Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0204

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 23. 24. April.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

PARISER BRIEF

Für den Mai wird eine Ausstellung geplant, die
in gewissem Sinne interessanter werden kann als die
retrospektiven Jahrhundertausstellungen auf den letzten
Weltausstellungen. Man beabsichtigt nämlich, einen
retrospektiven Salon des Refuses zu veranstalten. Was
der Salon des Refuses einst war, haben wir heute
schon vergessen, da schon mehr als zwanzig Jahre
seit dem letzten verflossen sind. Heute hätte ein
solcher Salon der Zurückgewiesenen keine Daseins-
berechtigung mehr, weil sich in Paris niemand der
Zurückweisung auszusetzen braucht. Der Künstler,
dessen Kunstanschauungen im offiziellen Salon keine
Gnade finden, und von dem man auch in der Societe
nationale nichts wissen will, der kann immer noch
im Herbstsalon unterkommen, wo man die gewagtesten
Neuerungen mit Handkuß annimmt, und wenn alle
Stränge reißen, so bleiben ihm die »Unabhängigen«,
wo es keine Aufnahmejury gibt, und wo jeder aus-
stellen kann, der den Mitgliederbeitrag zahlt.

Ehe aber die Societe nationale und die »Unab-
hängigen« gegründet wurden, gab es in Paris nur
eine einzige große Kunstausstellung im Jahre, und
wer da zurückgewiesen wurde, der konnte überhaupt
nicht ausstellen. Damit waren nun die Verworfenen
selbstverständlich nicht zufrieden, und so veranstalteten
sie alljährlich einen Salon des Refuses, worin die
Revolutionäre, die sich dem Spruche der Salonjury
nicht unterwerfen wollten, ausstellten und von der
Jury an das Publikum appellierten. Wenn man nun
die Geschichte der modernen französischen Kunst
durchgeht, findet man mit Erstaunen, daß gerade die
allerglänzendsten Namen des neunzehnten Jahrhunderts
nicht im offiziellen Salon, sondern bei den Zurück-
gewiesenen ausgestellt haben, weil man im großen
Salon nichts von ihnen wissen wollte. Bei einigem
Nachdenken schwindet allerdings das Erstaunen, und
man findet es im Grunde natürlich, daß in aka-
demischen Kreisen immer die Tradition hochgehalten
und beschützt, die Neuerung aber verurteilt wird,
also daß eine jede Revolution der Kunst außerhalb
der akademischen Kreise gemacht werden mußte, —
gerade wie auch im Staate die Revolution nicht von
den regierenden Ministern, sondern von ihren nicht
im Amte stehenden Gegnern gemacht wird.

Immerhin könnte man vielleicht aus der geplanten

Veranstaltung die Lehre ziehen, daß am Ende eine
Kunstakademie gar nicht zu den*die Kunst fördernden
Einrichtungen gehört, .und daßj man vielleicht ohne
Akademien besser auskäme als mit ihnen. Denn es
ist doch etwas verblüffend, wenn man erfährt, daß
wir bei den Zurückgewiesenen fast alle Künstler
finden, die man in der Geschichte der französischen
Kunst des neunzehnten Jahrhunderts nennen muß.
Da sind zuerst die Romantiker, die gegen den starren
Klassizismus der Schule Davids Sturm liefen: Geri-
cault, Delacroix und Decamps wurden nicht im offi-
ziellen Salon zugelassen. Man erinnert sich der
Landschafter aus dem Walde von Fontainebleau:
Corot, Rousseau und Jules Dupre gehörten zu den
Zurückgewiesenen so gut wie der Bauernmaler Millet,
so gut wie der gewaltige Karikaturenzeichner Daumier.
Die nächste große Strömung, zu der uns Millet
hinüberleitet, war der Realismus: ihr Ghef Courbet
wurde nicht der Ehre der offiziellen Ausstellung ge-
würdigt. Nun erscheinen die Impressionisten: Manet,
Berthe Morisot, Eva Gonzalez, Renoir, Sisley, Pissarro,
Claude Monet, Degas, alle wurden sie zurückgewiesen,
alle stellten sie im Salon des Refuses aus. Man
denkt an andere große Namen, an Puvis de Cha-
vannes, an Eugen Carriere, an Fantin-Latour, an
Gustav Moreau, an Cezanne, an Besnard, Roll, Raffa-
elli, alle, alle gehören zu den Leuten, von denen die
Hüter des akademischen Serails nichts wissen wollten.
Ebenso steht es in der Skulptur, auch hier ließ man
die größten Meister vor der Türe des offiziellen
Salons. Die genannten Namen zeigen, wie interessant
diese retrospektive Ausstellung sein wird. Sie wird
gleichsam eine vorzügliche Blütenlese der modernen
französischen Kunst werden, und es liegt nicht wenig
Komik in dem Gedanken, daß diese Auslese von
den Akademikern besorgt worden ist, und daß gerade
das, was sie als schlecht und untauglich verdammten,
uns jetzt als einzig schön und vorbildlich erscheint.

Die Ausstellung von älteren und neueren Arbeiten
des impressionistischen Landschafters Alfred Sisley bei
Durand-Ruel lehrt uns im Grunde nichts Neues, denn
wir wissen jetzt schon lange, wie enge die im-
pressionistische Landschaft in ihren Anfängen mit den
Landschaftern von Barbizon und Ville d'Avray zu-
sammenhängt. Indessen nimmt die impressionistische
Schule einen so breiten Raum in der Kunst der
 
Annotationen