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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Wulff, Oskar: Die Kunstgeschichte auf dem internationalen Kongress für historische Wissenschaften (Berlin 1908)
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581 Die Kunstgeschichte auf dem internationalen Kongreß für historische Wissenschaften (Berlin 1908)

fluß, der hier besonders im Laufe des 12. mächtig wird,
völlig zu assimilieren. Das ist eben erst den großen
Ducentisten gelungen. In den älteren Werken dieser
Malschule tritt klar zutage, wie im frühen Mittelalter
für die Stilwandlung die Zusammenhänge der Haupt-
zentren der Kunst untereinander, in diesem Falle
also Salzburgs mit den karolingischen und ottonischen,
einen wichtigeren Faktor bilden als die lokale Ent-
wickelung. — Die Wechselbeziehungen zwischen dem
Norden und Italien auf dem Gebiete dekorativer Plastik
und Architektur erörterte A. Goldschmidt in seinem Vor-
trag über »die romanische Bauornamentik in Deutsch-
land« an den Beispielen der Stiftskirche zu Quedlin-
burg und der Basilika von Königslutter einerseits
und den Denkmälern von Como (S. Abondio) und
Ferrara andererseits. Die Ubereinstimmungen in den
Kapitellformen, Fensterumrahmungen, Zierfriesen und
Gesimsen hüben und drüben sind so groß, daß man
geradezu auf die Tätigkeit derselben Werkleute oder
Bauhütten schließen muß. Da aber diese Formen in
Deutschland eine Sondererscheinung bilden, während
sie sich in Italien in die Gesamtentwicklung einreihen,
so ist letzteres als der gebende Teil anzusehen. Man
wird den überzeugenden Ausführungen Goldschmidts
rückhaltlos zustimmen müssen, lehrt doch jede nähere
Beschäftigung mit dem reichen Denkmälerschatz Ober-
italiens, daß hier schon im 11. Jahrhundert ein,
wenn nicht der Hauptherd der mittelalterlichen Archi-
tekturentwicklung liegt. Die wichtige Frage, wie sein
Verhältnis zur französischen Kunst aufzufassen sei,
wurde vom Vortragenden leider nur berührt, ohne
seine Stellungnahme dazu erkennen zu lassen. — Für
die Förderung der ikonographischen Forschung suchte
der einzige französische Beitrag von C. de Mandach
»L'association internationale d'iconographie (son but
et ses moyens d'action)« die Fachgenossen zu er-
wärmen, und es ist bedauerlich, daß die Aufnahme
etwas kühl blieb und daß gerade die Vertreter der
mittelalterlichen Kunstgeschichte vor dem Gedanken
einer universellen Thesaurierung der Typen zurück-
schrecken. Wenigstens sollte eine Einschränkung des
weitblickenden Programms von E. Müntz zuletzt die
Kompositionen treffen. Vielmehr tut eine Erweiterung
des Begriffs der Ikonographie im Sinne der poetischen
Gestaltung des Darstellungsinhalts not. Und es darf
nicht vergessen werden, daß die Vernachlässigung des
ikonographischen Gesichtspunktes schon ebenso saure
Früchte getragen hat, wie seine einseitige Anwendung.
Die formalen und die gegenständlichen Kriterien sind
die beiden Reihen, die sich gegenseitig kontrollieren.
Von der Ikonographie aber führt der Weg weiter zu
den Einwirkungen der Dichtung auf die Kunst. —
Einen Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen
Ornamentik brachten O. v. Falke1 s Ausführungen über
»Römisch-germanische Elemente in Bildstickereien des
Mittelalters«. Sie richteten sich auf die Rolle, welche
das Motiv des Hakenkreuzes, das der älteren byzan-
tinisierenden Textilkunst der Kirche fremd ist, in
mannigfaltiger Ausgestaltung seit dem 12. Jahrhundert
an den verschiedensten Stellen Europas in den
liturgischen Prunkgewändern (z. B. dem Pluviale von

Pienza), Altarbehängen usw. zu spielen beginnt. Der
Vortragende sieht darin ein Element, das von der
Spätantike entlehnt, — unter anderem führen es die
koptischen Gewebe sehr häufig, — sich in der ger-
manischen Volkskunst erhalten habe, aber erst mit
der stärkeren Anteilnahme des Laienelements an der
Kunstübung in der kirchlichen Bildstickerei auftauche.
Gegen die in diesem Erklärungsversuch liegende Ab-
lehnung eines orientalischen Einflusses wurde in der
Diskussion von F. Sarre mit gutem Grunde geltend
gemacht, daß sich das Hakenkreuz schon an hittitischen
Felsreliefs in Gewandmustern nachweisen läßt. Da
es sich noch in kleinasiatischen Knüpfteppichen vor-
findet, dürfte der Orient es durch die ganze Zwischen-
zeit bewahrt haben und kann es sehr wohl durch
neue orientalische Anregungen im Mittelalter dem
Abendlande zugeführt sein. Die Streitfrage wird sich
schwerlich entscheiden lassen, bevor nicht eine voll-
ständige und klare Übersicht über die verschiedenen
Formen gewonnen ist, in denen das Motiv sowohl
einzeln und frei gruppiert wie auch als Borte oder
geschlossenes Grundmuster hier und dort auftritt.

Nur drei größere Vorträge griffen in die Neuzeit
hinüber, doch bot jeder derselben die lehrreichsten
Aufschlüsse. »Die Frage der Jugendwerke der Brüder
van Eyck« behandelte G. Hulin de Loo zu allgemeinem
Danke in deutscher statt, wie beabsichtigt, in franzö-
sischer Sprache. Dem Vortragenden ist es gelungen,
in dem leider so tragisch zugrunde gegangenen
»Livre d'Heures de Turin« einen neuen Ausgangs-
punkt für die Aufrollung der Eyckfrage zu finden.
Man darf es als ein Glück im Unglück betrachten, daß
ein so feinfühliger Stilkritiker noch Gelegenheit hatte,
das anscheinend seitdem 15. Jahrhundert fast unberührt
gebliebene Buch vor seiner Vernichtung eingehend
zu untersuchen. Und im berechtigten Bewußtsein
von der Bedeutung seines Zeugnisses wie in be-
scheidener Bewertung der eigenen Schlußfolgerungen
suchte er beides möglichst auseinanderzuhalten. Vor
Hulin de Loo hat schon A. Haseloff ausgesprochen,
daß man in der einschlägigen Bilderreihe wohl mehr
als einen bloßen Nachklang der Eyckischen Kunst
erkennen dürfe, und hat zum Teil auf dieselben Über-
einstimmungen mit einzelnen der Tafelbilder hinge-
wiesen (Sitz.-Ber. d. k. gesch. Ges. Berlin 1905,
Januar). Die Bedeutung der Ergebnisse des belgischen
Forschers gipfelt aber darin, daß er vor den Originalen
zu einer überzeugenden Scheidung mehrerer Hände
und Künstlerpersönlichkeiten gelangt ist. Obenan
steht die Hand A, der z. B. die Schiffahrt der Heiligen
Julian und Martha, die Nachtszene der Gefangennahme
Christi und vor allem die Reise des Grafen Wilhelm
von Holland (f 1417) mit dem Reiterzug am Meeres-
ufer gehört, eine Darstellung, die durch Bezugnahme
auf ein Ereignis des Vorjahres einen ganz bestimmten
chronologischen Anhalt ergibt. Ein einzigartiges Ver-
ständnis für die rein malerischen Tonwerte des Land-
schaftlichen in seiner momentanen Licht- und Luft-
stimmung zeichnet diesen Meister aus, während seine
Figurenbildung noch mangelhaft und etwas unbeholfen
bleibt. Durch ihn stark beeinflußt, verrät sich die
 
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