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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Florentiner Neuigkeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0236

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XIX. Jahrgang 1907/1908 Nr. 27. 29. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der «Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, J.eipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

FLORENTINER NEUIGKEITEN

Seit einer Reihe von Jahren besaß die Stadt Florenz
eine Kommission, deren Zweck die Überwachung und
Pflege der städtischen Monumente war. Von deren
Tätigkeit drang aber nichts oder selten etwas an die
Öffentlichkeit. Wo sie hätte eingreifen müssen (als die
elektrischen Bahnen das Stadtbild unheilbar schädigten),
versagte sie. Seitdem ein demokratisches Regiment
mit dem Advokaten Sangiorgi an der Spitze in den
alten Stadtpalast eingezogen war, wurde es anders.
Die Kommission begann lebhaft zu arbeiten, Sitzungen
zu veranstalten, Beschlüsse zu fassen. Von diesen mag
hier mit einigen Worten die Rede sein, da von den
weitschauenden Plänen schon in der Tagespresse ge-
sprochen worden ist.

Das großartigste Projekt ist die Schaffung eines
Zentralmuseums von Florenz, dessen Sitz selbstver-
ständlich die Uffizien sein sollen. Man rechnet dabei
mit der Verlegung der Nationalbibliothek in das Ge-
bäude bei Santa Croce, die, wenn auch in der Zukunft,
stattfinden wird. Man veranschlagt ferner, daß einmal
auch das Staatsarchiv, in den Palazzo della Crocetta
verlegt, eine imponierende Zahl von Räumen zur
Verfügung stellen kann. Dann sollen die Häuser, die
die Uffizien von allen Seiten umgeben, niedergerissen
werden, damit die Säle des Erdgeschosses gutes Licht
bekommen; an ihre Stelle treten Gartenanlagen, die
sich vom Arno bis zur Piazza della Signoria erstrecken,
und die zugleich die Architekturreste etrurischer Her-
kunft aus dem archäologischen Museum aufnehmen.
Die antiken Sammlungen werden in die unteren Stock-
werke überführt, die Bilder der alten Meister aus der
Akademie mit dem Besitz der Uffizien vereinigt: und
so soll eine grandiose Zentralsammlung geschaffen
werden, zu der der Eingang durch die Loggia dei
Lanzi hergestellt wird.

Zugleich erhebt sich in den Cascinen ein Neubau,
in dem die städtische Galerie der modernen Kunst
ihr Heim findet.

Das zweite Projekt betrifft Or San Michele. Man
kennt allgemein, wenigstens in den Hauptzügen, die
Baugeschichte dieses originellsten Florentiner Monu-
ments: wie in einem gegebenen Augenblick die offene
Halle geschlossen und in eine Kirche umgewandelt
wurde. Seither ist dem Marmortabernakel, das Andrea
Orcagna für ein hochverehrtes Madonnenbild schuf,

das Licht entzogen. Selbst an hellen Sonnentagen
muß der Küster mit einem Lichtstumpf die zierlichen
Reliefs kümmerlich erleuchten. Wie schön wäre es,
wenn der ursprüngliche Zustand hergestellt, die zwischen
die Pfeiler eingeschobenen Wände fortgenommen
würden, und das volle Sonnenlicht wieder den Marmor-
schrein überfluten könnte.

Endlich zu dritt die Öffnung der Loggia Ruccellai,
gegenüber dem gleichnamigen Palast gelegen, und
vielleicht ein Werk von der Hand Leon Battista
Albertis. Man hat, um den Bau nicht zwecklos zu
lassen, Läden eingebaut: früher war es ein Postamt,
gegenwärtig ist es ein Bilderladen, der die edlen
Formen verunziert.

Von diesen Projekten scheint mir nur das letzte,
wie unschwer ausführbar, so unbedingt zu billigen.
Denn die ursprüngliche Form der Loggia Ruccellai ist
in dem Moment wieder gewonnen, in dem man die
Einbauten entfernt. Man hat nichts hinzuzutun; was
man fortnimmt, ist verunstaltende Zutat einer ganz
jungen Vergangenheit. Es handelt sich im letzten
hier nur um den Entschluß und die Kostenfrage.

Weit komplizierter schon ist die Angelegenheit
der Öffnung von Or San Michele. Denn man muß
berücksichtigen, daß die Schließung schon in der
zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts stattge-
funden hat, daß wir ihr die wundervollen gotischen
Fenster verdanken, deren Maßwerk in Florenz wenig-
stens seinesgleichen nicht hat. Soll man den Mut
haben, dieses zu entfernen und etwa einem Museum
einzuverleiben? Soll man das Tabernakel Orcagnas
sozusagen auf die offene Straße stellen, in der jetzt
Minute auf Minute elektrische Bahnen vorbeidröhnen?
Oder aber die Fenster erhalten, wie es gesagt worden
ist, und mit Verglasung schließen? Dann kommt ein
Monstrum heraus, ein Mittelding zwischen einem
Aquarium und Wertheim.

Ich meine, wenn eine, sagen wir selbst, Anormalität,
wie sie dieser ursprünglich anderen Zwecken be-
stimmte, dann zur Kirche umgestaltete Raum darstellt,
auf eine Geschichte von mehr als fünf Jahrhunderten
zurückblicken kann, so ist das an sich genügend
Grund, uns Respekt abzunötigen. Dieser lange Zeit-
raum hat Pfeilern und Zwischenmauern die eine,
gleiche Patina gegeben, sie zu einer fest verbundenen
Einheit gemacht. Man sollte nicht versuchen, diese
 
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