seddeler, das aus-
gezeichnete, den besten Bildnissen von Sargent an die
Seite zu stellende männliche Porträt von dem Eng-
länder Harry Bloomfield und endlich das »historische
Gemälde« von Henri Rousseau.

Rousseau ist der Fürst der naiven und ahnungs-
losen Maler. Oberländer könnte bei ihm noch vieles
lernen, was den Zeichenheften des kleinen Moritz
zugute käme. Heuer hat er die Freiheit dargestellt,
welche die unabhängigen Künstler zur Ausstellung
lädt. Da sieht man erstens sehr hübsche, aus den
»Schäfereien« der Nürnberger Spielwaren stammende
Bäume, die in Reih und Glied aufgestellt sind und
die zu dem Glashause der Ausstellung führende
 
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