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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Schmidt, Karl Eugen: Der Salon der Pariser Société Nationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0246

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Der Salon der Pariser Societe Nationale

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abhold ist, wird wohl am besten wissen, wie man
auf die Idee gekommen ist, diese Medaille aus dem
Salon zu entfernen. Renouards Bild sollte dann ent-
fernt werden, um den Nationalisten zu zeigen, daß
man nicht parteiisch sei: wies man einen Nationalisten
zurück, so mußte zugleich auch ein Dreyfusard vor
die Türe gesetzt werden. Renouard ließ sich aber
nicht auf die Sache ein, sondern behauptete den Platz,
und nun wird sein Bild zwar sehr von Besuchern
umlagert, aber es ist noch zu keinem Zank, noch
viel weniger zu Streit und Kampf und gar nicht zu
irgend einer Verstümmelung des Bildes gekommen.
Vor einigen zwei oder drei Jahren machte sich aller-
dings ein reklamesüchtiger Jüngling den Spaß, ein
Porträt des Generals Andre mit dem Spazierstock zu
bearbeiten, aber solche Narren treiben ihr Handwerk
doch nicht alle Tage.

Der Clou in der Malerei ist neben dem Prozeß-
bilde Renouards ein großes dekoratives Wandgemälde
von Jean Veber, der seine Kaiser-Wilhelm-Sensation
gar nicht nötig gehabt hätte, um zum Helden der
Malerei des Tages zu werden. Als Malerei ist das
Bild recht mittelmäßig, sowohl im malerischen En-
semble, das eigentlich nicht existiert, als auch in der
Ausführung der Einzelheiten, aber diese Einzelheiten
sind so lustig, wie irgend eine Nummer des Rire,
und mehr kann man nicht verlangen. Das Bild ist
für das Büfett des Pariser Rathauses bestimmt, und
Veber hat nach vielfachem altniederländischem Bei-
spiele ein Volksfest dargestellt, wie man es an den
Sommersonntagen allüberall in der Umgegend von
Paris beobachten kann. Die Sache zerfällt in drei
Dutzend sehr amüsante Einzelkarikaturen, die dem
Beschauer viel zu lachen geben, und da man nach
dem Lachen bekanntlich entwaffnet ist, geht man
weiter und hält sich nicht auf über den Mangel an
künstlerischen Vorzügen.

Auch die Skulptur hat ihren Clou, aber er wirkt
nicht mehr ganz so wie früher. Als Rodin zum
erstenmale mit einem plastischen Bilderrätsel auftrat,
gab es eine kolossale Sensation und jedermann wollte
den merkwürdigen Balzac sehen. Das ist jetzt gerade
zehn Jahre her und ich erinnere mich sehr gut, wie
das Volk von Paris nach dem Marsfelde strömte, wo
damals beide Salons nebeneinander in der großen
Maschinenhalle untergebracht waren. Der Balzac war
ohne Unterlaß von dichten Mengen umlagert, alle
Blätter brachten Spalten und Spalten, drei Dutzend
Broschüren wurden veröffentlicht, in den Cafes wie
in den Ateliers sprach man von sonst nichts als von
Rodin und seinem Balzac. Seither brachte Rod in
jedes Jahr eine oder mehrere Skulpturen, die ebenso
rätselhaft aussehen, wie der Balzac, aber das Publikum
ist jetzt abgebrüht. Rodins Skulpturen, in diesem
Jahre drei, sind zwar immer noch der Clou bei der
Plastik, aber es regt sich niemand mehr darüber auf,
kein Mensch zerbricht sich den Kopf, um das Rätsel
zu lösen, und es gibt Augenblicke, wo kein Mensch
davor steht. So werden uns auch die interessantesten
Dinge gleichgültig, wenn wir uns an sie gewöhnt
haben. Toujours perdrix.

Außer Jean Veber haben einige andere Maler be-
merkenswerte dekorative Gemälde ausgestellt. Caro-
Delvaille hat für ein Hotel ein Wandgemälde ge-
schaffen, das er »der weiße Pfau« nennt. Den weißen
Pfau sucht und findet man denn auch schließlich, im
ersten Augenblick aber bleibt er verborgen. Es ist
die Terrasse eines Hauses im Stile und in der Farbe
— weiß und rosa — des Trianons, darauf ein blaß-
gelb gedeckter langer Tisch, dahinter, daneben und
davor Damen, Herren und Kinder, sowie der weiße
Pfau, alles in kühler, angenehmer Harmonie von rosa,
weiß, herabgestimmtem gelb und etwas blassem grün.
Alles in allem eine vornehme und stilvolle Dekoration,
wenn auch keine große dekorative Tat. Caro-Del-
vaille hat außerdem einen schönen weiblichen Akt
ausgestellt.

Ganz ausgezeichnet wirken die dekorativen Pan-
neaux von Maurice Denis. Was bei ihm vorgeht, ist
ja gleichgültig, und man fragt sich nicht lange, was
denn diese hieratisch erstarrten Frauen in ihren langen
Gewändern, diese halb oder ganz nackten Kinder
eigentlich vorhaben und ausführen. Die Hauptsache
ist die farbige Harmonie und die von ihr verursachte
schöne, feierliche, frohe und stille Wirkung. Wahr-
scheinlich ist Maurice Denis der bedeutendste deko-
rative Maler, den Frankreich augenblicklich besitzt —
doch nein, das kann man nicht sagen, denn in ganz
anderer Weise hat zum Beispiel Jules Cheret, hat
Henri Martin dekorative Gemälde geschaffen, die in
ihrer Art ebenso hoch stehen. Alle drei wirken eben
durchaus verschieden und wollen verschieden wirken.
Cherets schmetternde Fanfaren erfüllen uns mit lauter
Lust, Henri Martin besingt heiter und froh die buko-
lischen Freuden, Maurice Denis entführt uns in ein
erträumtes Arkadien, wie es vor ihm Puvis de Cha-
vannes tat. Aber bei Puvis — und ganz besonders
in seinen letzten Arbeiten — war dieses Arkadien
eigentlich kein Arkadien, sondern eher eine ägyptische
Wüste, worin wurzelfressende und wassertrinkende
Asketen den Leib kasteiten, bei Denis geht es fröh-
licher und lebendiger zu, er ist nicht so blutleer und
bleich wie Puvis, sondern rosa und lila stimmen ein
bei aller Feierlichkeit frohes Lied an, und grüne, rote
und blaue Töne fallen rechtzeitig in das Konzert ein,
um die Melodie zu beleben und zu verstärken. Ein
auf diese Weise ausgemalter Saal muß ebenso schön
und froh wie bedeutend und erhebend auf den Be-
schauer einwirken.

Auch Roll hat ein großes dekoratives Gemälde
ausgestellt, aber diese Allegorie der zur Natur streben-
den Menschheit ist mit ihren, fast den ganzen Raum
anfüllenden graublauen Nebeln eigentlich nur ein
neuer Beweis dafür, daß Roll kein Dekorateur ist,
wie die vier Genannten. Er ist ein ungemein sym-
pathischer Künstler, und die beiden offenen Park-
landschaften, die er neben seinem großen Bilde aus-
stellt, zeigen, daß er von seinen glänzenden Fähig-
keiten nichts verloren hat. Als dekorativer Maler aber
hat er nie etwas Einwandfreies geschaffen, die großen
Gemälde in Versailles und im Pariser Rathaus sind
schließlich nichts weiter als kolossale lllustrations-
 
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