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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang

1907/1908

Nr. 10. 27. Dezember.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgeweibeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

LITERATURNUMMER

Strzygowski, J., Die bildende Kunst der Gegenwart. Ein
Büchlein für jedermann. (XVI, 279 S. m. 68 Abbildungen)
8°. Quelle & Meyer, Leipzig 1907; geh. M. 4.—, geb.
M. 4.80.

Im Vorworte dieses der Lehrerschaft gewidmeten
Buches spricht der durch seine bahnbrechenden Arbeiten
auf dem Gebiete der orientalischen Kunst bekannte Ver-
fasser den Wunsch aus, die engeren Fachgenossen mögen
beachten, daß im Verlaufe der populär gehaltenen Dar-
stellung einige wissenschaftliche Fragen von prinzipieller
Bedeutung aufgeworfen wurden. Dieser Satz gab den An-
laß, abweichend von den bisherigen Besprechungen, das
Schwergewicht weniger auf das tatsächlich gebotene Material
aus dem Gebiete der modernen Kunst — diese war
Strzygowski nur der äußere Mantel — als vielmehr auf
die systematische Herausarbeitung der qualitativen Probleme
der bildenden Kunst zu verlegen. Unsere erste Feststellung
geht darauf hinaus, daß dieses System der Kunstwissen-
schaft mit Ästhetik im gewöhnlichen Sinne des Wortes
nichts zu tun hat; diese bemüht sich fast ausschließlich,
das Verhältnis des Beschauers, seltener das des Künstlers,
zum Kunstwerke zu erklären und gesetzmäßig zu fassen,
Strzygowski jedoch arbeitet mit dem Kunstwerke an sich
und seinen Qualitäten. Mit solchen Fragen befaßt sich
schon sein Aufsatz »Die Zukunft der Kunstwissenschaft«
(Beilage zur Münchener »Allgemeinen Zeitung« Nr. 55 vom
9. März 1903), der ein System der Kunstkritik erörtert,
wie der Verfasser es für seine kunsthistorischen Übungen
zurecht legen mußte; noch entschiedener verlangt er ein
wohlbegründetes System in der Arbeit »Bildende Kunst
und Orientalistik« (»Memnon« 1907, 1. Heft). Die Zu-
sammenfassung der zum Kunstverständnisse notwendigen
Grundbegriffe findet sich auf Seite 181 f. des Buches; wir
wiederholen sie hier in den Hauptzügen. In dem Ab-
schnitte über die Handzeichnung (Seite 132 f.) kommt
Strzygowski zu dem Resultate, daß sich als Anlaß des
Künstlerischen Phantasiearbeit und Naturbeobachtung er-
geben; erstere hänge an dem, was die Dinge dem Künstler
bedeuten, letztere an dem, wie sie seinem Auge in Wirk-
lichkeit erscheinen. Diese zwei Grundbegriffe der Be-
deutung und Erscheinung sind die eigentlichen Träger des
Systems. Die von außen in der künstlerischen Phantasie
angeregte Vorstellung wird Gegenstand genannt (Goethe
hat dafür die Bezeichnung »Stoff«); aus der Welt seiner
Bedeutung in die der Erscheinung übertragen, fordert der
Gegenstand eine Gestalt als seinen Träger. Dadurch je-
doch, daß ein Gegenstand in irgend einer Gestalt darge-
stellt, durch den Schein die Illusion der Wirklichkeit er-
weckt wird, ist noch keine künstlerische Tat vollbracht;

das ist Fertigkeit in der Darstellung des objektiven Vor-
wurfs. Das eigentlich Künstlerische, das Subjektive spielt
sich wieder auf den zwei Bahnen der Bedeutung und der
Erscheinung ab, »im Rahmen der Bedeutung muß dem
Gegenstande ein ganz bestimmter, rein menschlicher Aus-
druck, der dem Künstler, seiner Persönlichkeit eigene In-
halt (bei Goethe »Gehalt«) gegeben werden, im Rahmen
der Erscheinung der Gestalt (dem Naturvorbilde) die
Steigerung auf eine ganz bestimmte Wirkung hin folgen,
die Erhebung zur »Form«. Man gewinnt dadurch vier
Kategorien, Gegenstand und Inhalt als solche der Bedeutung,
Gestalt und Form als solche der Erscheinung. Vom Gegen-
stande handelt das erste Kapitel über die Malerei; die
Probleme der Form gelangen an einem Beispiele zur Be-
sprechung. Strzygowski unterscheidet die Schmuckform,
die rein dekorativ mit Linien und Farben in der Fläche
wirkt, von der Raumform; unter dieser versteht er die Art,
wie die Gestalt (die der Natur entnommene Figur) in
Raum, Masse, Liebt und Farbe auf der Bildfläche wirkt:
zunächst die Probleme des Raumes, mit denen sich Hilde-
brands »Problem der Form« auseinandersetzt, dann die
Komposition der Masse (die Gesamtheit aller Gestalten in
ihrem Volumen auf der Bildfläche gesehen), ferner die
Verteilung von Licht und Schatten entweder um ihrer selbst
willen oder zur Erzielung größerer Raumtiefe und schließ-
lich die Farbe, soweit sie im Dienste der Raumwirkung
steht. Die Gesetze von Symmetrie, Proportion und
Rhythmus, mit denen sich Th. Volbehrs Schriften befassen,
bezeichnet Strzygowski im Zusammenhange mit der Frage
des Stilisierens der Naturelemente als Ȋsthetische Haupt-
qualitäten der Gestalt, nicht an sich Kunst, sondern viel-
mehr eine Voraussetzung der eigentlichen künstlerischen
Probleme, im Laufe des irdischen Werdens als Ausfluß
physischer Kräfte, Schwerkraft und dergleichen entwickelte
»Prinzipien des Wachstums«. Der eigentliche Lebenskern
der Kunst ist ihr Inhalt; ihm ist der letzte Teil des Buches,
hauptsächlich die Abschnitte über Boecklin gewidmet. Im
Inhalte äußert sich, sei es mittelbar als Auffassung, sei es
unmittelbar als Ausdruck vor allem die Individualität des
Künstlers, »ob er die Tat oder den Zustand, das Zufällige
oder den Typus sieht, ob sich ihm alles in die tiefgründige
Sprache des Symbols umsetzt«, hierher gehören die Fragen
der Rasse und Nation, der Einfluß von Klima und Boden
und dergleichen. Im Inhalte findet das Gemüt des Be-
schauers Erhebung, er ist die Seele der Kunst und das
Band, das die Gattungen aller Künste (Musik, Poesie) in
ihrem innersten Wesen untereinander verbindet. — Dieses
kurz angedeutete System liegt dem ganzen Buche zugrunde;
von Anfang an wird es angewendet und tritt zum ersten-
 
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