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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 2.1888-1889

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Heft 2
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Spitteler, Carl: Literarischer Hader
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https://doi.org/10.11588/diglit.11724#0023

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2. Stück.

Ll-scbcint

Derausgcbcr:

Lerdtnand Lwennrius.

Kcsrellpreis:

vierteljäbrlich 2l'r Mark. 2.)^!)!?^.

Literurisckcr Dader.

der cesegesellschaft ineines wohirortes
liegen aus einembesondern TischdieBroschüreir;

vergehen oft, bis ich A'luße sinde, !
^D8^^^:mich mit denselben zu befassen; so oft das ^
aber geschieht, treffe ich zu meinem Lrstaunen regel- ^
mäßig eine Streitschrift gegen eine literarische s)er- !
sönlichkeit von Namen. Heute muß Baumbach, !
Iulius wolff oder Lbers herhalten, morgen Llumen-
thal, übermorgen Lindau, ein andres Nial sogar
paul kseyse oder Mildenbruch; mitunter werden wohl
auch die Lchriftsteller rottenweise abgeschlachtet, den
! Musen zum Namenstag. Biein Register ist, wie der
Leser bemerkt, weit entfernt davon, vollständig zu
sein, indessen genügt mir dasselbe schon im Übermaß,
um mich befremdet nach der Ursache dieser Bissigkeit
zu fragen. Ich sehe fa gar wohl ein, daß die Herren
verfasser in gutem Treuen, um der Sache willen,
im Namen des Geschmacks und der j)oesie sich ereifern,
allein, ich kann nicht begreifen, was Geschmack und
poesie dabei gewinnen, wenn ein Schriftsteller dem
Andern in die ZVaden beißt. „Mir müssen
den falschen Größen die R'laske herunterreißen, damit
das j^ublikrnn ihr wahres Angesicht sehe", so lautet
sedesmal die Lntschuldigung. Allein abgesehen davon,
daß es eine unmanierliche Art des Demaskierens ist,
wenn man dem Nächsten die Haare mitausrauft,
gestatte ich mir, den streitbaren Lierren Verfassern ein-
fach nicht zu glauben, daß ein Linziger unter unsern
Schriftstellern eine Maske trägt. Sie schreiben und
dichten vielinehr wie sie es können und velinögen,
Ieder nach seinem Talent, und zrvar meistens mit
einem Talent, das denn doch über dassenige der ge-
Harnischten kseißsporne weit hinausragt, da die letztern
kaum über eine geziemende Sprache versügen.

wir modernen Schriftsteller sind wahrlich nicht
zu beneiden. So lange wir jung sind, müssen wir

uns mit Verlegern und Theaterdirektoren herumschlagen,
welche mit anerkennenswerter Zuvorkommenheit
unsere Arbeiten ablehnen, ehe sie dieselben gesehen
haben, und uns die nicht ganz leichte Aufgabe stellen,
erst berühmt zu werden, bevor sie eins unserer werke
veröffentlichen. Das mag die Kleinigkeit von 5 oder
tO, mitunter auch t5 Zahren dauern: sind wir end-
lich glücklich dieser Zwickmühle entschlüpft, so kann cs
uns widerfahren, daß wir nicht ganz genau in die
L>chablone passen, welche der gerade im Schwang
sich befindende Suffet der s)oetik zusammenzuzimmern
geruht hat; in diesem Fall werden wir, wenn es
hoch kommt, von der Rritik regelrecht kalt gemacht,
oder auch einfach unbesehen kalt gestellt, wenn wir
nicht durch Aiacht oder Linfluß imponiren. Dann
mögen wir uns wieder die Rleinigkeit von 2 5 Zahren
gedulden, bis inzwischen zu wiederholten Nlalen
andre Suffeten gewählt worden sind und zufällig
einmal Tiner von ihnen eine Schablone ausklügelt,
zu welcher unsere Eigenart stimmt; oder bis Zemand
hoffen darf, mit unsern Merken seine Rollegen ärgern
zu können, sodaß er sich beeilt uns zu entdecken; oder
bis eine neue Generation uns zu den Alten rechnet
und uns gnädig die Achtung vor dem grauen Lsaupte
gönnt; oder bis wir unser 7 0 jähriges Zubiläum
feiern, wo wir dann mit gewaltigem Gurrah in den
literarischen ^enat befördert werden; oder bis eine
schwere Lrkrankung hoffen läßt, daß wir bald sterben
würden. Den Menigen aber, denen es gelingt,
durch diesen vielsachen Schutzwall gegen das lebendige
Talent hindurch noch bei rüstigem Lcibe Anerkennung
zu finden, heften sich Verbesserer des Geschmacks an
die Lersen, um ibnen mit einer Lrbitterung, für welche I
ein jedes Verständnis fehlt, zu beweisen, daß sie weder
Homer noch Aeschylus seien.

Nlich dünkt, man sollte sich ein für allemal darüber


uöer alH Deöieie^eKMcöönen.

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