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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [1]
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211

Wiener Brief

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fähr wie in Wien die von der Führichschule aus-
gemalte Altlerchenfelder Kirche, die 1848 die öster-
reichische Beamtenkunst in Bresche legte. St. Maurus
gehört der ersten, milder gestimmten Epoche der
Beuroner an; später wurde die Stimmung weitaus
strenger. Bemerkenswert ist insbesondere auch, daß
die Fresken der Außenseite, obgleich dem schlimmsten
Wetter ausgesetzt, seit fünfunddreißig Jahren ihre volle
Frische bewahren, während die Münchener Stereo-
chromie der Kaulbachzeit spurlos untergegangen ist.
Dieser ersten Epoche gehören noch die Arbeiten in
der Abteikirche Emaus zu Prag und die ersten Sachen
von Monte Cassino an. Der zweiten namentlich die
Ausmalung der St. Gabrielkirche in Prag, wo sich
die gewaltige »Pietä« des P. Desiderius befindet, und
die späteren Cassinensischen Arbeiten. Auch in
Konstanz (zwei große Fresken in der Konradskapelle
des Münsters), Stuttgart (Kreuzwegstationen in der
Marienkirche, von vereinzelter Eigenart), Teplitz,
Königgrätz, Seckau, Augsburg, Ehrenbreitstein haben
die Beuroner gearbeitet. Ausstellbar, im Ausstellungs-
sinn, ist ihr Werk allerdings nicht. Es ist überall
aus der Scholle erwachsen und bildet einen zusammen-
gewachsenen Organismus. Wir sahen hier Entwürfe,
Pläne, Studien, Statuen, kirchliches Gerät, Stickereien,
entzückende Buchmalerei. Dafür aber hatte man den
Blick in ihre Arbeitsweise. Wie viele Kompositions-
skizzen hat P. Desiderius für seine Pietä gemacht;
wie sorgsam konstruieren die Schüler ihre großen
Studienköpfe mit Zirkel und Richtscheit. Nicht als
ob lineare Starrheit ein Schulgesetz wäre, im Gegen-
teil, jede Linie hat ihren heimlichen, aber lebendigen
Puls, bei den Meistern nämlich. Aber die Pflege
der Linie ist eine Hauptsache, sie ist schon durch
die flache, ungebrochene Farbengebung erfordert.
Der allgemeine Charakter ist archaistisch, schon weil
sie wollende Primitive sind, die zu den Anfängen,
den Quellen nämlich, zurückstreben. Ägyptische,
assyrische, frühchristliche Elemente tauchen auf. Ein
Bewerbungsentwurf des P. Desiderius um die Wiener
Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskirche mag an langge-
streckte ägyptische Tempelanlagen mit vorgesetzten
Pylonen erinnern, ist aber so modern durchgearbeitet,
daß man an einen Wagnerschüler denken könnte.
Und so noch mehr im Einzelwerk. Eine Taube der
Dreifaltigkeit stilisiert sich von selbst nach Art der
geflügelten Sonnenscheibe über ägyptischen Tempel-
eingängen. Kopfschleier drapieren sich ägyptisch,
kegelförmige Helme und lockige Bärte geben sich
assyrisch. Man kann nicht einmal sagen, mit Unrecht,
denn diese Einflüsse stürmten von rechts und links
in die biblisch-evangelische Welt ein. Die gemalten
Theorien an den Tempelwänden des Niltales, mit
ihren endlosen Parallelismen, werden wieder lebendig,
detaillieren sich aber immerhin mannigfaltiger. Lotos-
kapitäle und lilienhaft umgedeutete Papyrusstengel,
architektonisch starre Fittiche, eine Menge kanonische
Formeln treten hinzu. Und doch ist es kein Nach-
ahmungsstil, so wenig als der byzantinische oder
romanische. Es ist die eigene Empfindung einer so
primitiv geaichten modernen Künstlerseele.

Man fragt sich, was die Zukunft des Beuroner
Stils sein wird. Er wird mit P. Desiderius dahin
sein; wenn unter den Nachfolgern eine eigene starke
Persönlichkeit ist, wird er eine lebendige Fortsetzung
haben. In unserer Zeit, die den Impressionismus so
herrlich zu Ende blühen sah, drängt alles wieder der
Abstraktion, dem Stile zu, und zwar dem des Einzelnen,
nicht der Schule, Gilde, Brüderschaft. Das ist unsere
moderne Befreiung. Aber als Erbteil ist uns die
wiedererrungene Farbe verblieben, die farbige Stimmung.
Und in dieser müßte sich auch das religiöse Bild
weiter entwickeln. Mit wie reichen Chancen, das
zeigten in der Ausstellung die religiösen Gemälde
von Maurice Denis und Paul Oauguin, so wie die
Kartons zu Besnards Bildern in dem Spitalskirchlein
zu Berck-sur-Mer. Alle Unterschiede sind zulässig.
Auf jede dieser Arten kann man sogar »benediktinisch«
malen, und »gottesdienstlich«, wie P. Ansgar heischt.
In jedem Stil kann man sich auch eigens als kirchlich,"
katholisch, klerikal, ultramontan usw. von dem all-
gemein Religiösen unterscheiden. Und der Stil der
Zeit will ein Farbenstil werden. Man sieht es sogar
dem Theater an, das nachgerade unabweislich nach
einem modernen Bühnenstil schreit. Wir hatten hier
(bei Miethke) eine Ausstellung von szenischen Ent-
würfen Edward Gordon Craigs. Zu Dramen von
Shakespeare bis Hofmannsthal. Ein großer Verein-
fachungsstil, der durch Raumbildungen, Verhältnisse
und Farbengegensätze wirkt, ohne einen Augenblick
die Bühne zu vergessen. Stilisierte Bühnennatur mit
reinen Bühnenmöglichkeiten. Ein steil niedergehender
Vorhang wirkt wie ein bodenloser Abgrund, eine
überhöhte Bühne drückt den Menschen zu einem
Nichts herab, so daß ein tragisches Moment in der
Luft schwebt. Ein hoch aufsteigender, heroisch
blauer Meereshorizont erspart alles weitere Milieu für
ein venezianisches Drama. Immer findet die Stimmung
ihre kürzeste Formel. Gordon Craig träumt freilich
von einem reinen Regietheater, dessen Direktor und
Dichter der Regisseur wäre. Diesem sollte der Poet
ebenso dienen, wie der Dekorationsmaler, Kostümier,
Ballettmeister und Beleuchter. Das ist ja möglich;
vielleicht ist Gordon Craig ein solcher schöpferisch-
gestaltender Regisseur. Er hätte es erst zu beweisen.
Die Art aber, wie er uns die Bühneneindrücke stili-
siert, liegt ganz in der natürlichen Richtung. Da
steuert alles hin, was Talent hat. Neulich erst hat
Alfred Roller in der Hofoper Mozarts »Don Giovanni«
solcherweise neugestaltet, unter vielem Für und
Wider der Kritik und Nichtkritik. Er geht seinen
Weg zum Stil unbeirrt, wenn er auch erst durch die
Praxis erfahren dürfte, wo er hingelangt. Bei der
Szenierung von »Fidelio« und »Tristan« war ihm
noch die Hauptsache das deutliche Anschlagen der
malerischen Stimmung, die dem Musikgehalt der
Szene entspricht. Das Auge als Mithelferin des Ohres.
Ein Blick in das seltsame Grau von Florestans
Kerker — und man war auf die Szene gestimmt,
Auge und Ohr vernahmen den nämlichen Ton.
Immerhin bestand noch die alte Bühneneinrichtung.
Im »Don Giovanni« geht er aber einen entscheidenden
 
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