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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Kühl, Gustav: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0195

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373

Berliner Brief

374

Doch können diese Bildnisse schon farbig den Ver-
gleich nicht aushalten mit denen Slevogts. Slevogt
ist jetzt der erste Berliner Porträtist, daran kann kein
Zweifel sein. Die Sezession zeigt drei Bildnisse: einen
General in weißer Uniform in einem fabelhaft ge-
malten roten Ledersessel, ein junges Mädchen im
Garten, in weißer, entzückend luftiger Bluse, und eine
Dame in Blau; auch bei Schulte ist noch ein famoses
Herrenporträt. Wie Slevogt charakterisiert, Augen
und Lippen sprechen läßt und doch alles nur durch
rein malerische Mittel zwingt, durch Luft und Farbe,
prachtvoll! Dieses Damenbildnis, in ganzer Figur en
face gesehen: das Spiel des Lichts auf Stirn, Wangen,
Nase und Kinn, dieses lebendige Licht, das sogar den
stumpf einfarbigen grauen Hintergrund überknattert,
und das wundervolle tief schatten de Blau des Kleides
gegen diesen Grund! Die bewußte Virtuosität des
Pinsels ist hier nicht Renommisterei, sondern Glück.
Gegen dies Temperament erscheint selbst Manets
alter Bettler, der im selben Raum hängt, fast zahm.
Ebenda ist auch eine Kollektion tüchtiger Habermanns,
von der ersten lenbachelnden Zeit an über die frei-
lichtelnde weg bis ^zu seiner jetzigen Manier des
Helldunkels; aber seine Mondänen sind konventionell
neben der schlichten Dame Slevogts. Auch ein paar
Stucks hängen dort: eine verwundete Amazone, eine
Abschrift des__,Christus im Grabe nach Holbein, ein
schlechtes Kinderporträt — man sieht sie kaum an.
(Auch Schulte hat einen Stuck, ein Selbstporträt:
schweigen wir!)

Es verschiebt sich überhaupt allerlei mit den
Jahren. Leistikow, von dem zwar ein dunkles Garten-
stück im Trübnerschen Geschmack zu rühmen ist,
ist zurückgegangen, desgleichen Lepsius mit einem
großen Damenporträt ä la Sargent; dagegen behauptet
sich Corinth mit einer Kreuzabnahme, so brutal wie
je, aber immerhin imponierend. Sehr herausgemacht
hat sich v. Kardorff: ein vorzügliches, ernsthaftes,
forsch gemaltes Porträt seines Vaters, und ein nicht
minder gutes Stilleben, — sowie Linde - Walter,
dessen große Darstellung einer Zigarettenfabrik in
Sevilla schon als Komposition überrascht; der Mittel-
punkt des Bildes, ein Baby auf dem Schoß der
Mutter, ist vielleicht von diesem Kindermaler mit
allzu großer Liebe betont und wie ein Gruß aus
Correggios Heiliger Nacht. Oder sollte es ein Witz
sein?

Das Interessanteste sind aber leider einmal wieder
die Ausländer. Allerdings ist auch unter ihnen nicht
alles gleichwertig. Zuloaga enttäuscht, Anglada noch
mehr. Münch ist der alte geblieben, ernst und wahr.
Evenepoels erwähnte ich schon: von ihm kann viel
gelernt werden. Er hat bei breiter und kühner
Mache eine aristokratische Ruhe und Kultur, die seine
Bilder galeriefähig machen, und zwar jedes, er mag
sich selbst darstellen, ein Kind, ein Cafe mit Kokotten,
oder jene sonntägliche Straße mit den Soldaten in
blauen Überröcken, die als ein großer blauer Farb-
fleck dem vieltonigen Bilde seine Harmonie geben.
Evenepoels geht in seiner Weise ebensosehr auf
Ruhe aus wie einige der Franzosen. Gauguin ist

nach ein oder zwei Bildern nicht zu schätzen; seine
»Geburt Christi« ist trotz der dunkleren Farben
dennoch ein Repräsentant seiner Art. Man sieht den
Kopf der Gottesmutter schattig gegen einen Halb-
dunkeln Hintergrund stehen; vorn ruht auf einem
Lager ein Heiliger, dessen helle Glorie die Kontraste
erwirkt. Gleich Gauguin ist auch Maurice Denis auf
ruhige Farbflächen aus, wie er ein christlicher Mystiker.
Er scheint seine Höhe noch vor sich zu haben, es
ist noch nicht alles ganz ausgeglichen in seinen
freskohaften Gemälden, verschiedene Stile streiten sich;
es bleibt abzuwarten, ob einmal ein zweiter Puvis de
Chavannes aus ihm wird. Sehr eigen behandelt er
den weiblichen Akt. Er ist darin dem Bildhauer
Maillol verwandt, der noch stärker als er vereinfacht
und in einer großen sitzenden Frauenfigur, obendrein
aus Gips, ein ganz Monumentales gegeben hat. Es
will wirklich etwas sagen, in der Plastik die Gestalt
des Körpers, ohne ihm Gewalt anzutun wie Minne,
so auf die knappste Formel zu bringen. Es wirkt
altorientalisch, fast wie ägyptische Holzstatuen. Ein
anderes, im Prinzip verwandtes Beispiel schlichter
und keuscher Aktauffassung gibt übrigens E. R. Weiß
mit dem Bilde eines gleichfalls vollen und reifen
Frauenkörpers: unter den Gemälden der einzige
Frauenakt, der keine Nudität ist; alle übrigen Damen
und Halbdamen, die sich hie oder da an den Wänden,
und immer in Lebensgröße, in puris naturalibus prä-
sentieren, sind ausgezogene Modelle.

Da ich eben schon von Skulpturen sprach, so sei
gleich noch gesagt, daß Georg Kolbe ein paar vor-
zügliche Arbeiten gefertigt hat, einen vornüberge-
beugten männlichen Akt (Fischer mit Netz) aus Stein,
von fern wohl an Rodin anklingend, in Wirklichkeit
ganz selbständig in der Art der Modellierung, und
eine kleine weibliche Figur in Marmor, ganz ent-
zückend. Klimsch, Taschner, Tuaillon mit einer
kleinen Kopie des Bremer Kaiser-Friedrich-Denkmals
wären ferner zu nennen; von Klinger eine Wieder-
holung der badenden Nymphe in Erz, die nur die
Sehnsucht nach dem marmornen Original weckt.

Bleiben die Neoimpressionisten, zu denen Vuil-
lards gobelinartige, wie aus Farben gewebte große
Landschaften eine Art Übergang bilden. Die ganze
Schule hängt beisammen und ist wie ein einziger
Meister, und schon dies kann uns bedenklich machen:
das Persönliche hört vollkommen auf. Kurt Hermann
und Paul Baum behaupten sich vortrefflich neben
Signac, vom dem außer den getippelten Bildern ein
paar ganz kleine Skizzen, verschiedene Ansichten von
Antibes, zu sehen sind, man schnalzt mit der Zunge,
so fein. Als persönliche Kraft springt aus dieser Ge-
sellschaft heraus der junge Franzose Valtat, mit Felsen-
landschaften am Meer, wieder einmal ein Kerl, der
seinen eigenen Pinselstrich hat und vielleicht einmal
die ganze geist- und geschmackvolle Tüftelei, von der
er ausgegangen ist, über den Haufen werfen wird.

GUSTAV KÜHL.
 
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