Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Uhde-Bernays, Hermann: Der zweite Band der "Sixtinischen Kapelle", [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0137

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von t. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVII. Jahrgang 1905/1906 Nr. 17. 2. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DER ZWEITE BAND DER »SIXTINISCHEN
KAPELLE«

Von Dr. Uhde-Bernays

II.

Auch die zweite Hälfte des Werkes, die dem Um-
fang des Materials entsprechend nur dem vierten Teil
der ersten gleichkommt, beginnt mit historischen Aus-
einandersetzungen. An der Spitze befindet sich ein
etwas sentimentales Kapitel über Tommaso di Cava-
lieri1), dann eine gute Charakterisierung Pauls III. und
des gütigen Einvernehmens zwischen diesem Papste
und dem Künstler8). Über die Anfänge der Arbeiten
am jüngsten Gericht wird auf Grund der Aufzeich-
nungen des Biagio von Cesena eine authentische Be-
schreibung gegeben. Nunmehr wendet sich Stein-
mann zu Vittoria Colonna, um in einem formvoll-
endeten, für sich abgerundeten Sonderaufsatz der
einzigen Frau zu gedenken, welcher der große Michel-
angelo verehrend gehuldigt hat8). Über die letzten
Arbeitsjahre und die Einweihung des Altarbildes, für
welche als Datum nunmehr endgültig der 31. Oktober
1541 gefunden ist, berichtet ein hier unmittelbar an-
schließendes Kapitel. Das traurige Schicksal des
Jüngsten Gerichtes, die unerhörte schimpfliche Verun-
zierung, die schon zu Lebzeiten Michelangelos sein
Werk zerstörte, und noch vor 150 Jahren ihr wüstes
Unwesen getrieben hat, wird am Schlüsse dieses Ab-

1) Daß auch Steinmann, anstatt ruhig zu sagen >alle
menschliche Gebrechen heilet reine Menschlichkeit«, das
Verhältnis zu Tommaso di Cavalieri platonisch auffaßt,
während er später S. 500 den Gegensatz zwischen ihm und
Vittoria Colonna treffend ausspricht, befremdet bei der
kühlen Logik, die bei aller Bewunderung seine Feder leitet.
Natürlich geht er lange nicht so weit, Michelangelo in
seinem Liebesleben gar Wagners Wolfram von Eschenbach
zu vergleichen.

2) Von den Fresken Vasaris in der Cancelleria ist S. 484
das Porträt Michelangelos abgebildet. Steinmann hat die
Absicht, diesen Freskenzyklus herauszugeben.

3) Das Bild der Vittoria Colonna aus der Sammlung
des Grafen Stroganoff in Rom mit seinen dunkeln Augen-
sternen, die aus einem trotz des ernsten zurückhaltenden
Zuges um den Mund weichen anmutigen Gesicht blicken,
darf, da zum erstenmal veröffentlicht, besondere Aufmerk-
samkeit beanspruchen (S. 506).

Schnittes mit schmerzlichem Bedauern und gerechtem
Zorn mitgeteilt.

Den Auftrag, mit dem Jüngsten Gericht die Altar-
wand der Sixtinischen Kapelle zu schmücken, hatte
schon Clemens VII. Michelangelo gegeben1). Wie
immer, wenn sich die Gelegenheit bietet, sucht Stein-
mann zu den vorhandenen historischen Zusammen-
hängen auch künstlerische zu konstruieren. Hier er-
innert er an die Darstellung Orcagnas, an Signorelli
in Orvieto, an Bologna, Siena und Pisa. Um so
wirksamer konnte er den Gegensatz herausheben, der
Michelangelo von allen seinen Vorgängern unter-
scheidet. Gerade das persönliche Moment, das aktive
Eingreifen in die dadurch zu höchster Dramatik ge-
steigerte Handlung, ist dem letzteren allein eigentüm-
lich. Unter diesem Gesichtspunkt erfährt das Jüngste
Gericht nunmehr eine peinliche beschreibende Zer-
legung. Recht geschickt fügt sich die Inhaltsangabe
der Dialoge des Gilio da Fabriano an, welche im
Todesjahr Michelangelos niedergeschrieben sind und
eine Auseinandersetzung über das Jüngste Gericht zum
Inhalt haben. Zwei prächtige Schlußkapitel behandeln
Michelangelos Verhältnis zu Dante und den Einfluß
der göttlichen Komödie auf des Meisters Werk2).
In weihevoll ergreifender Stimmung klingt das Ganze
aus, um mit dem schönen, zum Unendlichen ehrfurchts-
voll deutenden Ausspruch Goethes abzuschließen:
»Ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann
man sich keinen anschauenden Begriff davon machen,
was ein Mensch vermag.«

Die Durchnahme der großen Steinmannschen Ar-
beit, deren Inhalt in diesem kurzen Referat nur in
ganz flüchtigen Umrissen angedeutet werden konnte,
bedeutet einen nicht gewöhnlichen Genuß. Es ist
dem Verfasser auf beinahe 600 Druckseiten geglückt,
die Aufmerksamkeit des kunstverständigen und kunst-
eifrigen Lesers ununterbrochen an der Erhabenheit
des geschilderten Gegenstandes festzuhalten, von
welchem er ihn keinen Augenblick durch nebensäch-
liche Kleinigkeiten oder ermüdende Einzeluntersuchun-

1) Möglicherweise in Erinnerung einer ähnlichen Dar-
stellung im Papstpalast zu Avignon, wie Steinmann S. 523
auf Grund eines französischen Schriftstellers angibt.

2) Steinmann, S. 567, Anm. 2 bringt eine neue Notiz
über den verlorenen, angeblich mit Michelangelos Zeich-
nungen versehenen Dantekodex.
 
Annotationen