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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [2]: (Sezession - Künstlerhaus - Hagenbund - Spitzen- und Porträtausstellung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0170

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323

Wiener Brief

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ein klingender Akkord von Jugend. Unter den Land-
schaftern steht Ludwig Siegmundt voran (»Tauwetter«). Er
gibt auch diesmal einen schlichten Naturausschnitt; eine
kleine Bodensenkung, mit entfärbtem Wald hinten, etliche
Schneespuren im Schwinden begriffen, aber alles von
einem fühlbar durchfeuchteten Wesen und bis ins ein-
zelnste empfunden. Neben ihm wirkt Anton Nowak durch
handfesteres Zugreifen und eine eigene Spürkraft für inter-
essante Form. Ein Bild ist noch aus Znaim, wo er voriges
Jahr so gute Sachen gefunden hat, die übrigen aber be-
wegen sich im Dachsteingebiet, dessen Hochgebirgsformen
er von allen Seiten studiert, bis er richtig ganz merkwür-
dige Anblicke findet und auf besondere Kombinationen
kommt. Anziehend sind einige Landschaften von Toni
Stadler, dann von Jettmar, Schmutzer, dem stets poetischen
Friedrich König (mit mythischen Jägerinnen). Auch einige
jüngere Plastiker sind anzumerken; Josef Müllner (Orpheus
mit Löwen, brauner Marmor), Breithut, Hanak, Ehrenhbfer
(Marmorgruppe »Affenliebe«, wo das Nackte pointillistisch
behandelt ist, allerdings nur blatternarbig aussieht). Sehr
interessant ist schließlich ein Zimmer, das der Architekt
Leopold Bauer, einer unserer besten Modernen, mit aus-
geführten und geplanten Entwürfen gefüllt hat. Sie wer-
den aber wohl in anderem Zusammenhange zu besprechen
sein.

Im Künstlerhause füllt die Jahresausstellung der Künst-
lergenossenschaft alle Räume. Es ist eine vielgestaltige
und vielfarbige Generalversammlung von in- und auslän-
dischen Werken. Die Mehrzahl ist öster eichische Malerei.
Diese steht in den letzten Jahren, bei der Genossenschaft,
im Zeichen des Porträts. Auch einige ältere Bildnismeister
haben diesmal das Zelt des Achilles verlassen und treten
auf den Plan zwischen Achäern und Troern. Angeli, seit
Jahren nicht mehr gesehen, bringt mehrere große Bilder;
reich toilettierte Damen und, als bestes, den Hamburger
Kommerzienrat Neubauer, mit jener unbedingten Real-
malerei von einst gegeben, die wie das Einmaleins wirkt.
Er und Herkomer (»die Schöpfer meines Hauses« und
zwei weniger sagende Damenbilder) zeigen das Gute, das
jene Kunst hatte; nämlich das, womit sie das malerische
Bedürfnis ihrer Zeit ausdrückte. Ihnen schließt sich Horo-
vitz an, dann Pochwalski (Graf Adam Potocki, in pol-
nischem Kostüm), als weitere Fortsetzung Ferraris, dessen
großes Staatsbildnis des deutschen Kaisers, mit Werners
»Kaiserproklamation zu Versailles« als tapetenhaftem Hinter-
grund, den großen Saal des ersten Stockes beherrscht. Das
alles bewegt sich doch in den anerkannten Zulässigkeiten,
ein malerischer Zeitpunkt bricht nicht durch. Auch Laßlo
antikisiert in seinem beliebten Zurückgreifen auf die Rey-
noldszeit, deren Schema er allerdings mit variierten Arran-
gements zu füllen sucht. Er ist aber bereits am Ende
dieser Möglichkeiten und erfrischt mehr mit einzelnen Bil-
dern, wo die Naturstudie mehr zu Worte kommt. Unter
den älteren Wienern hat sich seit drei Jahren Viktor Slauffer,
der Schwager und einstige Nachahmer Canons, seine eigene
Weise gemacht und bringt harmonische, tiefergriffene Por-
träts. Einen stärkeren Stich ins Moderne hat John Quincey
Adams, dessen Tonschwebungen und Anordnungen in die
Whistlersche Richtung weisen, wo er mit dem aus Paris
heimgekehrten Viktor Scharf zusammentrifft. Englische
Modernität klingt auch immer bei Veith an, der seine ele-
ganten Kinder in lauschige Parks hineinstellt. Louis Uhl,
Frau Rosenthal-Hatschek,Joannovits (diesmal zu süß), Schal-
tenstein, W. V. Krauß, Oskar Bruch, S. Glücklich gehören
zum Nachwuchs. Wie eine Bombe platzt in diesem immer-
hin behäbigen Milieu ein großes Bildnis des Spaniers Moreno
Carbonero, der ein junges Mädchen als Velazquezsche In-
fantin kostümiert hat, weiß und rot, aber mit einer blut-

rünstigen Brillanz, die selbst auf der Konferenz von Alge-
ciras nicht auf Stimmenmehrheit rechnen könnte.

Unter den Genremalern sind bei einigen Jüngeren
Fortschritte zu verzeichnen. Bei Jungwirth (»Geburtstag«)
und Lazar Krestin (»Judenschule«) sind gut beobachtete
Figuren mit viel Weichheit im Stubenlicht verschummert
Wilda hat eine sauber geführte Szene »Gulliver bei den
Riesinnen«, Isidor Kaufmann wieder minutiös durch-
gearbeitete Kaftanjuden, Geller ein Triptychon »Vater-
unser« mit bäuerlichen Wald- und Wiesensachen, denen
er einen Anflug von Stil gibt. Der Unternehmendste ist
Egger-Lienz, der energische Episodiker des Tirolerjahres
1809, der diesmal ein großes Wallfahrerbild in Hodlerscher
Art durchführt. In der Mitte ein lebensgroßer Kruzifixus,
rechts und links auf gleicher Höhe mit ihm sechs ländliche
Personen. Eine symmetrische Hinreihung von Einzelfiguren,
deren Reihe noch durch zwei dachtragende Pfosten unter-
geteilt wird; der Hintergrund eine Wand aus wagerechten
Bohlen. Also die Hodlersche Formel für Wandmalerei
von architektonischem Rhythmus. Behandlung derb, Farbe
ins Schwärzliche gedämpft, Wirkung ernst, mauermäßig.
Das wäre ja wirklich ein Weg, auf dem einer ans Ziel
gelangen könnte, wenn er Aufträge hätte. Unter den Land-
schaften nichts Neues. Hübsche Sachen von alten Bekann-
ten. (Darnaut, Zetsche, Ruß, Friedrich Beck und andere.)
Der junge v. Poosch entwickelt sich; sein großer weißer
»Winter« ist in der Simplizität, mit der die Elemente ge-
geben und zusammengefügt sind, eine Aussicht in die Zu-
kunft. Tomec tut einen guten Wurf mit der großen Land-
schaft »Chlum« (Königgrätz). Über tief brauner Erde eine
graue Nebelschicht, über der eine feurige Wolke steht.
Abenddämmerung, Schlachtfeldstimmung; bloß drei ein-
fache Bestandteile von großem Zug. Die Elemente zur
modernen historischen Landschaft sind vorhanden, es fehlt
bloß das gewisse Etwas, das gewisse Leute im Blute haben.
Auch einige Plastiker zeichnen sich aus. Der junge Guido
Kocian in Horzic schickt eine ganz große Bronze: Abel,
über dessen Leiche seine Schafe trauern; der Widder, der
die Gruppe krönt, stößt einen wahren Schmerzensschrei
aus. Alles geht aus einem großen plastischen Gefühl, es
formt sich schlicht und zusammengehörig. Tiefer Friede
ruht auf dem Antlitz des Toten, das vom Haar wie von
einem modernen Bildrahmen umschlossen ist. Und aus
Prag kommt ein großes Pferd (Gips), das schon etwas
sagenhaft geworden; zu Myslbeks Reiterdenkmal des hei-
ligen Wenzeslaus. Alle paar Jahre einmal taucht etwas zu
diesem apokalyptischen Monument Gehöriges auf. Aber
es ist immer ein starkes Stück. Das Streitroß, so denk-
malmäßig es gebaut ist, hat Natur im Leibe; und daß es
kein Wildling ist, zeigen die geflochtenen Zöpfchen der
Mähne. Von den Ausländern brauche ich hier nichts zu
sagen. Die Deutschen sind ohnehin bekannt. Deltmanns
»Friesisches Lied«, Vogelers »Erster Sommer« sind voll-
gültig; auch Diemers großer »Seesturm« aus München ist
da, und einiges von Vinnen, Bartels, Palmie', Leempoels,
Villegas und anderen Spaniern.

Auch in der Frühjahrsausstellung des Hagenbundes
geht man nicht leer aus. Für den fernerstehenden Leser
braucht aber nur das Wichtigste herausgehoben zu werden.
Das sind die neuen Bilder von Ludwig Ferdinand Graf.
Das Hauptstück ist sein lebensgroßes Bildnis des chine-
sischen Gesandten Yang-Tschung, aufrecht, in einem blau-
gestickten Prachtgewand, das sich seit drei Jahrhunderten
im Besitze der Familie befindet. Der grünliche Nephrit-
schmuck daran soll gar schon tausend Jahre hei seinen
Vorfahren ausgehalten haben. Die rot-schwarze Mütze
mit der Pfauenfeder liegt auf einem Möbel. Ein roter
Wandstreifen mit senkrechter Schriftzeile gibt den Namen
 
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