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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 19.1908

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Wulff, Oskar: Die Kunstgeschichte auf dem internationalen Kongress für historische Wissenschaften (Berlin 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5784#0303

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Die Kunstgeschichte auf dem internationalen Kongreß für historische Wissenschaften (Berlin 1908) 584

dritte Hand C doch als die eines geringeren und
jüngeren Nachahmers, so hängt z. B. die ihr ange-
hörende Kreuzabnahme vom Meister von Flemalle
ab. Fast ebenbürtig steht hingegen neben A die
Hand B, ja sie übertrifft sie in der verständnisvolleren
Behandlung der Figuren, — eine besonders schöne
Probe bietet dafür die Beweinung Christi, — erreicht
aber mit ihren mehr zeichnerischen Mitteln nicht
jene höchste Stufe malerischer Gesamtauffassung. Mit
ihrer realistischeren Figurenbildung und zum Gerad-
linigen neigenden Gewandbehandlung kommt nun B
den gesicherten Werken Jans so nahe, daß die Identi-
fizierung der Persönlichkeiten nicht zu gewagt er-
scheint. Dann ist aber auch die Annahme die wahr-
scheinlichere, daß wir in A. Hubert als einen uns
völlig unbekannten genialen Anonymus zu erkennen
haben. Und derselben Hand wird man zunächst das
Petersburger Jüngste Gericht mit seinem köstlichen
landschaftlichen Hintergrunde und der übereinstimmen-
den Wiedergabe der Meeresbrandung zuteilen dürfen.
In einer schwächeren, die Gottesmutter unter heiligen
Frauen darstellenden Miniatur der »Heures de Turin«,
die nichtsdestoweniger A gehört, treffen wir anderer-
seits einen Kopftypus und eine mehr geschwungene
Faltenbildung an, welche mit der hergebrachten Zu-
schreibung der Maria des Genter Altars an Hubert
im besten Einklang steht und auch die Berliner
»Madonna in der Kirche« als sein Werk anzusprechen
erlaubt. Weiter verfolgte der Vortragende die Auf-
teilung der Tafelbilder nicht. Dem in der Diskussion
erhobenen Einwände, daß am Genter Altar die oben
bemerkten Unterschiede im Gewandstil sich nicht mit
der heute üblichen Verteilung der Tafeln decken, be
gegnete er mit dem wohlbegründeten Zweifel, ob
der Anteil der Brüder hier gesondert neben- und
nicht vielmehr übereinander liege. Doch wird man
nicht übersehen dürfen, daß selbst in einem so reifen
Werke Jans wie dem Doppelbildnis des Arnolfini nicht
nur die Frauengestalt, sondern auch die männliche
Figur noch sehr fühlbare Schwächen des Körperbaus
und der Proportionen verrät. Das erklärt zum guten
Teil, warum nicht die van Eycks, sondern R. v.
d. Weyden auf die Entwickelung der nächsten Gene-
ration stärker eingewirkt hat. Nicht das Genie, —
wie Hubert (bzw. der Meister A), der in einer er-
haltenen Miniatur der Collez. Trivulzi sogar das
malerische »Programm des P. de Hoogh« für die
Beleuchtung des geschlossenen Raumes vorwegnimmt
(H. de Loo), — sondern eine innere Gesetzmäßigkeit
bestimmt eben in erster Linie die kontinuierliche Ent-
faltung der Kunst. Es werden noch manche Streit-
fragen bei der Anwendung der Gesichtspunkte Hulin
de Loos auf das gesamte Eyckproblem zu schlichten
sein, die Aussicht auf eine weitgehende Einigung aber
erscheint sehr viel näher gerückt, wie schon die oft
angezweifelte Ableitung der Eyckischen Kunst aus
der Miniaturmalerei dadurch neue Bestätigung gefunden
hat. — Der verfügbare Raum verbietet, hier auch
nur in so knappem Auszuge auf C. Dodgsons in
schlichtester Form und ebenfalls in deutscher Sprache
vorgetragene Mitteilungen über >die Verwendung der

Holzschnitte deutscher Meister des 16. Jahrhunderts
in historischen Büchern einzugehen«, — gerade weil
ihr Gewinn an Einzelergebnissen ein so überaus
reicher ist. Die systematische Durchforschung der
Missalbücher u. a. m. hat einen erstaunlich großen
Zuwachs an neuen Blättern anonymer und namhafter
Meister wie Springinklee, Georg Breu, Urs Graf und
sogar Cranachs gebracht, für den die deutsche Kunst-
wissenschaft dem englischen Gelehrten zu besonderem
Danke verpflichtet bleibt. Und die erweiterte Kennt-
nis des Materials wird vielleicht auch hier noch zur
Klärung mancher Probleme führen. — Auf ein solches
der Plastik warf W. Vogelsangs kurzer »Beitrag zum
Verhältnis Dürers zur niederländischen Kunst« ein
Streiflicht. Indem sich herausstellt, daß eine bisher
als Kostümfigur angesehene »Zeichnung aus Dürers
Skizzenbuch« vielmehr eine Studie nach einer Frauen-
gestalt aus der Reihe oder von der Art der Fürsten-
statuetten des Rijksmuseums darstellt, wird es in hohem
Grade wahrscheinlich, daß die Denkmäler, denen diese
einst angehörten, sich zu Dürers Zeit noch in Brüssel,
jedenfalls aber nicht in Amsterdam, das er nicht be-
rührt hat, befanden. — Die einzige Beisteuer zur Ge-
schichte der italienischen Renaissance bildete E. Vergds
Bericht über die Organisation der »Raccolta Vinciana«
(Lionardo da Vinci-Archiv), ein Unternehmen, für dessen
Förderung der Kongreß der Stadt Mailand in einer
Resolution seine lebhafte Sympathie aussprach. Man
wird dem Lionardoforscher auch darin beipflichten
müssen, daß es angezeigt wäre, eine ähnliche Konzen-
tration des gesamten bibliographischen wie des An-
schauungsmaterials in möglichster Vollständigkeit auch
anderwärts für die großen Künstler anzustreben, für
Dürer in Nürnberg, für Holbein in Basel u. a. m. —
In die große Lücke, die im weiteren Programm der
Sektion entstanden war, schob sich nur noch
/. v. Schmidts Übersicht über »die bevorstehende
Ausstellung von Gemälden alter Meister in St. Peters-
burg« ein. Man gewann den Eindruck, daß dieselbe
einen ziemlich geschlossenen Auszug aus der Ent-
wickelung der Malerei vom Trecento bis zum Aus-
gang des 18. Jahrhunderts durch Zusammenstellung
von im russischen Privatbesitz verstreuten, teilweise
bis heute fast unzugänglichen Werken bieten wird.
Bleibt es auch besonders im Interesse der Universitäts-
lehrer zu bedauern, daß sie aus äußeren Gründen in
die Monate vom November bis Januar fallen muß,
so wird doch schon die Katalogisierung und photo-
graphische Aufnahme dieses reichen Kunstbesitzes
zweifellos wertvolle Ergänzungen für manchen Künstler
bringen. Der Dank für die Veranstaltung gebührt
den rührigen Leitern der neuen russischen Kunst-
zeitschrift »Alte Jahre«.

Daß aber die Tagung der kunstgeschichtlichen
Sektion des Kongresses nicht in kleineren Mitteilungen
ausklang, sondern sich zu einem letzten, ihren äußeren
Verlauf ebenso glücklich wie das kunstgeschichtliche
Programm krönenden Höhepunkt erhob, war das Ver-
dienst A. Auberts. Der norwegische Forscher hat uns in
seinem Vortrag über »Runge und die Romantik«
einen deutschen Künstler einer Generation, die wir
 
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