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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Wolf, August: Vittorio Bressanins Fresken im Palazzo Pisani zu Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0209

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 26. 25. Mai

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

VITTORIO BRESSANINS FRESKEN IM PALAZZO
PISANI ZU VENEDIG
Ein seltenes Ereignis im hiesigen Kunstleben war es,
als die Stadtverwaltung sich entschloß, den großen Saal
des Konservatoriums ausmalen zu lassen und zugleich ein
rühmliches Zeichen der Kunstliebe des Bürgermeisters, des
verdienstvollen Conte Grimani. Als man vor Jahren den
Ankauf jenes Flügels des Palazzo Pisani (17. Jahrhundert),
bei S Stefano ins Auge faßte, um das städtische Konser-
vatorium dahin zu verlegen, war es einem Pariser Antiquar
gelungen, noch schnell vorher den Festsaal des Palastes
und die zu demselben hinanführende Treppe ihres Schmuckes
zu berauben. Sämtliche Statuen der Treppe, das große
auf Leinwand gemalte Deckengemälde, das prächtige
Gittertor des Saales aus wertvollem Carinthmetall mußten
nach Paris wandern: der Saal blieb schmuck- und freudlos
in seiner weißen Tünche zurück. Da kam dem genialen
hiesigen Maler Vittorio Bressanin der Gedanke, sein
Talent hier zu erproben, indem er der Stadtverwaltung
die Ausmalung des Saales alfresco anbot gegen den
bloßen Ersatz seiner Auslagen. Man ging hierauf ein und
so entstand der Saal zu neuem Glanz und Leben. Er
wurde vor einigen Wochen feierlich eingeweiht. — Da es
seit Tiepolos Zeiten das erste größere Unternehmen
monumentaler Malerei in Venedig ist, so sei gestattet
kurz mitzuteilen, in welcher Weise Bressanin seiner
schönen Aufgabe gerecht wurde. Der 30 m lange und
14 m breite, zirka 12 m hohe Saal geht durch zwei Stock-
werke, mit ringsumlaufender, von 32 korinthischen Säulen
getragener Galerie. — Es gelang Bressanin durch eine
umlaufende Scheinarchitektur die flache Decke für das
Auge um ein Bedeutendes zu erhöhen. Unter dieser,
den Blick ins Freie gewährenden Architektur, vergehen
und entwickeln sich die Gestalten, welche in einer Reihe
von Darstellungen die verschiedenen Äußerungen der
Musik verherrlichen, während der mittlere flache Raum
der Decke drei Einzelbilder enthält, umgeben von den
grau in grau gemalten Porträtmedaillen der berühmtesten
Musiker. Außer dem auf der Schmalseite befindlichen
Portale führen auf den beiden Langseiten je zwei Türen in
den Saal. Uber diesen wurden in Halbfiguren die großen
Bildnisse von vier Meistern angebracht. Die ganze Aus-
schmückung des Saales geschah nach Bressanins An-
gabe. Das feine Grau der Säulen mit ihren vergoldeten
Kapitalen, die Fensterdraperien und Divans in bleich-
gelben Seidendamast, sowie die Wahl der prächtigen
zahlreichen ringsum aus dem Gesteine vorspringenden
Muraneser Armleuchter, welche eine Fülle von Licht in den
Saal hinabströmen, sowie der venezianische Löwe in Gold
auf echt Lapis Lazuligrund über dem Eingangsportal:
all das ist aufs feinste dem Stile des ganzen Palastes an-

gepaßt. — Die oben erwähnten ringsum laufenden Haupt-
darstellungen sind real gedacht und in kräftigen Farben
gehalten, während die drei Gemälde des Mittelfeldes als
gemalte, dort angebrachte »Bilder« gemeint und deshalb
in bleichen luftigen Tönen gehalten sind. Die oberhalb der
Galerie angebrachten großen Fenster sind durch weiche
graue Vorhänge geschlossen. So wurde für die Tages-
beleuchtung ein ungemein wohltuender ruhiger Eindruck
erreicht von vornehmster Festlichkeit. Die Heizvorrichtungen
sind fast unsichtbar angebracht. Venedig ist um eine
Sehenswürdigkeit reicher geworden. Dem Eintretenden
gegenüber, an der Schmalseite über der großen Orgel
breitet eine stolze Viktoria ihre Flügel aus und reicht von
ihrem Piedestal herab den goldenen Lorbeer. Zu ihren
Füßen die Würdigsten: Beethoven, Palestrina und Bach;
letzterer eine besonders würdige Gestalt, stehend in den
Saal hinabschauend. Beethoven im Schatten eines Baumes
sitzend vor sich hin sinnend. Diesem Dreigestirn gegen-
über an der Eingangswand die Göttin der Schönheit,
Venus von Milo, zu ihren Füßen lauscht ein griechischer
Dichter dem Flöten- und Saitenspiele zweier Griechinnen.

Getrennt durch grau in grau gemalte allegorische Ge-
stalten: »Würde« und »Grazie«, folgt die christlich-mittel-
alterliche Musik: ein Priester zelebriert am Altar, zahlreiche
Mönche in weißen Gewändern und Chorknaben umgeben
die Orgel, einen Choral anstimmend. Diese und die
folgende Gruppe ist durch eine dazwischengestellte plastisch
allegorische Darstellung getrennt bezw. zusammengehalten:
Eine züchtige, nackte, aufrecht stehende Frauengestalt
scheint, mit gesenkter Leier in der rechten Hand, zu re-
zitieren, während zu ihren Füßen der Glaube und die
Hoffnung lagern. Zwei sitzende männliche Gestalten sind
als Trauer- und Lustspiel gedacht. Es folgt die dramatische
Musik, das heißt die Oper in ihren beiden Formen als
komische Oper und Musikdrama. Erstere durch eine ge-
lungene Szene aus dem Barbier von Sevilla, letztere
durch die Tragik Tristans und Isoldens verkörpert. Auf
der gegenüberliegenden zweiten Längswand des Saales,
durch die entsprechende Pyramidalgruppe wieder getrennt,
ist zunächst der Tanz dargestellt in einem überaus rei-
zenden Menuett, ferner eine Allegorie des Minnesanges
durch einen Troubadour, der seiner Dame ein Ständchen
bringt, während im Hintergrunde ein Geharnischter für
sie in die Schranken reitet. Auch der moderne Konzert-
gesang unter Begleitung von Instrumentalmusik hat eine
feinsinnige Interpretation gefunden. In der die Mitte fül-
lenden Pyramidalgruppe reichen »Studium« und »Genuß«
einer vom klassischen Zauber überfluteten nackten Schön-
heit die Hände. Zu ihren Füßen lagern die Allegorien
von »Schmerz« und »Freude«.

Ist überall die Charakteristik fein, so ist in diesen nackten
Figuren der genannten Gruppen ein außerordentlicher Adel
 
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