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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Kühl, Gustav: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0194

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371

Berliner Brief

372

Die Ausstellung heutiger Kunst ist möglichst auf
Vollständigkeit angelegt. Selbst Klinger fehlt nicht
(der »Abend« mit der Blumenschlinge), Zügel prangt
mit ein paar Prachtbildern, Dill, Nagel, Kaiser, Schön-
leber, Liebermann (Straße im Amsterdamer Juden-
viertel), mehrere große Gebhardts, darunter die Massen-
darstellung »Moses schlägt Wasser aus dem Felsen«,
Segantini mit einem kleinen Oouachebild aus früher
Zeit, von anderen Ausländern Kröyer mit einem See-
strand und einer Herrensitzung, ein paar Schotten (sie
wirken wie Bilder aus alter, alter Zeit), ein paar zarte
Hamiltons, einige Cottets usw. Ganz vortrefflich ist
eine kleine einfache Skizze von Henri Martin, eine
hellbesonnte Hausmauerfläche, von der dunklen Flur-
öffnung unterbrochen, und zwei glatt gemalte Bilder
von Maurer: »Bai Bullier« und, noch besser, »Au
Vestiaire«: Damen, die sich zur Garderobe drängen,
verschiedene starke Blaus, daneben Violett, Rot, Grün,
alles auf einem Haufen zusammengedrängt vor dem
Braungrau der Wände und Türen, das drei Viertel
der Bildfläche ausfüllt.

All die schönen Bilder aber helfen nicht über ein
gewisses Katergefühl hinweg: wir sind durch die
Sonderausstellungen verwöhnt und mögen keine Salate
mehr. Das ist der Grund, weshalb auch die andere,
größere Ausstellung nur sehr langsam mundet: die
Sezession.

Der erste oberflächliche Eindruck der heurigen
Sezession ist nicht günstig. Es knallt von allen
Wänden her, schrill und laut, und die wenigen Bilder,
die nicht mit dazwischen schreien, erhöhen eher noch
den lauten Eindruck. Und doch ist selten so viel
Gutes zu sehen gewesen. Die Schuld dieser un-
günstigen Wirkung liegt zunächst da, wo sie immer
liegt: in der Fabrikation aus Konkurrenz. Die Großen
malen Schlager und die Kleinen müssen mit. Früher
malte man für Galerien und Salons, jetzt für Aus-
stellungen; das ist ja in gewisser Beziehung ehrlich,
die Leistungsfähigkeit erhöht sich, aber auf die Dauer
muß die Kunst dabei zu kurz kommen. Man braucht
sich nur das Publikum anzusehen: Berlin W., ein
Gewimmel blasierter und erregungbedürftiger Leute,
fortwährend beschäftigt, die Größen abzuschätzen und
zu registrieren. Höchst sonderbar mag es scheinen,
daß in dieser Welt die Landschaft so vorherrscht;
nur das Stilleben, im letzten Grunde wohl durch
Cezannes Bekanntwerden in Deutschland poussiert,
und das Interieur kommen noch daneben in Betracht,
und wie stets, das Porträt; aber die Landschaft ist
unbedingtes Lieblingsthema. Das kommt nicht nur
durch die Franzosen, durch Monet. Die Landschaft
ist das natürliche und notwendige Korrelat für er-
müdete Großstadtnerven. So spielt sie auch nur als
Erscheinung eine Rolle, als anders gearteter Sinnen-
reiz, mit ihren Farben und ihrem Geflimmer. Von
ihrem eigentlichen Leben, wie es der kennt, der mit
der Scholle und mit Strauch und Baum blutsverwandt
ist, weiß außer Kalckreuth niemand etwas zu sagen,
und man kommt in den Geruch eines Schwärmers
und Dilettanten, wenn man ein solches Ansinnen über-
haupt an die Kunst stellt.

Diese Notwendigkeit der Sensation für Produzen-
ten wie für Konsumenten ist der eine Grund, weshalb
man etwas bange durch die Säle schlendert Der
andere ist die Art der Anordnung. Es sind so wenige
fest geschlossene Gruppen da. Im vorigen Jahre be-
deuteten Hodler und Klimt ein paar wirkliche Ruhe-
punkte; man konnte sich sammeln. Dies Jahr ist der
verstorbene Belgier Evenepoels der einzige, der so
ziemlich einen Raum für sich hat; das kommt ihm
natürlich zugute: nicht daß man ihn darum mehr
schätzen müßte, aber man wird ihm nach Verdienst
gerecht. Das Übrige aber ist allzu vielerlei, und
obendrein zum Teil sonderbar durcheinander gehängt.
Vieles gewiß geschmackvoll, manches ganz unverständ-
lich. Ein großer Corinth von gewohnter Wüstheit
hängt zwischen zwei Landschaften von Haider! Die
spezifisch deutschen Meister sind überhaupt schlecht
behandelt. Wenn man die Pointillisten, Franzosen
und Deutsche, in einem Raum vereinigen konnte (er
wirkt am besten von allen, fast wie eine Sonder-
ausstellung), warum konnte man dann nicht auch
Thoma, Haider, Volkmann, Kalckreuth, Trübner zu-
sammentun! Es braucht durchaus nicht die Technik
zu sein, nach der geordnet wird, ein Trübner ist trotz
der Spachtel dieser Gruppe verwandter als den spezi-
fischen Berliner Sezessionisten. Das Innere, die Stim-
mung, das — sit venia verbo — Seelische, das ver-
trägt nun einmal keine fremden Klänge neben sich.
Sonderbar genug nimmt sich überhaupt ein Bild wie
Kalkreuths großes Ackerfeld im Sezessionsgebäude
aus: es wirkt hier nur mit seinen äußeren Effekten,
dem Gold des Abendhimmels und des Erdenstaubs
um den pflügenden Gaul; der poetische Wert dieser
Effekte scheint hier abgenutzt und profan. Man ist
nicht ungestraft eine Persönlichkeit! Haider geht es
mit seinen zwei weiten Gebirgslandschaften kaum
anders. Beide Künstler kommen bei Schulte besser
weg, wo nicht eine einzelne Malrichtung so vorherrscht
wie hier die impressionistische: dort ist von Kalck-
reuth das bekannte Porträt des an der Erde hocken-
den Knaben, trotz des einen verzeichneten Beins so
überzeugend, und von Haider der bezaubernde Wald-
see. Man glaubt dort eher.

Sehen wir uns aber nach den Helden der Sezession
um! Vornan steht wie immer Liebermann. Er hat ein
Massenbild gemalt, den segnenden Papst in der Sixtina,
und man sieht dem Bild die Energie an, mit der der
Künstler wieder den Clou erzwingen wollte. Es ist
glänzend. Und doch, es ist ihm nicht gelungen.
Die Bewegung in der großen Gruppe des Vorder-
grundes, die, von hinten gesehen, ins Bild hinein
drängen soll, ist gewollt, nicht geschaut; man fühlt,
der Maler klebt am Stoffe fest. Über ähnliche Bilder
von Menzel kommt diese Leistung Liebermanns nicht
hinaus, und ihr fehlt das Detail, das bei Menzel für
vieles entschädigt. Wundervoll ist aber alles Räum-
liche in dem Bilde behandelt. Am besten schneidet
Liebermann mit den Bildnissen ab, die zu seinen
schönsten zählen; der dicke Baron Berger in weißer
Weste, aufblickend und den Mund eben zum Sprechen
öffnend, ist ungeheuer schneidig und lebenswahr.
 
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