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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der Artistes français
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0219

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Der Salon der Artistes francais

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oder barfuß im ländlichen Rock, sie kommt stehend und
kniend, sitzend .und liegend. Und ich denke, was immer
die Franzosen* vor den Deutschen voraus haben mögem
in einem Punkte dürfen wir uns doch freuen: zum min-
desten haben wir keine Jeanne d'Arc, und das ist ein
Segen. Was die siebziger Helden anlangt, so geht es ja
freilich den Deutschen eher schlechter als besser als den
Franzosen, aber daß wir keine Heldenjungfrau besitzen,
ist ein großes Glück.

Denn in Frankreich hat jeder Bildhauer die Pflicht,
mindestens einmal in seinem Leben eine Jeanne zu mo-
dellieren und kaum einen gibt es, der das nicht besorgt
hätte. Rüde, Foyatier, Pradier, der dabei der Prinzessin
Marie von Orleans die Hand führte und seine Arbeit von
dieser Dame unterzeichnen ließ, dann Fremiet, Dubois.
Aber es ist töricht von mir, Namen zu nennen, denn alle,
alle haben ihre Jeanne d'Arc auf dem Gewissen. Und
das ist schließlich langweilig. Mit den Kriegerdenkmälern
geht es genau ebenso. Wahrscheinlich gibt es schon
ältere Vorbilder, aber seit 70 Jahren gehen alle diese
Denkmäler auf das Monument zurück, das Doublemard
zur Erinnerung der Verteidigung von Paris gegen die Ver-
bündeten geschaffen hat, und das auf der Place de Clichy
steht. Immer ist es eine mehr oder weniger schöne
und energische Dame in der Mitte und um sie geschart
erblickt man sterbende, verwundete, kämpfende Krieger,
Kanonenrohre und ähnliche schöne Dinge. Und das ist
ebenso langweilig wie die ewig wiederkehrende Johanna.

Von den armen nackten Mädchen, die als Nymphen,
Liebesgöttinnen, Musen, Dianen, Jahreszeiten usw. all-
jährlich in hellen Scharen erscheinen, wollen wir auch kein
Aufhebens machen und noch weniger wollen wir bei
den wackeren Unbekannten verweilen, denen die dank-
bare Vaterstadt eine Statue errichtet.

Leider ist das die Signatur der ganzen Skulpturen-
halle : gewaltig gähnende Langeweile. Merkwürdig ist,
wie fix die Bildhauer hinter den Tagesereignissen her
sein können, wenn sie einmal keine Jeanne, kein Krieger-
denkmal und keine Venus zu fabrizieren haben. Da sind
nicht weniger als drei Gruppen mit lebensgroßen Figuren
ausgestellt, die ganz offenbar unter dem Einflüsse des
Grubenunglücks in Courrieres entstanden sind. Zwei
Monate haben den Leuten genügt, um diese Riesen-
arbeiten, die gar nicht schlecht sind und von großer Eile
nichts merken lassen, anzufertigen. Und da steht jetzt
Rodin schon zwanzig Jahre an seiner Höllenpforte und
kann nicht fertig werden!

Vielleicht die beste Skulptur im Salon ist offenbar
von den Bürgern von Calais Rodins inspiriert. Es ist
dies eine vom Staate angekaufte dreifigurige Gruppe
>Die Söhne Kains« von Paul M. Landowski. Ohne jeden
Zusammenhang miteinander, also gerade wie die Bürger
von Calais, gehen drei Männer nebeneinander her, der
Dichter, der Arbeiter und der Hirt. Jede einzelne der
Figuren enthält außerordentliche Schönheiten der Aus-
führung, aber von einem Ensemble ist nicht die Rede.
Kurz man kann von ihr fast genau das gleiche Lob und
den gleichen Tadel aussprechen wie von den Bürgern von
Calais. Aber ohne jeden Zweifel ist diese Gruppe eine
sehr tüchtige Arbeit und man kann von Landowski, der
noch ein junger Mensch und soeben erst aus der Villa Me-
diä nach Paris zurückgekehrt ist, bedeutendes erwarten.

Eine tüchtige Arbeit ist auch »der Brunnen der Un-
schuldigen« von Derre, der dabei wohl an das berühmte
Brüsseler »Manneken piß« gedacht, seine Aufgabe aber
nicht in der dortigen grotesken Art, sondern sehr anmutig
gelöst hat, indem er um den kleinen Sprudler junge Mütter
mit ihren Säuglingen anordnete. Das Denkmal für den

Maler und Schriftsteller Eugen Fromentin von Ernst Du-
bois, wo als Sockelfigur ein Araber auf hochbäumendem
Roß an die Büste des Künstlers heransprengt und mit
der Lanze salutiert, ist ebenfalls sehr gut. Der Gedanke
mit dem Reiter ist ebenso neu und hübsch wie der Kunst
Fromentins entsprechend. Hyppolyte Lefebvre hat seinem
»Sommer« vom letzten Jahre jetzt einen »Winter« zugesellt.
Damals war es eine schöne Frau in der Vollkraft ihrer
Entwickelung, die mit Strohhut und Sonnenschirm durch
die lachende Landschaft schritt, jetzt ist es eine Greisin,
die auf einen Stock gestützt eine beschneite Treppenstufe
hinabschreitet. Von Roger Bloche ist eine vorzügliche
Gruppe ermüdet und schwitzend unter der Last ihres Ge-
päckes die staubige Straße entlang ziehender Soldaten da,
ein in seiner Wahrheit sehr überzeugend wirkendes Bild.
Vermare hat eine Gruppe von der Traubenlese ausgestellt,
eine lustige Winzerin, die sich gegen die Umarmung eines
kecken Winzers nur lachend wehrt. Die Arbeit erinnert
in ihrer robusten Lebensfreude an die von Wein und
Liebe trunkenen Bacchantinnen Dalous auf dem bekannten
Brunnenrelief.

Nun könnte ich noch viel mehr Namen nennen, aber
ich denke, es hat keinen Zweck, alle halbwegs guten Büsten
und Statuen anzuführen und noch zweckloser wäre es,
an alle Arbeiten, die mir nicht gefallen oder die mir
gleichgültig sind, lange Anmerkungen zur Begründung
ihrer Fehlerhaftigkeit oder Langeweile anzuhängen. Ver-
lassen wir lieber die Plastik, um der Malerei einen ebenso
summarischen Besuch abzustatten.

Den Clou hat hier Henri Martin geliefert mit dem
dekorativen Ensemble, das er für das Kapitol in Toulouse
gemalt hat. Die gute Hälfte oder vielleicht die bessere
Hälfte dieser Malereien war schon in früheren Salons zu
sehen, nämlich die Wiesenlandschaft mit den Bergen im
Hintergrunde. Das Gegenstück dazu bildet ein Stadtbild
aus Toulouse: an dem Ufer der Garonne wandeln Spazier-
gänger, drüben sieht man die von der Abendsonne ver-
goldeten Kaimauern und Häuser. Die Sache ist dekorativ
sehr wirksam, aber sonst wird man wohl allerlei daran
auszusetzen finden. Henri Martin hat seit seinen ersten
Bildern, seit seiner Jagd hinter der Chimäre und seit
seinen Musen, welche in irgend einem heiligen Haine den
provenzalischen Troubadours erscheinen, die Manier, seinen
Figuren ein verzücktes, der Welt abgewandtes Wesen zu
geben. Das mag ganz gut sein, wenn er Dichter und
Maler darstellt, denen die Muse erscheint, es mag auch
noch angehen bei einem Liebespaar. Warum aber ehr-
same Bürgersleute, die am Abend spazieren gehen, alle
verzückt himmelwärts schauen, als ob sie Visionen hätten,
wird dem gewöhnlichen Sterblichen kaum einleuchten.
Davon abgesehen ist dieses Ensemble doch wohl die
schönste dekorative Gesamtleistung, die in Frankreich seit
Flandrin geschaffen worden ist. Puvis de Chavannes hat
ja leider nie die Gelegenheit erhalten, einen ganzen großen
Raum auszumalen. Das muß man den Südfranzosen
lassen: sie sorgen für ihre Leute; gegenwärtig regieren
sie alles in Frankreich und wenn Puvis nicht in Lyon,
sondern in der Gascogne das Licht der Welt erblickt hätte,
so wäre ihm ohne Zweifel die Gelegenheit zur ganzen
Betätigung seiner dekorativen Begabung geworden, die
Henri Martin bei seinen Landsleuten so glänzend ge-
funden hat.

Charles Hoffbauer, auf den ich jedes Jahr mit neuem
Vergnügen hinweise, ist mit einem »triumphierenden
Condottiere« erschienen, ein großes Bild von bedeutender
koloristischer Wirkung, das man etwa die Verkörperung
des Eindruckes nennen könnte, den der Kunstfreund in
dem Italien der Renaissance empfängt, bei den Türmen
 
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