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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Schmidt, Karl Eugen: Der Pariser Herbstsalon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0034

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Der Pariser

Herbstsalon

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Raubtiere angehört. Ein nicht minder rätselhaftes
wildes Vieh liegt in den Zweigen eines Baumes ver-
borgen, und auf anderen Bäumen sitzen seltsame
vogelähnliche Geschöpfe, aus deren Schnäbeln lange
blutrote Streifen heraushängen. Da die Sache nicht
leicht verständlich, hat Rousseau sie erklärt: es ist
Sonnenuntergang im Urwald, der Löwe hat die Anti-
lope angefallen, der Panther wartet, bis er auch dran
kommt, die Vögel haben bereits einige blutige Fetzen
aus dem armen Tier herausgerissen, und dieses denkt
tränenden Auges an sein nahes Ende.

Rousseau ist typisch für diese neue Richtung, als
welche man die Nichtskönnerei ausgeben möchte.
Er ist wirklich naiv, er kann gar nichts und wäre
nicht imstande, irgend etwas anderes zu malen, als
er es malt. Seine künstlerische Laufbahn begann er,
als er noch Beamter der Pariser Mauth war. Er malt
ganz genau, nur fleißiger, gewissenhafter und schlechter,
wie die Zirkusleute und das sonstige fahrende Volk,
das seine Buden mit bunten Malereien schmückt.
Ein paar Spaßvögel entdeckten den wackeren Mann
und ermahnten ihn aus purem Ulk, er solle doch
seine Werke ausstellen. Er schickte sie zuerst in den
alten Salon, wo man natürlich nur lachte, dann zu
den »Unabhängigen«, wo alles genommen wird. Seit
fünfzehn Jahren ist er nun schon die lauterste Quelle
der Heiterkeit für den Besucher des Salons der Un-
abhängigen. Aber jetzt ist er schon ein Chef, der
Chef einer neuen Richtung, der Richtung des Nichts-
könnens. Im Herbstsalon hat man ihm den Ehren-
platz gegeben: auf einer großen Wand hängt ganz
allein sein Bild, umgeben von Blattpflanzen, die
harmonisch mit seinem Urwalde zusammengehen.
Und wie ich oben sagte, daß man immer Narren
findet, die sich von unseren Tollheiten fangen lassen,
so hat Rousseau auch seine Bewunderer. Ich könnte
Ihnen einen vielgenannten deutschen Sammler nennen,
dessen Vaterstadt durch das von ihm gegründete,
einen niederdeutschen Namen tragende Museum neuer-
dings in Kunstkreisen bekannt geworden ist, und der
diesem Pinsel von Mauthbeamten ein paar Bilder ab-
gekauft hat, Bilder, wie sie jeder zehnjährige Junge
malt, vorausgesetzt, daß er nie ein gutes Bild ge-
sehen hat.

Kurz, der Herbstsalon tut ein verdienstliches Werk:
wenn er noch fünf Jahre lang in die nämliche Kerbe
haut, ist die neue Richtung der Nichtskönnerei gründ-
lich abgetan. Es geht ihr wie dem berühmten Art
pour art. Aus reinem Zorn über die akademische
Langeweile, über den uniformen Drill der Akademie-
schüler erhob man die schrankenloseste Unabhängig-
keit auf den Schild, und die Folge ist nun, daß alles
sich abmüht, ganz anders zu malen und zu modellieren,
als jemals gemalt und modelliert worden ist. Aber
die Kunst hat ihre Syntax so gut wie die Sprache,
und obschon ich durch meine närrische Tollheit die
Leute interessieren kann, wenn ich die Syntax zum
Teufel jage, so werde ich doch ohne sie nie ein
Meisterwerk fertigbringen. Es fällt eben kein Meister
vom Himmel, in der Kunst so wenig wie im Hand-
werk. Der Schüler soll dem Meister freilich nicht

nur das Räuspern und Spucken abgucken, aber eben-
sowenig soll er sich einbilden, selber ein genialer
Meister zu sein, nur weil er anders räuspert und
spuckt als alle bekannten und anerkannten Meister.

Eigentlich könnte ich damit meine Besprechung
über den Herbstsalon beschließen, aber es sind da
doch Leute, die genannt werden müssen. Denken
Sie sich, daß die Herbstleute in ihrer Unbefangenheit
hingegangen sind und eine Sonderausstellung für
Ingres veranstaltet haben! Ingres, der strengste aller
Schulmeister, der in jeder Unterrichtsstunde wieder
und wieder betonte, daß die Zeichnung alles in der
Kunst sei, hängt da mitten unter dieser wilden jungen
Schar, wovon die meisten nicht zeichnen wollen,
weil sie nicht können! Und wie groß ist da der
Schulmeister, der uns doch in anderer Nachbarschaft
gar leicht langweilig vorkommt! Einige seiner über-
aus köstlichen Bleistiftbildnisse sind da, dann ein in
der Farbe blechernes, in der Zeichnung aber wunder-
bar vollkommenes Bild »das türkische Bad« mit zahl-
reichen nackten Mädchen und Frauen, und dazu
mehrere gemalte Porträts und zahlreiche Studien.
Weniger interessant ist neben Ingres Manet, teils weil
die zusammengebrachten Bilder längst bekannt sind,
teils weil sie nicht zu seinen guten Sachen gehören.
Aber da ist doch ein köstlich helles und frohes weib-
liches Bildnis, zwei Freilichtbilder aus Versailles und
Bellevue, wovon eines dem Bilde in der Berliner
Nationalgalerie sehr ähnlich, und einige kleinere Bild-
nisse von außerordentlichen malerischen Qualitäten.

Und nun zu den Lebenden: Rodin hat eine ganze
Kollektion von Skulpturen und Zeichnungen gesandt,
darunter einige jener vollendeten Büsten, die uns
immer wieder zeigen, welch ein großer Meister trotz
aller Mätzchen und Grimassen in diesem Künstler
steckt, dann wieder in vielen neuen Auflagen der alte
Kniff, aus einem rohen und schmutzigen Marmor-
block ein zartes, blendend weißes weibliches Körper-
chen herauszuhauen, endlich wieder der unleidliche
FeWgriff, gleich einen Torso zu modellieren. Ein
Torso, dem nicht nur Kopf und Glieder fehlen, son-
dern der obendrein verhackt und zerschlagen ist, als
ob ihn die Arbeiter, die ihn aus der Erde gruben,
so mit ihren Instrumenten zugerichtet hätten. Ich
finde das ebenso geschmackvoll und künstlerisch, wie
das Beginnen der amerikanischen Milliardäre, die sich
künstliche Burgruinen in ihre Gärten bauen lassen.
Maillol, die neue große Entdeckung der neuen großen
Kritik, kennt überhaupt sonst nichts als diesen Kniff:
alles, was er macht, sieht so aus, als ob man es eben
aus einem ägyptischen Grabe oder aus einem früh-
griechischen Tempel ausgegraben hätte. Ich denke
mir: wenn wir solche Sachen brauchen, lassen wir
uns lieber den Abguß einer echten Antike kommen,
falsche Antiken hat man uns im ganzen 19. Jahr-
hundert genug beschert, und wenn die allerneueste
Richtung nun darin endet, daß wir zwar nicht mehr
ganze Figuren, wohl aber verstümmelte Uberreste an-
tiker Figuren nachahmen, so scheint mir der Gewinn
recht problematisch.

Aber es gibt auch Ruhepunkte in dieser Ausstel-
 
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