Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 17.1906

DOI Artikel:
Petersburger Brief
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5902#0235

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
453

Petersburger Brief

454

Eine freudige Überraschung bereiteten die Sticke-
reien aus der Werkstätte zur Förderung des Haus-
fleißes, die die Gräfin S. W. Olsüffjew im Dorfe
Kräsnoje (oder Büizy) im Gouvernement Tula unter-
hält. Diese Bauernarbeiten konnten die besten Hoff-
nungen für eine gedeihliche Fortentwickelung er-
wecken. Überhaupt kann man nicht leugnen, daß
nach manchen Erfahrungen, die man in den letzten
Jahren gemacht hat, die russische bäuerliche Haus-
industrie, von deren Umfang ma^ sich im Reiche
selbst, geschweige denn im Auslande, richtige Vor-
stellungen macht, sich zu einer vortrefflichen Quelle
für den inneren kunstgewerblichen Markt entwickeln
kann, sofern sich Leiter und Mäcene finden, die,
wie eben die Gräfin Olsüfjew, die Sache am Rich-
tigen anfassen und sofern die Künstler es sich an-
gelegen sein lassen, der Hausindustrie Muster zu
liefern, die den Konnex mit den uralten, zwar sehr
primitiven aber sehr entwickelungsfähigen, in der
Volkstradition lebendigen Elementen bewahren.

Der »Mir Iskusstwa«, unsere Modernen, ist ja
auch bei Ihnen genugsam bekannt, als daß er hier
einführender Worte bedürfte. Leider war der Saal
des Hauses der schwedischen Kirche nicht sehr zu
Ausstellungszwecken geeignet. Vor allen Dingen
mangelte es an Raum, um für die meisten Bilder
den genügenden Abstand zu gewinnen. Gelegentlich
hätte aber der Raum auch wenig geholfen, trotz aller
Mühe war es z. B. nicht zu eruieren, auf welchen
Abstand vom Beschauer die meist dunkel-mystischen
Namen tragenden Bilder von N. Milioty berechnet
waren. Unter den ungünstigen Raum Verhältnissen
hatte auch das Hauptstück der Ausstellung, Maliawins
»Wirbelsturm«, zu leiden.

Mit diesem Stücke hat unser »Maler der roten
Weiber«, wie ich glaube, das Resultat seiner bis-
herigen Richtung gezogen. Der dekorative Zug in
Maliawins Schaffen konnte nie verkannt werden,
dennoch überraschten diese im Tanze wild durch-
einander gewirbelten Bauernmädchen durch den aus-
gesprochen dekorativen Charakter. Zu voller Wir-
kung könnte dies Gemälde in einem großen lichten
Saale als integrierendes Stück einer Wanddekoration
kommen; auf der Ausstellung erhob es unter den
anderen Bildern und bei einer ungünstigen Auf-
hängung (immerhin der unter gegebenen Umständen
bestmöglichen) Ansprüche auf eine isolierte Bild-
wirkung, die ihm seiner inneren Natur nach versagt
sein muß. Nächst Maliawin machte Seröw Eindruck.
Ungeheuer flott war das große Kohleporträt des
Sängers Schaliäpin, nicht minder wirkungsvoll das
Ölbildnis der Schauspielerin Fedötow; als interessante
Studie war ferner die »Pferdeschwemme« zu ver-
zeichnen. Ein anderes Porträt Schaliapins hatte
K. Kpröwin ausgestellt, das mit Serows Arbeit nicht
im entferntesten konkurrieren konnte; verschiedene
Skizzen von Korowin ließen eine Zügelung des
Temperamentes sehr vermissen. In bezug auf M.
Wrubel muß ich mich als absoluter Ketzer bekennen;
ich habe nie an die Größe dieses vom Mir Iskusstwa
auf den Schild erhobenen Künstlers glauben können

und kann auch hier nicht umhin zu gestehen, daß
seine Bilder auf der Ausstellung ungenießbar und
unverständlich waren, was ebenso von den Bildern
Paul Kusnezbws gesagt werden muß. Konstantin
Somow war nicht so gut vertreten, als man ge-
wünscht hätte; die verschiedenen Aquarelle besagten
nicht viel, die an sich ganz hübschen Titelentwürfe
zu Diagilews Lewizki und Benois' Russischer Malerei
des 18. Jahrhunderts waren auch keine rechte Ver-
tretung des bedeutenden Talentes, das Somow auch
seine eifrigsten Gegner nicht abstreiten können. Die
Porzellangruppe »Die Verliebten« war ein verun-
glücktes Experiment. Es sei hier überhaupt der
Hoffnung Ausdruck gegeben, das K. A. Somow das
Experimentieren aufgibt, wozu sein Hinneigen zu
Rokoko- und Biedermeiertum gehört, und wieder
die Bahnen betritt, welche er mit seiner »Dame in
Blau« der Tretjakowgalerie und den Porträts seiner
Eltern so erfolgreich gewandelt ist. Die Vorliebe
fürs Rokoko, auch in etwas gesuchter Weise, teilt
mit Somow E. Lanceray; schadet auch ihm eine
Übertreibung ins allzu Preziöse, so muß man dasselbe
erst recht bei /. Bilibin bedauern, der als treff-
licher Buchkünstler und stilvoller Illustrator russischer
Volksmärchen seinen Ruf fest begründet hat. In
den ausgestellten acht Illustrationen zu Puschkins
»Märchen vom Zaren Saltan« tauchen jedoch Ele-
mente auf, die seinem Stile fremd sind und gewisse
störende Reminiszenzen an Japonismus wachrufen.
Die Künstler des Mir Iskusstwa sind in den letzten
Jahren verschiedentlich zu Entwürfen für Bühnen-
dekorationen herangezogen worden. Neben manchen
Fehlschlägen haben sie bedeutende Erfolge zu ver-
zeichnen gehabt, unter anderen in AI. Benois Deko-
rationen zur Götterdämmerung. Zu den, wenigstens
in der Skizze, sehr gelungenen Arbeiten dieser Art
gehören auch A. Qolowins drei Entwürfe zum Rhein-
gold, besonders die eine mit dem Regenbogen;
leider soll, wie erzählt wird, die Dekoration selbst
wenig befriedigend ausgefallen sein, aus eigener An-
schauung kann ich nicht darüber berichten. Der
Hauptvorzug dieser Entwürfe ist ein konsequentes
Streben nach Vereinheitlichung der Stimmung durch
Vereinfachung der koloristischen Komposition. Gründ-
lich geht den koloristischen Problemen B. Anisfeld
nach, der eine stattliche Anzahl von Gemälden und
Skizzen ausgestellt hatte. Werden die Probleme
in dieser Weise, vielleicht nur nicht ganz so ein-
seitig koloristisch, behandelt, so wird der Weg zur
stilistierten Landschaft im oben erörterten Sinne ge-
ebnet. Am weitesten fortgeschritten ist darin ent-
schieden Alexandre Benois, das sah man an seinen
beiden Bildern aus der Bretagne und den vortreff-
lichen acht Ansichten aus Versailles. Weniger in
den Illustrationen zur »Pique Dame«, als den dreien
zu Puschkins »Ehernem Reiter« war zu erkennen,
welche Hoffnungen diese Richtung erwecken darf.
Ganz besonders das gespenstige Bild, wo Falconnets
Peter, eben der eherne Reiter, in der fahlen Dämme-
rung längs dem überfluteten Newakai dahersprengt,
muß neben Maliawins Wirbel, als die hervorragendste
 
Annotationen