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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Dülberg, Franz: Museumsreform in München?
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Museumsreform in München

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des modernen Sammelwesens werden gewiß nicht in
öffentlichen Museen Hollands geschlagen, dafür gibt es
verschwiegene Palazzi in kleinen Städten Italiens oder die
heiß umlagerten Auktionen von London und Paris. Ich
glaube nicht, daß Frans Hals sehr erbaut sein wird, wenn
er, um ein kleines Stückchen von sich in einem der Seiten-
kabinette wiederzufinden, durch den ungeheueren Rubens-
saal und durch die vornehme Assemblee des van Dyck-
saals hindurchschreiten muß. — Ähnlich dürften die Ver-
hältnisse in der Glyptothek liegen. Einen Hildebrand
wird man, wenn man eben bei den Agineten und dem
Barberinischen Faun war, vielleicht noch würdigen können,
ein Besuch Rodins, Klingers oder Meuniers in den Räumen,
die durch Thorwaldsen, Tenerani und Cornelius ihren
Stempel erhielten, dürfte steif und für beide Teile uner-
quicklich verlaufen. Selbst die Hinzufügung neuerworbener,
nach den Gesichtspunkten der modernen Archäologie aus-
gewählten Antiken hat dort ihr Bedenkliches. Ich glaube,
keinem künstlerisch empfindenden Menschen wäre damit
gedient, wenn etwa in Rom die Sammlung des Senators
Baracco in die Villa Albani aufgeteilt würde. Auch die
Neue Pinakothek ist schließlich entweder das Haus Rott-
manns, der Nazarener und Pilotys, oder das Haus Con-
stables, Courbets und Fortunys, gewiß aber nicht beides.

Das Prinzip der »reinlichen Scheidung« ist es, das
ich denen, die an der Weiterentwickelung der Münchener
Museen interessiert sind, warm ans Herz legen möchte.
Mit einem unsichtbaren Museum möchte ich am liebsten
die drei Gründungen König Ludwigs I. — die Pinako-
theken und die Glyptothek — überbaut sehen, in dem
diese Sammlungen in ihrer einmal erreichten Abrundung
als Zeugnisse der regen Schönheitsfreude der alten Wittels-
bacher und der hochschwingenden Begeisterung des teut-
schesten Königs bewahrt werden. Die Stimme der For-
schung wird, wo immer sie uns Neues über die altberühmten
Werke zu erzählen vermag, gern und dankbar gehört
werden, man stehe aber ab von weiterem »Entfernen
störender Übermalungen« und »Wiederherstellungen der
Originalfassung«, Bestrebungen, in denen, wie mir an-
läßlich der Restaurierung des Paumgärtner-AItares ein
Freund treffend bemerkte, nur das vergebliche und un-
fromme Bemühen zutage tritt, den Moment festhalten zu
wollen. Man lasse Gemälde und Statuen, die nicht etwa
aus dem Verborgenen bei uns auftauchen, sondern seit
langen Generationen als Glieder einer berühmten Galerie
vor aller Augen ihr Dasein führen, dieses Dasein so weiter-
leben, wie es sich nun einmal vor Jahrhunderten ge-
staltet hat, und in der Form, wie sie uns allen lieb ge-
worden sind.

Soll damit etwa geraten werden, die kaum erkämpften
kargen Fonds zur Anschaffung alter Bilder wieder zu
streichen, den neugegründeten Museumsverein wieder auf-
zulösen? Nein, ganz gewiß nicht. Aber es ist zu ver-
langen, daß die in neuerer Zeit in Bayern erwachten Be-
strebungen nach frischer musealer Betätigung auch eine
eigene, unserer Zeit entsprechende Form und Fassung
finden. Ein neues, sichtbares Museum sei hier gewünscht,
dessen Kosten und Umfang die des kürzlich hier erbauten
Armeemuseums gewiß nicht übersteigen dürften und dessen
Bild hier in kurzen Zügen zu entwerfen mir verstattet
sein möge. Im Untergeschoß befindet sich die Zentral-
bibliothek der bayerischen Staatssammlungen, verbunden
mit einem reichen Photographienapparat, und auch für
jeden außerhalb des Museumbetriebes stehenden Kunst-
historiker und ernsthaften Kunstfreund frei zugänglich.
Im Erdgeschoß sehen wir zur Linken zunächst drei oder
vier Räume mit italienischen Bronzen, Majoliken, Fayencen,
einigen Robbia-Arbeiten, ein paar Ton- und Marmorbüsten

der Donatello und Majano oder ihrer Schule und wenigen
schönen, tiefleuchtenden alten Brokatstoffen. Ein paar
Zimmer mit ausgewählten Proben der antiken Kleinkunst,
darunter die schönsten Stücke der Vasensammlung und
vielleicht das eine oder andere süditalische Wandgemälde
schließen sich an1). In einem kleinen Räume sieht man
dann in Vitrinen erlesene Proben aus dem Münzkabinett
und ein paar Buchsbaumreliefs und andere Beispiele der
deutschen Kleinplastik. Ein nach rückwärts gelegener
Mittelsaal des Erdgeschosses ist zur Aufnahme von Leih-
gaben und für die jährlichen Ausstellungen des Museums-
vereins bestimmt; im Winter werden dort auch ab-
wechselnd die wichtigsten Stücke der dann geschlossenen
Schleißheimer Galerie den Münchenern zugänglich gemacht.
Der rechte Flügel des Erdgeschosses wird ganz durch
die Sammlung der Abgüsse der mittelalterlichen und Re-
naissanceplastik eingenommen. Wir sehen da in an-
genehm getönten Nachbildungen das Lütticher Taufbecken
des Lambert Patras, den Mosesbrunnen des Claus Sluter,
die Wechselburger Kreuzigung, die Medici-Gräber, be-
sonders aber auch manches wenig bekannte Stück aus
kleineren fränkischen und schwäbischen Kirchen.

Im linken Flügel der oberen Stockwerke findet
dann eine kleine Sammlung von älteren Gemälden ihren
Platz, die gewiß nicht der Alten Pinakothek Konkurrenz
zu machen, sondern sie in einigen Punkten zu ergänzen
bestimmt ist. Bei ihrer Anlage sind zwei Gesichtspunkte
zu berücksichtigen, die miteinander nicht immer ganz
leicht zu vereinigen sein werden: einerseits eine Vertretung
derjenigen Meister zu schaffen, die zu unserer heutigen
lebensvollsten Kunst hinzuführen scheinen, andererseits
bei der Beschränktheit der einmal vorhandenen Mittel
nicht nach Namen, sondern nach Qualität zu kaufen.
Besser, zehnmal besser ein guter van Keulen gekauft, als
ein nachlässiger Frans Hals, besser ein frischer Jakob
Cornelisz als ein abgeriebener van der Goes, besser ein
unberührter starker Bartolommeo Montagna als ein zweifel-
hafter Mantegna, besser ein leuchtender Alonso Cano, als
ein schwerbraunes, verräuchertes Bodegon des Velazquez
aus der Sevillaner Zeit oder eine weggeworfene Park-
skizze! Vor allem aber ist ein gesundes Resultat hier nur
dann zu erwarten, wenn für die Ankäufe mit dem schlep-
penden Kommissionswesen ein für allemal gebrochen
wird: der Staat muß einen oder mehrere gebildete, ge-
schmackvolle Gelehrte zu finden wissen, zu denen er das
Vertrauen hat, daß sie keine silbernen Löffel stehlen, und
muß sie mit möglichst wohlgefüllter Börse, vor allem aber
mit diskretionären Vollmachten auf Reisen schicken.

Der Mittelsaal des oberen Stockwerks enthält als
Tribuna die vollständige Sammlung Hans v. Marees und
einiges von seinem Schüler K. v. Pidoll. Vielleicht das
eine oder andere erlesene Werk Böcklins, eines der
schönsten Stücke Ludwig von Hofmanns und für die Saal-
mitte ein edles Werk Hildebrands sollte man hinzuzuge-
winnen suchen.

Im rechten Flügel findet die moderne Galerie von Ge-
mälden, Skulpturen und Werken des Kunstgewerbes Auf-
nahme. Hier muß vor allem der Gefahr der Überladung
entgegengetreten werden: nur Proben dürfen in dieser
Sammlung geboten werden, diese aber müssen allerersten
Ranges sein. Zunächst muß angestrebt werden, von den
großen Entdeckten der deutschen Jahrhundertausstellung,
den Rohden, Wasmann, Kaspar David Friedrich, Rausch,
Rayski wenigstens je ein Stück zu sichern. Die große

1) Hier finden auch diejenigen griechischen Marmore,
die der Bayerische Staat unter Leitung seiner heutigen
ausgezeichneten Archäologen erwerben kann, ihre Stätte.
 
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