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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Michel, W.: Münchener Frühjahrs-Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0155

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Münchener Frühjahrs-Sezession

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MÜNCHENER FRÜHJAHRS-SEZESSION

Die Kollektivausstellung, der sich seit einiger Zeit so
ausschließlich alle Sympathien zuwenden, wird dennoch
nie imstande sein, die Massenausstellung zu verdrängen.
So recht man hat, gegen die Barbarei endloser Bilderwüsten
zu eifern, so verfehlt erscheint es mir, die Massenausstel-
lung in Bausch und Bogen zu verdammen, und in der
Kollektion die einzige Ausstellungsform der Zukunft zu er-
blicken. Auswüchse — unser Glaspalast mit seinen 72
Sälen gehört auch dazu — beweisen nichts gegen das
Prinzip. Wir wollen nicht nur Küpstier kennen lernen,
sondern auch die Kunst, das heißt die allgemeine künst-
lerische Physiognomie der Zeit. Wir haben ein Recht
darauf, in gedrängten Übersichten darüber belehrt zu wer-
den, wie sich die modernen Kunst- und Lebensprobleme
in den verschiedenen Geistern spiegeln. Und dazu be-
dürfen wir des Facetlenspiegels der Massenausstellung.
Die Kollektion führt uns ein Individuum vor, die Massen-
ausstellung aber liefert ein Bild des überindividuellen Lebens,
ein Bild des allgemeinen Kulturstandes, ein Bild der Zeit.
Sie verschafft uns eine Anschauung des Durchschnittes,
des Allgemeinen, des Niveaus. Sie ist daher nicht ein
faute de mieux, sie bietet an sich einen positiven, höchst
schätzbaren Wert.

Gerade bei einer Ausstellung wie der diesjährigen
Frühjahrssezession drängen sich solche Gedankengänge
unabweisbar auf. Das Bedeutende an ihr sind nicht ein-
zelne Schlager, sondern eben der Durchschnitt, das Niveau
des Ganzen. Und dieser Durchschnitt ist gut, dieses Niveau
ist hoch und reizt zu Betrachtungen allgemeiner Art.
Einige davon sollen hier Platz finden. Sie bedeuten keine
Abschweifung vom Thema, sie treffen, wie gesagt, das
Wesentliche, die piece de resistance der ganzen Darbietung.

Ich kann mir denken, daß sich die Herren des Hauses,
die Sezessionisten, über diese Ausstellung mehr freuen
werden, als über jede ihrer Vorgängerinnen. Sie haben
Schule gemacht für eine geraume Zeit, sie haben die lang
ersehnte neue Tradition geschaffen. Die jungen Leute,
die sich in den elf mäßig großen Sälen zusammengefunden
haben, sind keine ungebärdigen Revolutionäre mehr. Eben-
sowenig aber kann man ihnen den Vorwurf der Schlaffheit,
der Stagnation machen. Sie bauen mit Ruhe und Be-
sonnenheit auf der Arbeit der Bahnbrecher auf und tragen
die Entwickelung in einem gemäßigten Tempo weiter. Sie
bringen ein tüchtiges Können mit und Originalität genug,
um sich nicht mit Haut und Haar an einen der Meister
zu verlieren. — Jedes einzelne Bild zeigt an seinem Teile
das Vordringen der stilistischen Elemente. Wie auf allen
Gebieten des geistigen Lebens, so hat man sich auch in
der Malerei auf den Wert der stilschaffenden Persönlich-
keit besonnen. Die Macht des Naturalismus erscheint hier
endgültig gebrochen. Zahlreich sind die Gemälde, die eine
fast graphische Vereinfachung in der farbigen Behandlung
aufweisen, ein Umstand, der mancherlei zu denken gibt.
Diese Selbstbesinnung äußert sich auch sonst in mannig-
faltiger Weise. Die großen, wolkigen Geberden sind ver-
schwunden. Sehnsucht und Romantik ringen dem Leben,
der Zeit und ihren Realitäten hier keine Pyrrhussiege mehr
ab. Der Geist, den die Ausstellung atmet, ist ein Geist
des Positiven, ein Geist der Sammlung und des fröhlichen
Behagens. Die Zeit hat ihre Medusenzüge verloren, mit
ihren Realitäten sind wir versöhnt. Ausstellungen wie
diese Frühjahrssezession bilden, von ihrem absoluten Werte
abgesehen, eine gute Basis für allen Fortschritt, sie bilden
eine Konvention, der sich der Künstler anschließen oder
entgegenstemmen kann. In beiden Fällen wird sie seine
Kräfte fördern. Dabei muß man zugeben, daß an dieser

Konvention nicht alles lobenswert ist. Sie hat sich zu sehr
auf eine bestimmte Art der Technik festgelegt. Sie erkennt
nur eine breite, unintime Malweise an, mit der gar viele
Köstlichkeiten in Natur und Geisteswelt unmöglich wieder-
zugeben sind. Sie sieht ein bischen zu viel auf »Schmiß«,
auf möglichst elegante, runde Niederkämpfung des Pro-
blems, und ein bischen zu wenig auf quellkräftiges Emp-
finden und ein rücksichtsloses Gestalten nach Maßgabe
innerer Antriebe. Hoffen wir, daß die Befürchtungen, die
sich mit Recht an diese allzugroße »Sicherheit« knüpfen,
nicht zur Wahrheit werden.

Im Mittelpunkte des Interesses steht hier, wie bisher,
die Landschaft. Jüngere Kräfte haben auf diesem Gebiete
zum Teil Vorzügliches geleistet. Der Schweizer Max Burg-
meier bringt ein stark individualisiertes Porträt der »Rams-
fluh«, eines steilen, teils nackten, teils bewaldeten Berg-
kegels. Martha Cunz schildert einen leuchtenden »Som-
mertag«, W. Bürgers ist mit Schneelandschaften vertreten,
unter denen besonders der »Winterabend« mit dem zwischen
Schneeufern gleich geschmolzenem Metall dahinfließenden
Bache zu rühmen ist. Das graphische Element, von dem
ich eingangs sprach, zeigt sich sehr deutlich in dem liebens-
würdigen »Novembertag« von Otto Bauriedl, in Edmund
Steppes' »Vorfrühling«, in der »Felsenwand« von Albert
Lamm. Auch der schon längst erprobte Oskar Graf läßt
in seinen Landschaften mit ihren weichen, großen Formen
den graphisch geschulten Künstler erkennen. Richard
Pietzsch und Richard Kaiser, die als Landschafter schon
Ruhm und Ruf gewonnen haben, sind nicht besonders gut
vertreten. Pietzschs »Baderhäusl in Grünwald« läßt den
trefflichen, großzügigen Melancholiker der Landschaft kaum
erkennen, und zeigt ihn auch nicht von einer guten neuen
Seite. Richard Kaiser erscheint mir in der »Erlengruppe«
beinahe glatt und vermag durch die Virtuosität seiner Dar-
stellung die fehlende Wucht und Frische seiner früheren
Arbeiten nicht zu ersetzen. Höchst bemerkenswert ist die
siebzehn Stück umfassende Kollektion des Stuttgarters
Hermann Pleuer. Er geht der verborgenen, differenzierten
Schönheit, die im modernen Verkehrswesen, seinen Ma-
schinen und seinem ganzen düsteren Apparat steckt, rüstig
zu Leibe. Düster wie seine Gegenstände ist seine Farbe,
mit der er besonders die schwere, von Rauch und derben
Gerüchen geschwängerte Luft der Bahnhöfe, Werkstätten,
Remisen sehr suggestiv zu schildern vermag. Er beschränkt
sich nicht auf eine gleichmütige malerische Darstellung
seines Stoffes, sondern er legt das Hauptgewicht auf starke
Charakteristik. Seine Mittel und seine Gegenstände scheinen
sich wechselseitig zu bedingen. Der trockene Pinsel mit
dem er arbeitet, und der die dunklere Untermalung punkt-
und strichweise hervortreten läßt, gibt seiner Luft etwas
ewig Zerrissenes und Düsteres. Er läßt sie rauchig, fast
rußig erscheinen, selbst in dem hellen Licht, das sehr oft
die Hintergründe seiner Bahnhofausschnitte, nie aber die
dunkle Maschinenwelt selbst bescheint. Zu den besten
Landschaften der Ausstellung zählt zweifellos Hayeks »Klarer
Wintertag im Gebirge«, der auf einen feinen gelben Ton
gestimmt fast wie ein Lied oder ein Gedicht anmutet.

Unter den Porträtisten sei an erster Stelle Habermann
mit seinem fabelhaft eleganten und sicheren Damenbildnis
in Pastell genannt. Levier erweckt mit dem »Porträt des
Herrn Jeannerat« beifälliges Staunen, kaum aber tiefere
Befriedigung. Seine kecke, temperamentvolle Art ist leider
nicht frei von Pose. Hans Kempen zeigt eine »Dame in
blauem Hut«. Der Landschaft, der Toilette," dem Hut,
kurz allen toten und vegetativen Dingen wird seine pastose,
saftige Malweise vollauf gerecht. Seiner Behandlung des
Fleisches aber wäre mehr Weichheit und Nachgiebigkeit
dringend zu wünschen. Philipp Klein vereinigt in seinen
 
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