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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Uhde-Bernays, Hermann: Der zweite Band der "Sixtinischen Kapelle", [2]
DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0138

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259

Pariser Brief

2ö0

gen abzieht. Die Persönlichkeit des Schöpfers der
Sixtinadecke, Michelangelo, hat er in Liebe und Be-
wunderung menschlich betrachtend und überdenkend
erfaßt und wiedergegeben. Der gedanklichen Tiefe
des Werkes hat er sinnend neue Lichtquellen zuge-
führt, indem er mit gleichbleibender Methode von der
Wichtigkeit des Alten Testamentes ausgehend, die
Worte der Schrift, die gleichsam als Motto, aufsteigend
aus der andächtigen Reinheit seines gläubigen Herzens,
dem Meister vor Augen schwebten, zu erklärender
Deutung verwandte. Der Hauptvorzug aber, der das
Steinmannsche Buch vor so vielen anderen auszeichnet,
ist die Art der Darstellung. In leichter, aber keineswegs
phrasenreicher Diktion schließt sich Satz an Satz. Ge-
wiß darf diese, hier übrigens streng persönliche und
ungekünstelte Darstellungsweise nicht den Ton an-
geben in allen unseren kunstwissenschaftlichen Werken.
Hier aber war sie die einzig berechtigte. Wohl werden
wir es noch manches Jahr mit anhören müssen, daß
phantasielose Buchkrämer jedes gut geschriebene Buch
mit dem Stempel des Feuilletonismus griesgrämig oder
gehässig versehen und deshalb als unwissenschaftlich
abtun. Sei's drum! Das Werk über die Sixtinische
Kapelle wurde geschrieben nicht für die Fachgenossen
allein, sondern zur Anregung und Förderung aller
derjenigen, welche von den Schöpfungen einer der
größten Genien aller Zeiten begeistert Kenntnis und
Rat sich in ausgiebigster Form zu erholen gedenken.
Sie werden dankbaren Sinnes des Verfassers Verdienste
anerkennen.

Ein umfangreicher Anhang bringt zuerst einen
kritischen Katalog der Handzeichnungen Michelangelos
zur Sixtina, sowie die vorzüglichen Abbildungen der-
selben. Hierauf folgt, von Dr. Heinrich Pogatscher
sorgsam kollationiert und herausgegeben, eine große
Anzahl von Regesten und Dokumenten. Es sei hier
nur erwähnt, daß aus der Sammlung Hertz in Rom
mehrere wichtige und auch inhaltlich sehr schöne
Briefe zum Druck gelangten. Unter den Dokumenten
befinden sich verschiedene, bisher unbekannte Notizen
über die Einweihung der Kapelle durch Paul III.
Leider ist es unmöglich, hier auf Einzelheiten ein-
gehen zu können. In gesonderter Mappe sind dem
Werke 70 Tafeln im Format 61:46 cm beigegeben.
Der bekannte Photograph Anderson hat die Aufnahmen
gefertigt, welche dann von der Bruckmannschen Ver-
lagsanstalt in würdigster Weise zur Reproduktion ge-
langten. Ganz besonders prächtig sind die Heliogra-
vüren geraten, die die Köpfe des Adam, des Ezechiel
und der Erythraea wiedergeben. Sie gehören zum
Vorzüglichsten, was von der modernen Technik ge-
leistet wird. Jedes dieser Blätter zwingt mit fesseln-
der Gewalt zu Bewunderung. Hier ist es wirklich
möglich, die wuchtige Sicherheit, die mühelos schei-
nende urwüchsige Kraft anzustaunen, mit welcher der
Titane Michelangelo Strich auf Strich geführt hat.
Sehr viel weniger bedeuten die fünf Farbentafeln, die
nur dann die charakteristischen Eigenschaften des
Fresko zeigen, wenn man sie von rückwärts beleuchtet
und in angemessene Entfernung bringt. Als Vorlagen
haben hier aquarellierte Salzkopien gedient, welche

der Maler Tabanelli in Rom hergestellt hat1). Wie weit
diese Vorlagen von dem Unerreichbaren des Originals
entfernt sind, beweist schon der flüchtige Vergleich
der Engelsköpfe unter und neben dem Mantel Gott
Vaters (bei der »Erschaffung des Adam«) mit der
photographischen Wiedergabe.

Zu den großen Kosten, welche für die Herstellung
dieses ganzen Abbildungsmaterials, wie für die ganze
Publikation erforderlich waren, hat das Reich einen
namhaften Beitrag geleistet. Und als selbst dieser
nicht ausreichen sollte, gewährte die Gnade des Kaisers
weitere Zuschüsse. Der allseitigen Teilnahme und
Befürwortung in den einschlägigen Kreisen muß es
gedankt werden, daß unsere deutsche Kunstwissen-
schaft ein Werk besitzt, wie es sogar in dem weit
reicheren und wenn es sich um künstlerische Zwecke
handelt, weit freigebigeren England kaum gefunden
wird. Daß gerade das Volk Goethes, welcher über
die Sixtinische Kapelle jenes am Schlüsse des Stein-
mannschen Buches angeführte verherrlichende Wort
geprägt hat, nunmehr eines so wertvollen und würdigen
Besitzes sich rühmen kann, wie ihn die schon äußer-
lich so imposant wirkenden Bände und Mappen dar-
stellen, hat Ernst Steinmanns frische Initiative zustande
gebracht. Möge Voltaires Bedenken: »un auteur ne
va point ä la gloire et un' libraire ä la fortune avec
un si lourd bagage« an dem Werke sich nicht be-
wahrheiten. Denn Steinmann wußte die lebendige
Begeisterung für seine Arbeit schon auf diejenigen
zu übertragen, welche die praktische Realisierung
seiner kühnen Pläne zu ermöglichen in der Lage
waren. Und daß er dies so trefflich verstanden hat,
ist wahrlich nicht sein geringstes Verdienst.

PARISER BRIEF

Von Karl Eugen Schmidt

Wir stehen jetzt mitten im Strudel der Kunst-
ausstellungen, und jeder Gemäldehändler hat seine
Säle zu besonderen Veranstaltungen geöffnet. Bei
Georges Petit stellt die Societe des Femmes artistes
aus. Diese Gesellschaft ist nicht zu verwechseln mit
dem weit größeren Künstlerinnenverein, der im Februar
und März an offizieller Stelle im Grand Palais einen
Bildermarkt mit zweitausend Nummern eröffnet. Leider
besteht der einzige Unterschied zwischen beiden Ge-
sellschaften in der Größe und Zahl. Im Grand Palais
sieht man zweitausend langweilige und schlechte
Sachen, bei Georges Petit nur zweihundert. Degas
sagte einst, als von den beiden großen Salons, den
Champs Elysees und dem Champ de Mars, die Rede
war: »Der Katalog der Champs Elysees ist größer,
folglich ist die Ausstellung schlechter«. Bei Georges
Petit ist also die weibliche Kunstausstellung besser
als im Grand Palais, denn sie ist kleiner. Sonst aber
ist nichts über sie zu sagen.

Am gleichen Orte hat der internationale Hof-
porträtist Antoon van Welie ausgestellt. Es ist sehr

1) Die Kasseler Oalerie besitzt gute Kopien der Pro-
pheten und Sibyllen von Ihlee, welche mindestens den
gleichen Dienst getan hätten.
 
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