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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

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Wolf, August: Vittorio Bressanins Fresken im Palazzo Pisani zu Venedig
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Kühl, Gustav: Die große Berliner Kunstausstellung 1906
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Waldmann, Emil: Simon de Vlieger und Rembrandt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0210

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Die große Berliner Kunstausstellung 1905 — Simon de Vlieger und Rembrandt

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der Zeichnung, eine wahrhaft klassische Schönheit erreicht.
In dem mittleren Rundbilde der flach gestreckten Decke
sehen wir den schwebenden Eros, den Ursprung alles
Seins, aller Kunst; in den beiden anderen Rundfeldern
Christentum und Heidentum: eine Engelschar an der Orgel,
vom flammenden Kreuze überstrahlt und auf der anderen
Seite Apollo, welcher seine Leier vor Juno und anderen
Göttern des Olymps ertönen läßt. Es erübrigt noch, der
vier Brustbilder über den Seitentüren zu gedenken: zu-
nächst Pergolese und ihm gegenüber Mozart, Rossini und
Wagner über den beiden anderen Türen. Blumengewinde
mit Masten und anderen Emblemen vervollständigen die
ganze Dekoration. Die freudigen, klaren und dabei so
diskreten Töne, in welchen dieser ganze Freskenschmuck
gehalten ist, die Zeichnung der stärksten Verkürzungen, die
mit eminenter Sicherheit gegeben sind, der vornehme edle
Oeist, welcher aus allem spricht, verdienen die größte Bewun-
derung, welche dem Autor auch reichlich und besonders
von Seiten der hiesigen Künstlerschaft zuteil wurde. Ich
wiederhole: Es ist für Venedig ein Ereignis, daß diese
große Arbeit in Angriff genommen und so glänzend zu
Ende geführt wurde. So besitzt denn Venedig endlich
einen Festsaal in größeren Dimensionen, der trotz reichster
Ausstattung jene Sammlung des Geistes gestattet, wie sie für
einen Konzertsaal unerläßlich ist. auoust wolf.

DIE GROSSE
BERLINER KUNST AUSSTELLUNO 1906

Die Große Berliner Kunstausstellung verdient ihren
Namen nach wie vor mit Recht, wenn man das Wort in
quantitativem Sinne nimmt. Wie alljährlich hat man den
Eindruck einer ganz abnormen Arbeitsleistung, einer Unmasse
von Fleiß und Können und Geschmack, und zugleich den,
daß dies alles mit Kunst gar nichts zu tun hat und daß
die Erscheinung irgend eines Straßendammarbeiters oder
Dachdeckers dem ästhetischen Bedürfnis mehr Befriedigung
gewährt, als diese Hunderte von bemalten Leinwand-
tafeln. Es muß anerkannt werden, daß das Durchschnitts-
niveau der Großen Ausstellung in diesem Jahre höher ist
als früher, daß viele Arbeiten recht respektabel sind und
der offenbare Schund auf verhältnismäßig wenige Bilder
zurückgedrängt ist; dennoch ist das Fazit so ziemlich
gleich Null: wer die Ausstellung gesehen hat, ist nicht
klüger als vorher.

Am bemerkenswertesten sind vielleicht drei Bilder, in
denen Eugen Bracht seine neue Phase zeigt: vielschlotige
Fabrikanlagen, deren Dampfmassen zum Himmel steigend
das Thema eigenartiger Formen- und Farbenentwickelung
geben. Der Zug des Künstlers zum Monumentalen ist
hier ebenso stark wie in seinen Landschaften; und ebenso
wie da eine gewisse Übertriebenheit in der Stimmung,
ein etwas zu großer Anspruch. Dann sind mehrere Land-
schaften zu nennen: ein winterlicher Teich mit Kahn von
Lejeune, eine weite Feldsicht von Max Richter, eine Häuser-
reihe, die sich im Fluß spiegelt, von Mehls, ein Küsten-
strich von fuauch, ein paar Gebirgsskizzen in Pastell von
Richard Pfeiffer und endlich ein groß entworfener, aber
etwas schwächlich ausgeführter Ciarenbach: Das tote Veere.
Fügen wir dazu ein altmodisch aufgefaßtes Porträt eines
jungen Mannes von Probst und ein neumodischeres in
ganzer Figur von Oesterheld, so ist das Wesentliche ziemlich
genannt. Eine kleine Reihe buchgewerblicher Arbeiten
von E. R. Weiß und Heinrich Köster-Worpswede, an sich
sehr bescheiden, wiegt einen Saal voll bemalter Tafeln
auf. Die Sonderausstellung von Plastiken Ernst Wencks
endlich zeigt einen tüchtigen Künstler, der nur sehr mit
Rodin zu ringen hat: man erkennt nicht klar, ob er gern

von seinem großen Vorbilde los möchte und nicht kann,
oder ob er's gern ebenso machen möchte wie Rodin und
das nicht kann.

Dazu nun die retrospektive Ausstellung. Der Vergleich
mit der Jahrhundertausstellung ist gefordert, und — es ist
kein Vergleich. Man findet keine Ergänzung zur Jahr-
hundertausstellung, nicht im schwächsten Sinn. Dort, was
für eine Reihe von überraschenden Sondergruppen; hier,

als einzige,--Ludwig Passini! Und entfernt man sich

schleunigst in die anderen Säle, so ist ja gewiß viel Be-
deutendes da, aber was helfen uns die Heroen, durchein-
andergeworfen mit Schwächlingen dritten Ranges; was ist
das für eine Anordnung, in der die Bilder weder zeitlich,
noch technisch, noch in Hinsicht auf Raumwirkung, Distanz
oder Farbe nebeneinander gehängt sind, nur eben wie's
traf, bald so bald so. Man sieht ja gern ein älteres be-
kanntes Bild einmal wieder, wie Feuerbachs Medea, Kalck-
reuths Bauernbegräbnis, Menzels Schützenscheibe, Böcklins
Cimbernschlacht; man konstatiert verwundert, daß Brendels
Schafställe noch immer eine wundervolle Wärme ver-
breiten, daß Gotthard Kühl einst wie ein zarterer Munkaczy
begann, man entzückt sich an einer winzigen Frühlings-
landschaft von Paul Mohn in ihrer Schwindhaft sonntäg-
lichen Heiterkeit, und an einer grandiosen, heroischen Dar-
stellung eines kleinen landschaftlichen Motives, eines
Gebüsches am Schattenabhang von Arnold Böcklin, aber
alles mit einer gewissen Beschämung: diese Werke frieren
und stummen wie nackt zwischen der süßlich verkostümierten
Masse des Halbwahren, das auch hier viel zu viel Platz
einnimmt. o. KähL

SIMON DE VLIEGER UND REMBRANDT
Simon de Vlieger hat eine nicht ganz getreue Kopie
nach einem um 1633 entstandenen und nun im Mrs. Gard-
ner-Museum in Boston befindlichen Bilde von Rembrandt
gemalt, den »Sturm auf dem Meere«. Diese Kopie ist
wenig bekannt. Sie befindet sich in der Gemäldesamm-
lung in Göttingen und verdient einige Aufmerksamkeit,
da das Original nur wenigen Forschern und Liebhabern
zugänglich ist. Das Göttinger Bild ist auf Eichenholz ge-
malt, ist 840 mm hoch und 1 m breit und mit dem Namen
S. de Vlieger bezeichnet. Von der beigeschriebenen
Jahreszahl ist leider nur die 16 zu entziffern. Es stammt
aus der Sammlung des Geheimrates Johann Wilhelm
Zschorn in Celle, die den Grundstock der Göttinger
Galerie bildet1).

Das Rembrandtsche Bild ist in den ersten Jahren
seines Amsterdamer Aufenthalts gemalt, in jener kühlen
Farbenpracht, die er in jener Zeit liebte. Simon de Vlieger
hat diesen Farbencharakter bewahrt. Der Himmel ist
grauschwarz, das Wasser graugelb. Die Menschen, die
sich im Schiff befinden, sind in kalte Farben gekleidet,
Giftgrün, Braungelb, ein sehr kühles Rotviolett. In der
linken oberen Ecke des Bildes schimmert ein Stück hell-
blauer Himmel mit einem funkelnden Stern durch die
dunklen Wolkenmassen. Das Schiff liegt sehr schräg und
kämpft heftig gegen den Sturm an. Der Mast bildet die
genaue Diagonallinie; am Bug spritzt eine große weiße
Welle schäumend hoch auf. — Simon de Vlieger hat
Rembrandt nicht ganz verstanden. Abgesehen davon,
daß er kein religiöses Bild malt, sondern ein reines Genre-
bild (die Hauptfigur, Christus, der bei Rembrandt hinten
im Schiff sitzt, hat er einfach fortgelassen), hat er die

1) Nr. 106 des »Provisorischen Führers durch die Ge-
mäldesammlung der Universität Göttingen, 1905« und
Nr. 9 des Katalogs von Domenico Fiorillo, 1805.
 
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