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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Kühl, Gustav: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0193

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von t. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 24. 4. Mai

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewei beblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst* erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeiie, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

BERLINER BRIEF.

Die Frühjahrssaison setzt kräftig ein. Kaum zwei
Wochen sind die neuen Räume von Schulte ge-
öffnet, und schon ist auch die Sezession wieder da,
und die Bilder, diese seltsamen Wandervögel, die in
den verschiedenen Jahreszeiten die rupfenbespannten
Wände mit ihren Farben, ihrem Flimmer und Lärm
anfüllen, wetteifern mit der Eitelkeit der Ausstellungs-
besucherinnen, die ihre Toiletten und ihre Weisheit
zur Schau tragen.

Zunächst darf, über die Bilder und Skulpturen
hinweg, der Schultesche. Neubau von Alfred Messel
die größte Aufmerksamkeit beanspruchen, wenigstens
in seinem fertigen inneren Teile, den Ausstellungs-
räumen. Von der Außenansicht des Hauses kann
man sich kein vollkommenes Bild machen, so lange
es an seiner einen Seite noch durch ein anstoßendes
schmales Gebäude beengt ist; es steht somit noch
mitten in der Front, während es eigentlich als
Eckhaus gedacht ist. Dennoch sieht man schon so
viel, daß die Außenarchitektur des Hauses innerhalb
des Werks Messels keine Steigerung bedeutet. Ob
es daran liegt, daß der Baumeister sich durch die
Rücksicht auf die Umgebung, auf den »Charakter
der Linden« zu sehr gebunden fühlte? Das Haus
ist, obwohl ganz und gar Geschäftshaus, in seinen
oberen Geschossen dennoch als Wohnhaus dargestellt.
Dieser Kompromiß mit dem alten Stil der Linden
(ob der ewig so bleiben wird??) mag allenfalls ge-
billigt werden. Fatal aber ist an der Fassade der
Widerstreit der horizontalen und vertikalen Richtungen.
Dem durchgehends horizontalen Straßenbild ent-
sprechend sind Erdgeschoß und Dachgeschoß durch
energische wagerechte Linien abgetrennt, dazwischen
aber zeigt sich in den Fenstern der beiden Mittel-
geschosse eine aufstrebende Tendenz, wie sie Messel
ja überhaupt eigen ist. Es wäre vielleicht besser
gewesen, der Künstler hätte auf die Anpassung an
den Schinckelschen Nachbarbau verzichtet und einfach
ein hochsteigendes Eckgebäude geschaffen. Denn
Messels Kunst, mag sie sich an mittelalterliche Stile
oder an den Barock anlehnen, hat immer ein ent-
schiedenes Richtungsmoment in sich, sie ist dem
antiken Geiste fremd, ja entgegengesetzt, also auch
dem Schinkels. Und sie hat ein volles Recht darauf,
sich neben diesem selbständig zu behaupten.

Der Innenbau des Erdgeschosses aber, für die
großartigen Ausstellungsräume bestimmt, ist meister-
lich: in den Verhältnissen, in Material und Farben
vornehm und zurückhaltend, ohne doch frostig zu
wirken, eher fast anheimelnd bei aller Kühle, man
kennt seine Art. Das Entree ist etwas vielseitig,
Kasse, Garderobe und Ausstellungsraum zugleich.
Mit ihm zusammen sind's im ganzen nicht weniger
als sieben große Säle, zu denen man fast unablässig
hinansteigt: an drei Stellen sind die Räume gegen-
einander abgesetzt durch kleine Treppen, die durch
Säulen oder niedrige Pfosten und Geländer geschmack-
voll eingeschränkt werden. Den ersten und größten
der vier Oberlichtsäle schließt eine Säuleneinstellung
mit Bogen, einen flachen Alkoven bildend, nicht
gerade günstig für die dort hängenden Bilder, aber
nett zum Sitzen und Verweilen. Die Wände sind in
gewohnter Weise mit gemalten Rupfen bezogen, sehen
aber nicht so provisorisch aus wie in der Sezession
oder gar bei Cassierer. Ganz ausgezeichnet machen
sich die Oberlichtfenster mit ihrem kleinen quadratischen
Holzleistenmuster, in dem sich das angestrengt spähende
und wandernde Auge, wenn es zufällig hinaufblickt,
mit Notwendigkeit beruhigen muß: das ist ganz etwas
anderes als die gewohnte Leinwandfahne und wird
sich sicher bald einbürgern. Der zweite Saal soll
unterhalb des Oberlichts noch einen umlaufenden
Parthenonfries in gelblichen Gipsabgüssen erhalten;
vorläufig ist der Platz mit festgestecktem Tannengrün
ausgefüllt, und das ist so wohltuend, daß man eigent-
lich wünschen möchte, es solle immer so bleiben.

Die schönen Räume sind nun zur Eröffnung mit
einer Masse von Bildern behängt, die möglichst er-
schöpfend und vielseitig wirken sollte und es auch,
weiß Gott, tut. Das Menu zeigt fast alle Namen der
Gegenwart von Bedeutung, und selbst von alten
Meistern bekommt man ein bißchen zu sehen, so
unter anderem eine prächtig lebensvolle Bauernszene
von Vinck Boons, ein Schwesternbildnis des Cornelis
de Vos, einen kleinen Tiepolo: Sofonisbes Tod,
partienweise zwar nur angelegt, in den fertigen Teilen
aber von höchstem Reiz; ferner einen guten Hoppner
und vor allem ein Stilleben Chardins von äußerster
Delikatesse in der Farbenwahl, und von einer Breite
und Sicherheit, daß es sich zwischen den modernsten
Bildern als gleichartig und gleichwertig behaupten
könnte.
 
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