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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Florentiner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0147

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277

Florentiner Brief

278

keit reihen sich dieser plastische Wurf, diese koloristische
Eigenart und Schönheit wohl ein.

So wertvoll nicht nur für die Sammlung, welcher
sie einverleibt sind, sondern für die Forschung im
allgemeinen diese Tafel sein mag: die zweite Er-
werbung Riccis übertrifft jene erste bei weitem. Es
ist eine bisher völlig unbekannte Madonna Jacopo
Bellinis. Der Begründer der venezianischen Quattro-
centomalerei ist uns, von seinen beiden Skizzenbüchern
in London und Paris abgesehen, nur dank einer ganz
kleinen Zahl von Arbeiten bekannt, da seine Haupt-
werke alle zugrunde gegangen sind. Selbst die weit-
herzigste Kritik kann es kaum über acht Bilder hin-
ausbringen, von denen mehrere aber unter Quarantäne
zu stellen sind. Madonnenbilder speziell gibt es eigent-
lich nur zwei: in der Akademie zu. Venedig und in
Lovere, wozu dann als Jugendbilder — jedoch beide
nicht über jeden Zweifel gesichert — die Stücke im
Louvre und bei Don Guido Cagnola in Mailand
(früher J. P. Richter) kommen.

Die Madonna Jacopo Bellinis in den Uffizien
tauchte kürzlich im Kunsthandel hier auf. Ricci war
der erste, der das Bild sah; er erkannte sofort dessen
Bedeutung; er griff augenblicklich zu und sicherte
den kostbaren Besitz seiner Galerie. Es ist nicht nur
die reifste und schönste Gestaltung des Themas, die
wir von Jacopo Bellini besitzen; es ist außerdem völlig
intakt, ohne jede Beschädigung und frei von Retuschen
auf uns gekommen.

Ich will das Bild hier nicht beschreiben, da ich
hoffe, es dank Riccis Freundlichkeit demnächst in der
»Zeitschrift« reproduzieren zu können. Nur so viel
sei gesagt, daß es die herrliche koloristische Anlage
der Venezianer schon völlig ausgebildet zeigt, daß es
durch eine wunderbar edle, sanfte Harmonie der
Farben das Auge gefangen nimmt.

In nicht langer Zeit, wenn die Um- und Ausbauten
in den Uffizien vollendet sind, werden die schönen vene-
zianischen Bilder der Galerie neu aufgestellt werden. Die
Venezianer der Hochrenaissance erhalten einen großen
Saal, die beiden des Quattrocento ein kleines Kabinett.
Den vielbewunderten Mittelpunkt wird Jacopo Bellinis
Madonna bilden.

Im Zusammenhang mit der geplanten Neuordnung
der Galerie steht die provisorische Aufstellung der
Florentiner Bilder des Quattrocento, die eben jetzt
zugänglich gemacht wird. Anschließend an die kaum
vor Jahresfrist eröffneten neuen Räume — Saal des
Lorenzo Monaco und Saal der Geburt der Venus —
sind wiederum zwei (kleinere) Säle fertiggestellt
worden. In der gegenwärtigen Aufstellung ist nicht
alles zu loben: aber wir müssen berücksichtigen, es
handelt sich nicht um ein Definitivum. Leonardos
»Anbetung der Könige« in einem schmalen Raum
zu sehen, wo man nicht den genügenden Abstand
nehmen kann, um die Komposition im ganzen zu
überschauen, wirkt peinlich. Dafür hat ein anderes
Bild ganz außerordentlich gewonnen, welches früher
in dem ungünstigen Frontenlicht des Korridors kaum
zu beurteilen gewesen ist: Paolo Uccellis Schlachten-
bild. Die koloristische und dekorative Eigenart des

herrlichen Bildes kommt jetzt erst recht eigentlich zur
Geltung.

Der Hauptanziehungspunkt dieser Neuordnung
aber ist der »Botticelli-Saal«. Ein Raum, der sämt-
liche Arbeiten, die die Uffizien von ihm besitzen, ver-
einigt! Darin als Glanzpunkt die »Anbetung der
Könige«, eingefaßt von den beiden Madonnentondi.
Nicht so glücklich wirken die anderen Wände, da
hier größere und ganz kleine Bilder zusammengebracht
wurden. Bildchen wie die zwei Judithtafeln und der
Hieronymus vertragen es nicht, in einem großen Ober-
lichtsaal aufgestellt zu werden.

Noch eine Vereinigung muß erwähnt sein, da sie
anregend und interessant ist. Im letzten der vier Säle
ist eine Wand folgendermaßen arrangiert: in der Mitte
Signorellis heilige Familie, die rechteckige Tafel, die
ein Rundbild einschließt. Links desselben Meisters
großartiges Tondo, rechts dasTondo von Michelangelo.
Man kann hier Vergleiche anstellen, wie nirgend sonst
in der Welt. Auffallend ist, daß Michelangelos Werk
hier nicht so kraßbunt wirkt, wie früher in der Tri-
buna. Aber ich kann das Bedenken nicht zurück-
halten, verlangt dieses Hauptstück der Sammlung nicht
den Mittelpunkt einer Wand für sich? Doch wir haben es
ja mit einem Provisorium zu tun; und nur durch Versuche
kann man dazu kommen, das unfehlbar Rechte zu finden.

Auch sonst wird uns die nächste Zeit einige Über-
raschungen bringen. Das zweite der hinter großen
Altarbildern der Spätzeit versteckten Fresken des Andrea
del Castagno in der Annunziata, ein auch als Ruine
herrliches Werk, ist endlich aufgenommen worden
und soll wenigstens in der Reproduktion bekannt ge-
geben werden. Und es sickert die Nachricht durch,
man sei in derselben Kirche noch einem dritten Werk
des gleichen Meisters auf die Spur gekommen, so daß
wir für die Erkenntnis dieses großen, herben Quattro-
centisten einer wertvollen Bereicherung entgegensehen
dürfen. Man hat diese Publikation von Seiten des
tüchtigsten unter den jungen italienischen Forschern,
Giovanni Poggis, zu erwarten, der, beiläufig bemerkt,
in diesen Tagen sich hier als Privatdozent für Kunst-
geschichte habilitiert hat.

Castagnos Fresken selbst bleiben leider nach wie
vor der Besichtigung entzogen. Daß die Besitzer der
Kapellen sich widersetzen, daß die den Schmuck
vollendenden Altarbilder dauernd heruntergenommen
werden, kann man ihnen nicht verdenken. Warum
aber greift man nicht zu dem einfachen Mittel, diese
Bilder mit Scharnieren zu versehen und beweglich
zu machen, so daß auf Wunsch die Fresken Castagnos
jeden Augenblick sichtbar gemacht werden können?
Es wäre an der Zeit, daß die Autoritäten endlich zu
diesem einzigen Auskunftsmittel, das alle Teile zu-
frieden stellen würde, greifen.

Inzwischen hat der Staat sein Anrecht auf die
Mediceerkapellen aufgegeben und diese selbständig
gemacht. Der Ertrag der Eintrittsgelder soll hinfort
der Basilica Ambrosiana selbst zufließen; man hofft
damit einige Verbesserungen vornehmen zu können,
unter anderem die alte Verbindung der Kapelle und
der Kirche wiederherzustellen. Q. Gr.
 
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