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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Werdandi
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0116

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 13. 24. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewei beblalt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petilzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

WERDANDI

Die deutsche Kunst gilt wieder einmal als krank.
Ein ärztliches Konsilium trat zusammen, mit feierlichen
Gesten und mit Beschwörungsformeln aus den Hand-
büchern der Mythologie. Wenn heute am Körper
der deutschen Kultur ein Schaden zutage tritt, dem
Heilung gebracht werden soll oder wenn, was im
Geheimen ringt und nach Befreiung lechzt, auf Wider-
hall in der Öffentlichkeit rechnen will, so gründet
man einen »Bund«. So haben wir einen Monisten-,
einen Kepler- und einen Dürerbund; zu diesen und
ähnlichen Vereinigungen tritt jetzt der von Professor
Friedrich Seesselberg, dem Verfasser des Buches »Volk
und Kunst«, begründete Werdandi-Bund. Über ganz
Deutschland wünscht er sich auszubreiten und will
— ich zitiere eine Stelle des Aufrufs — »versuchen
und helfen, die Seelenkraft des deutschen Volkes
durch die Mittel der Kunst zu erhalten und zu stärken,
d. h. er will den Künstlern, deren Kunst auf gesunder
deutscher Gemütsgrundlage beruht, größeren und un-
mittelbareren Einfluß auf die Kultur verschaffen.«
Das ist ein schönes und rühmliches Ziel und wohl
wert, daß Männer wie Hans Thoma und Fritz von
Uhde, Wilhelm Raabe und Ernst von Wildenbruch,
Harnack und Thode ihren Namen dazu hergeben.
Es fragt sich nur, was unter »gesunder deutscher
Gemütsgrundlage« verstanden werden soll. Ich fürchte,
und die erste, Anfang Januar im Künstlerhause eröffnete
Ausstellung scheint es zu bestätigen, daß trotz aus-
drücklicher entgegengesetzter Versicherungen Werdandi,
die Norne der Gegenwart, sich zu jener leidigen
Deutschtümelei bekennt, die nur zu gerne an die
Stelle ehrlichen Könnens die Propagierung von der
bildenden Kunst eigentlich fremden Gedanken aus
dem Gebiete der Schwesterkünste setzen will. Die
starke Beteiligung der Bayreuther Kreise, die auch
bei der Eröffnungsfeier zutage trat, ist nicht geeignet,
diesen Verdacht zu zerstreuen.

Man sollte glauben, gerade die berufsmäßige Be-
schäftigung mit Kunstgeschichte müsse zu einer Un-
befangenheit erziehen, die nicht in der Zugehörigkeit
zu gewissen Künstlergruppen das Ausschlaggebende
für die Beurteilung eines Meisters erblickt. Wer
möchte mit einem Menschen verkehren, der im Ver-
laufe eines Gespräches über literarische Dinge die
Alternative Fontane oder Konrad Ferdinand Meyer

stellte? Daß aber hochgebildete Männer sich darin
gefallen, Böcklin gegen Liebermann und Liebermann
gegen Böcklin auszuspielen, ist heute das Üblichste
und beinahe schon sanktioniert. Das sollte nicht sein
und die »Kunstchronik« als eine kunsthistorische Zeit-
schrift hat die Pflicht, solchen Einseitigkeiten, in
welchem Lager sie sich auch zeigen, entgegenzutreten.
Es braucht nicht mit den Waffen des Spottes zu ge-
schehen, obschon Seesselbergs Geleitwort zum Aus-
stellungskatalog in seiner dialektischen Ungeschick-
lichkeit dazu verführen könnte. Diese Einführung
scheint insbesondere gegen die Berliner Sezession
und die Berliner Kunstkritik gerichtet zu sein; kein
Wunder, wenn aus deren Lager bereits die wenig
höfliche Antwort erschallte.

Etwas eigenartig muß es berühren, daß in der
Kommission der Ausstellung gerade zwei Künstler
sitzen, die ihren Ruf in erster Linie eben der wegen
ihrer undeutschen Richtung geschmähten Sezession
verdanken, Martin Brandenburg und Hans Baluschek.
Von beiden sind Werke ausgestellt, die ihrer bekannten
Art wenig hinzufügen. Was aber wäre geschehen,
wenn Baluschek es unternommen hätte, seinen großen
hogarthisierenden Zyklus von der letzten Schwarz-
Weiß-Ausstellung bei Cassirer einzusenden? Würde
der »edle Zartsinn«, der nach Seesselberg die echt-
deutsche Kunst auszeichnet, auch hier entdeckt und
gewürdigt worden sein? Solche Zwiespältigkeiten
lassen die Ziele des Bundes noch unklar erscheinen
und ebenso verstimmend wirkt es, daß neben Hans
Thoma, der mit acht ausgezeichneten, meist schon
bekannten Gemälden, fast allen aus seiner Frankfurter
Zeit, darunter der berühmten Flucht nach Ägypten
(1879), vertreten ist, der billige Pseudo-Kolorismus
eines Hermann Hendrich sich breitmachen darf.

Sonst jedoch ist dieser Ausstellung nachzurühmen,
daß sie geschmackvolle Inszenierung und, abgesehen
von jener und einigen anderen Entgleisungen, ge-
schickte Auswahl erkennen läßt. Man wird sich immer
freuen, einem guten Ludwig von Hofmann zu be-
gegnen und es tut nichts zur Sache, wo dieses Zu-
sammentreffen stattfindet. Von den Worpswedern
haben Mackensen, Hans am Ende und Overbeck
tüchtige Werke ausgestellt, während ich mich von
dem malerischen Berufe Heinrich Vogelers immer
noch nicht überzeugen kann. Ludwig von Zumbusch
 
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