103
Der Apoll von Belvedere
104
wähnt worden; sicher hat aber auch die Verwendung der
Statue in einem Bilde es mit veranlaßt, daß der linke Arm
gesenkt wurde. Auch daß das Gewand nicht hinter dem
Rücken, sondern vor dem Vorderleib sich hinzieht, ist auf
Kompositionsgründe zurückzuführen, aber daß das Gewand
als solches vorhanden war, nicht etwa beliebig vom Maler
erfunden ist, geht aus dem Notbehelf, der Veränderung
der Stellung, die der Maler angebracht hat, deutlich hervor.
Er würde freier haben schalten können, wenn das Gewand
in seiner statuarischen Vorlage gefehlt hätte; da es aber
einmal vorhanden war, wagte er nicht, es wegzulassen,
sondern änderte nur seine Lage, indem er denselben Zweck
mit der Chlamys zu erreichen suchte, zu dem der Bild-
hauer sie verwandt hatte, als Hintergrund. Dasselbe gilt
von der Art, wie das Gewand von der linken Hand ge-
halten wird; das ist keine durch die Komposition dem
Maler aufgenötigte Abänderung, sondern ein Festhalten
des ursprünglichen Motivs. Dasselbe gilt vom Bogen;
nichts hätte den Maler hindern können, den Bogen von
der linken Hand halten zu lassen, wenn seine Vorlage es
so verlangt hätte; daß er das nicht tat, sondern den Bogen
zur Hälfte im Köcher verbirgt, zur Hälfte darüber hinausragen
läßt, ist ein sicheres Zeichen, daß es in der statuarischen Vor-
lage so vorhanden war. Demnach sind als ursprüngliche
schon in der zugrunde liegenden Statue vorhandene Ab-
weichungen folgende zu bezeichnen: 1. Die Chlamys
wurde von der linken Hand gehalten. Bei einer Bronze-
figur steht nichts im Wege, daß das Gewand genau so
wie hier bei dem Apollon des Wandgemäldes (aber natür-
lich über den Rücken geführt) angeordnet war, das heißt
daß der eine Zipfel von der linken Hand gefaßt wurde,
so daß er zwischen Daumen und Zeigefinger hervorsteht,
ungefähr so also, wie es Furtwängler für den Apollo
Stroganoff bewiesen hat (Arch, Zeit. 1882, S. 254) (Abb. 1).
Bei der Marmorfigur geht das nicht an, weil hier das
Gewand über den linken Unterarm geworfen ist. Aber
wir haben schon oben gesehen, daß die Chlamys, wenn
bloß lose über den Arm geworfen, nimmermehr in der
Lage verharren kann, sondern heruntergleiten muß1); es
mußte deshalb das Ende, das nach außen geführt ist, von
der linken Hand aufgenommen und festgehalten werden,
ungefähr so, wie ich dies von der Bronzehand der in der
Nähe von Eriwan gefundenen, mit der Castellanisammlung
in das Britische Museum gelangten Statue bewiesen habe2).
Eine derartige Abweichung war beim Marmor aus prak-
tischen Gründen notwendig, um den Arm durch das Ge-
wand mit dem Körper zu einer festen Masse zu ver-
einigen so daß eine besondere Stütze nicht mehr nötig
war. Natürlich ist dann neben dem Gewand für den
Bogen in der Hand kein Raum mehr.
Aber wozu auch? Das pompejanische Bild zeigt 2.,
daß der Bogen zur Hälfte im Köcher angebracht ist, zur
Hälfte über ihn emporragt. So war es auch bei dem
1) Wie der Bildhauer den überfallenden Teil des Ge-
wandes hätte anordnen müssen, wenn er dem Beschauer
die Sicherheit geben wollte, daß das Gewand nicht herab-
gleiten konnte, zeigt z. B. eine im sogenannten Antiqua-
rium in Rom aufgestellte Jünglingsfigur. Der lang über
den Arm herabfallende Teil ist mit dem linken Bein aus
einem Stein gearbeitet und zur größeren Sicherheit mit dem
Schenkel noch durch einen Puntello verbunden. Vergl.
noch Jouilles de Delphes IV, T. 68.
2) Arch. Zeit. 1878, T. 20, S. 150. Praktische Ver-
suche, die ich mit einem Gewand angestellt habe, zeigen,
daß die linke Hand etwas mehr nach innen hinein gedreht
werden muß. Zu derselben Stellung wurde ein Bildhauer
durch die Beobachtung der Armmuskeln geführt.
Apollo von Belvedere, bei dem ausdrücklich angegeben
wird, daß der obere Teil des Köchers beschädigt und er-
gänzt ist1). Dort muß, so dürfen wir jetzt nach dem Vor-
bilde des pompejanischen Wandgemäldes sagen, die obere
Hälfte des bronzenen Bogens befestigt gewesen sein, so
daß er über die rechte Schulter emporragte. Man möge
nicht versuchen zu behaupten, daß der Bogen auf dem
Wandgemälde etwa von der rechten Hand gehalten ge-
wesen sei, denn der rechte Arm ist vom Ellenbogen ab
nach vorn gesenkt, wie deutlich die Falten der Chlamys
beweisen, und der ja nur zur symbolischen Andeutung an-
gebrachte kleine Bogen verläuft mit seiner Krümmung deut-
lich hinter der Schulter, das heißt auf dem Rücken, in den
Köcher hinein. In der Hand des belvederischen Apollos
wäre aber ein Bogen in natürlicher Größe nötig gewesen,
was unmöglich ist.
Auch die übermäßig große Kithara, die neben dem
Gott unterhalb des rechten Armes angebracht ist, deutet
darauf hin, daß die Figur direkt einer Statue entnommen
ist. Sie mag bei Bronzefiguren, die gar keiner oder nur
einer leichteren Stütze bedurften, verwendet worden sein,
um der Figur einen sicheren Halt zu geben, während man
bei dem schwereren Marmor, der einer festeren Stütze be-
durfte, zu dem massiven Baumstamm griff, wie ihn der
Apoll von Belvedere zeigt.
Und der Apollo Stroganoff? Furtwängler hat ihn so
bestimmt für modern erklärt, daß man kaum Widerspruch
wagen kann, auch läßt sich ja nicht leugnen, daß die
Stütze unterhalb des linken Fußes, die eigentlich nur bei
Marmor Sinn hat, höchst auffällig ist. Aber wie kann man
annehmen, daß vor mindestens hundert Jahren ein Fälscher
darauf verfallen konnte, einen Apollo so zu bilden, wie er
heute ohne Rücksicht auf die Stroganoff-Figur sich uns aus
dem pompejanischen Wandgemälde ergeben hat? Das
will mir fast undenkbar scheinen. Aber so lange ich
nicht mit eigenen Augen die Statue gesehen habe, halte
ich es für besser, eine Meinung darüber nicht auszusprechen;
es wird das Beste sein, man sagt: adhuc sab judice Iis est.
Und die Bedeutung der Statue und die Zeit, der das
Original zuzuweisen ist? Denn daß der belvederische
Apollo eine Kopie ist, ebenso wie das pompejanische Bild
auf eine ältere Vorlage zurückgeht, kann man ja als sicher
bezeichnen. Ich muß es vorläufig ablehnen, auf die eine
oder andere Frage zu antworten. Schon steht ein Aufsatz
von Amelung zu erwarten, der im Gegensatz zu Winter
die Statue nicht auf Leochares, sondern auf Euphranor
zurückzuführen sucht2), und wenn wir uns erst daran ge-
wöhnt haben, uns den Apollo so vorzustellen, wie ich es
auf Grund des pompejanischen Bildes darlegen zu müssen
geglaubt habe, dann wird auch sicherlich die Frage nach
der Bedeutung des Gottes, die ja ohne Zweifel an Wichtig-
keit hinter der Frage nach der Gestaltung des Gottes zurück-
steht, eine allseitig zufriedenstellende Antwort erhalten.
Daß aber der Apollo von Belvedere nicht den Bogen,
sondern den Gewandzipfel in der linken Hand und den
Bogen auf und in dem Köcher hat, das denke ich hiermit
bewiesen zu haben. r. engelmann.
1) Vergl. Heibig, Führer 2. Aufl. I, S. 96. Das ist
aber nicht richtig, wie eine nachträglich mir möglich ge-
wordene Untersuchung gezeigt hat. Der obere Teil des
Köchers ist antik, zeigt aber ein ungefähr 10 cm tiefes
Loch, in dem der Bogen wohl befestigt sein konnte.
2) Inzwischen erschienen in der Rev. arch. 1904, II,
S. 325-
Der Apoll von Belvedere
104
wähnt worden; sicher hat aber auch die Verwendung der
Statue in einem Bilde es mit veranlaßt, daß der linke Arm
gesenkt wurde. Auch daß das Gewand nicht hinter dem
Rücken, sondern vor dem Vorderleib sich hinzieht, ist auf
Kompositionsgründe zurückzuführen, aber daß das Gewand
als solches vorhanden war, nicht etwa beliebig vom Maler
erfunden ist, geht aus dem Notbehelf, der Veränderung
der Stellung, die der Maler angebracht hat, deutlich hervor.
Er würde freier haben schalten können, wenn das Gewand
in seiner statuarischen Vorlage gefehlt hätte; da es aber
einmal vorhanden war, wagte er nicht, es wegzulassen,
sondern änderte nur seine Lage, indem er denselben Zweck
mit der Chlamys zu erreichen suchte, zu dem der Bild-
hauer sie verwandt hatte, als Hintergrund. Dasselbe gilt
von der Art, wie das Gewand von der linken Hand ge-
halten wird; das ist keine durch die Komposition dem
Maler aufgenötigte Abänderung, sondern ein Festhalten
des ursprünglichen Motivs. Dasselbe gilt vom Bogen;
nichts hätte den Maler hindern können, den Bogen von
der linken Hand halten zu lassen, wenn seine Vorlage es
so verlangt hätte; daß er das nicht tat, sondern den Bogen
zur Hälfte im Köcher verbirgt, zur Hälfte darüber hinausragen
läßt, ist ein sicheres Zeichen, daß es in der statuarischen Vor-
lage so vorhanden war. Demnach sind als ursprüngliche
schon in der zugrunde liegenden Statue vorhandene Ab-
weichungen folgende zu bezeichnen: 1. Die Chlamys
wurde von der linken Hand gehalten. Bei einer Bronze-
figur steht nichts im Wege, daß das Gewand genau so
wie hier bei dem Apollon des Wandgemäldes (aber natür-
lich über den Rücken geführt) angeordnet war, das heißt
daß der eine Zipfel von der linken Hand gefaßt wurde,
so daß er zwischen Daumen und Zeigefinger hervorsteht,
ungefähr so also, wie es Furtwängler für den Apollo
Stroganoff bewiesen hat (Arch, Zeit. 1882, S. 254) (Abb. 1).
Bei der Marmorfigur geht das nicht an, weil hier das
Gewand über den linken Unterarm geworfen ist. Aber
wir haben schon oben gesehen, daß die Chlamys, wenn
bloß lose über den Arm geworfen, nimmermehr in der
Lage verharren kann, sondern heruntergleiten muß1); es
mußte deshalb das Ende, das nach außen geführt ist, von
der linken Hand aufgenommen und festgehalten werden,
ungefähr so, wie ich dies von der Bronzehand der in der
Nähe von Eriwan gefundenen, mit der Castellanisammlung
in das Britische Museum gelangten Statue bewiesen habe2).
Eine derartige Abweichung war beim Marmor aus prak-
tischen Gründen notwendig, um den Arm durch das Ge-
wand mit dem Körper zu einer festen Masse zu ver-
einigen so daß eine besondere Stütze nicht mehr nötig
war. Natürlich ist dann neben dem Gewand für den
Bogen in der Hand kein Raum mehr.
Aber wozu auch? Das pompejanische Bild zeigt 2.,
daß der Bogen zur Hälfte im Köcher angebracht ist, zur
Hälfte über ihn emporragt. So war es auch bei dem
1) Wie der Bildhauer den überfallenden Teil des Ge-
wandes hätte anordnen müssen, wenn er dem Beschauer
die Sicherheit geben wollte, daß das Gewand nicht herab-
gleiten konnte, zeigt z. B. eine im sogenannten Antiqua-
rium in Rom aufgestellte Jünglingsfigur. Der lang über
den Arm herabfallende Teil ist mit dem linken Bein aus
einem Stein gearbeitet und zur größeren Sicherheit mit dem
Schenkel noch durch einen Puntello verbunden. Vergl.
noch Jouilles de Delphes IV, T. 68.
2) Arch. Zeit. 1878, T. 20, S. 150. Praktische Ver-
suche, die ich mit einem Gewand angestellt habe, zeigen,
daß die linke Hand etwas mehr nach innen hinein gedreht
werden muß. Zu derselben Stellung wurde ein Bildhauer
durch die Beobachtung der Armmuskeln geführt.
Apollo von Belvedere, bei dem ausdrücklich angegeben
wird, daß der obere Teil des Köchers beschädigt und er-
gänzt ist1). Dort muß, so dürfen wir jetzt nach dem Vor-
bilde des pompejanischen Wandgemäldes sagen, die obere
Hälfte des bronzenen Bogens befestigt gewesen sein, so
daß er über die rechte Schulter emporragte. Man möge
nicht versuchen zu behaupten, daß der Bogen auf dem
Wandgemälde etwa von der rechten Hand gehalten ge-
wesen sei, denn der rechte Arm ist vom Ellenbogen ab
nach vorn gesenkt, wie deutlich die Falten der Chlamys
beweisen, und der ja nur zur symbolischen Andeutung an-
gebrachte kleine Bogen verläuft mit seiner Krümmung deut-
lich hinter der Schulter, das heißt auf dem Rücken, in den
Köcher hinein. In der Hand des belvederischen Apollos
wäre aber ein Bogen in natürlicher Größe nötig gewesen,
was unmöglich ist.
Auch die übermäßig große Kithara, die neben dem
Gott unterhalb des rechten Armes angebracht ist, deutet
darauf hin, daß die Figur direkt einer Statue entnommen
ist. Sie mag bei Bronzefiguren, die gar keiner oder nur
einer leichteren Stütze bedurften, verwendet worden sein,
um der Figur einen sicheren Halt zu geben, während man
bei dem schwereren Marmor, der einer festeren Stütze be-
durfte, zu dem massiven Baumstamm griff, wie ihn der
Apoll von Belvedere zeigt.
Und der Apollo Stroganoff? Furtwängler hat ihn so
bestimmt für modern erklärt, daß man kaum Widerspruch
wagen kann, auch läßt sich ja nicht leugnen, daß die
Stütze unterhalb des linken Fußes, die eigentlich nur bei
Marmor Sinn hat, höchst auffällig ist. Aber wie kann man
annehmen, daß vor mindestens hundert Jahren ein Fälscher
darauf verfallen konnte, einen Apollo so zu bilden, wie er
heute ohne Rücksicht auf die Stroganoff-Figur sich uns aus
dem pompejanischen Wandgemälde ergeben hat? Das
will mir fast undenkbar scheinen. Aber so lange ich
nicht mit eigenen Augen die Statue gesehen habe, halte
ich es für besser, eine Meinung darüber nicht auszusprechen;
es wird das Beste sein, man sagt: adhuc sab judice Iis est.
Und die Bedeutung der Statue und die Zeit, der das
Original zuzuweisen ist? Denn daß der belvederische
Apollo eine Kopie ist, ebenso wie das pompejanische Bild
auf eine ältere Vorlage zurückgeht, kann man ja als sicher
bezeichnen. Ich muß es vorläufig ablehnen, auf die eine
oder andere Frage zu antworten. Schon steht ein Aufsatz
von Amelung zu erwarten, der im Gegensatz zu Winter
die Statue nicht auf Leochares, sondern auf Euphranor
zurückzuführen sucht2), und wenn wir uns erst daran ge-
wöhnt haben, uns den Apollo so vorzustellen, wie ich es
auf Grund des pompejanischen Bildes darlegen zu müssen
geglaubt habe, dann wird auch sicherlich die Frage nach
der Bedeutung des Gottes, die ja ohne Zweifel an Wichtig-
keit hinter der Frage nach der Gestaltung des Gottes zurück-
steht, eine allseitig zufriedenstellende Antwort erhalten.
Daß aber der Apollo von Belvedere nicht den Bogen,
sondern den Gewandzipfel in der linken Hand und den
Bogen auf und in dem Köcher hat, das denke ich hiermit
bewiesen zu haben. r. engelmann.
1) Vergl. Heibig, Führer 2. Aufl. I, S. 96. Das ist
aber nicht richtig, wie eine nachträglich mir möglich ge-
wordene Untersuchung gezeigt hat. Der obere Teil des
Köchers ist antik, zeigt aber ein ungefähr 10 cm tiefes
Loch, in dem der Bogen wohl befestigt sein konnte.
2) Inzwischen erschienen in der Rev. arch. 1904, II,
S. 325-